Baden-Württemberg:So nah ist Grün-Schwarz

Sondierungsgespräche von Grünen und CDU

Ganz schön nah beieinander: CDU-Verhandlungsführer Thomas Strobl und Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

(Foto: dpa)

Noch vor wenigen Jahren waren Grüne und CDU im Südwesten nahezu verfeindet, jetzt stehen sie kurz vor Koalitionsverhandlungen. Wie ist das passiert?

Von Benedikt Peters

2010 war in Baden-Württemberg nahezu nichts so undenkbar wie eine grün-schwarze Koalition. Die CDU-geführte Landesregierung machte sich an die Umsetzung des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21, der grün geprägte Protest wurde mit Wasserwerfern von der Straße geräumt. Seit 1953 stellten die Christdemokraten den Ministerpräsidenten, ununterbrochen. Dass sie irgendwann nur noch Juniorpartner der Regierung sein würden, und dann auch noch unter den Grünen? Unvorstellbar.

Sechs Jahre später ist alles anders. Die Grünen werden stärkste Partei bei den Landtagswahlen, Stuttgart 21 spielt im Wahlkampf keine Rolle mehr - und Grüne und CDU stehen im Südwesten kurz vor Koalitionsverhandlungen. Die CDU-Landtagsfraktion hat sich schon dafür ausgesprochen, Vorstand und Präsidium dürften heute noch nachziehen. Der Weg für Verhandlungen wäre dann frei - und die Verhandlungen wären bei Weitem nicht so schwierig, wie das noch 2010 anzunehmen war.

Im Detail gibt es noch viele Probleme, aber die dürften sich ausräumen lassen - denn auf viele großen Fragen geben die früheren Gegner nahezu gleiche Antworten. Das legt den Schluss nahe: Auch für den Bund könnte die ökologisch-konservative Koalition ein Modell sein. Es wäre das Modell einer Gesellschaft, in der es mehr Umweltschutz und Inklusion gibt - aber auch mehr Polizisten und mehr Abschiebungen.

In der Flüchtlingspolitik lehnen beide Parteien im Südwesten wie im Bund eine Obergrenze ab. Sie sind sich einig, dass Asylanträge zügig bearbeitet und dass Migranten schnell Deutsch lernen müssen. Bei der Lektüre weiß man mitunter nicht, ob man sich nun im Wahlprogramm der CDU oder der Grünen befindet: Man müsse Migranten "Wege der Integration in den Arbeitsmarkt eröffnen", heißt es in letzterem, die Christdemokraten formulieren: "Eine gelungene Integration in den Arbeitsmarkt ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor."

Doch es gibt auch Gegensätze. Die Grünen wollen allen Flüchtlingen eine Gesundheitskarte geben, mit der sie unkompliziert zum Arzt gehen können. Die CDU will das nur bei anerkannten Flüchtlingen tun. Unterschiede gibt es auch bei der Residenzpflicht und bei der Frage, ob Flüchtlinge mehr Sachleistungen statt Geld bekommen sollten (CDU ja, Grüne nein). Zudem wollen die Christdemokraten Flüchtlinge ohne Vorankündigung abschieben, was die Grünen ablehnen. Dass abgelehnte Asylbewerber aber "konsequent abgeschoben" werden sollen - da sind sich beide wiederum einig.

Weniger Schulden, mehr Polizisten

Das gilt auch für eine wichtige Finanzfrage: CDU und Grüne sind im Bund wie im Südwesten für eine Schuldenbremse. Bis 2020 soll Baden-Württemberg keine neuen Schulden mehr aufnehmen. CDU-Landeschef Thomas Strobl sagte nach Sondierungsgesprächen mit den Grünen, die Schuldenbremse sei neben dem Umweltschutz eine Frage der Nachhaltigkeit, es gebe große Schnittmengen zwischen den Parteien.

Beide bekennen sich in ihren Wahlprogrammen zum Umweltschutz, an manchen Stellen wird die CDU sogar konkreter als die Grünen: Ein atomares Endlager in Baden-Württemberg lehnt sie ab. Die Grünen fordern stattdessen einen "ergebnisoffenen Prozess" - mit der CDU-Forderung dürften sie sich aber anfreunden können. Nach Angela Merkels Atomausstieg gibt es in der Umweltpolitik auch auf Bundesebene keine unüberwindbaren Hindernisse mehr zwischen beiden Parteien.

Ähnlich ist es bei der Inneren Sicherheit, die - man denke an die Wasserwerfer - noch vor wenigen Jahren ein großes Streitthema war. Jetzt ist man sich einig, dass Baden-Württemberg mehr Polizisten braucht. Die CDU will 1500 zusätzliche Stellen schaffen, die Grünen 2800 Ausbildungsplätze. Schwieriger ist die Diskussion um die Kennzeichnungspflicht von Polizisten, die Christdemokraten lehnen diese ab.

Bei der Bildungspolitik zeichnen sich Konflikte ab

In der Bildungspolitik ist grün-schwarzer Konsens, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen wünschenswert ist. Eltern sollen sich aussuchen können, ob sie ihr Kind auf eine Regel- oder auf eine Sonderschule schicken. Auch beim zweiten großen Thema, dem längeren gemeinsamen Lernen, ist eine Einigung möglich. Die Grünen wollen mehr Gemeinschaftsschulen schaffen. Unterschiedlich starke Schüler lernen hier zusammen, "Sitzenbleiben" gibt es nicht mehr. Die CDU ist immerhin bereit, die bestehenden Gemeinschaftsschulen nicht zu schließen, will aber auch keine neuen genehmigen.

Ein Konflikt zeichnet sich um den Bildungsplan 2016/2017 ab. Die grün-rote Landesregierung will darin die "Akzeptanz sexueller Vielfalt", das heißt etwa die Beschäftigung mit Homo- und Bisexualität, zum Pflichtthema in Schulen machen. Kritiker fordern einen Fokus auf heterosexuelle Beziehungen oder aber, das Thema in Schulen außen vor zu lassen. CDU-Politiker äußerten dafür wiederholt Verständnis. Im Landeswahlprogramm heißt es, man wolle den Bildungsplan "auf den Prüfstand stellen".

Seit der Volksabstimmung über Stuttgart 21 gibt es auch in der Verkehrspolitik keine unüberwindbaren Gegensätze mehr, der Tiefbahnhof wird gebaut. Die Grünen wollen mehr Radwege bauen, die CDU lieber mehr Hauptverkehrsstraßen. Scheitern dürfte Grün-Schwarz aber auch daran nicht.

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