SZ: Anderes Thema: Ihre Tochter findet, Sie wirken manchmal wie ein CDU-Politiker. Macht dieser Eindruck manchen Ihrer Parteifreunden Sorge?
"Hervorragend gemacht": Der Grüne Kretschmann lobt Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler (CDU)
(Foto: dpa)Kretschmann: (lacht) Das Aussehen? Glaub ich nicht. Zugegeben: Manchen meiner Parteifreunde hat der staatstragende Habitus aufgeregt. Derzeit ist das wohl für keinen Grünen ein Problem, im Gegenteil: Das Staatstragende ist ein deutlicher Kontrast zu Mappus. Dieser Gestus ist für mich ohnehin kein Schimpfwort, ich bin einfach so.
SZ: Herr Kretschmann, sind Sie konservativ?
Kretschmann: Ich selber würde mich als liberalen Menschen bezeichnen, sicherlich habe ich auch konservative Ecken. Meiner Meinung nach sind die Grünen in Baden-Württemberg inzwischen die einzige im echten Sinne konservative Partei. Wir wollen die Schöpfung bewahren und gute alte Werte ebenso.
SZ: Ministerpräsident Mappus reklamiert für sich ebenfalls konservativ zu sein, wollen Sie ihn gleich bei den Grünen aufnehmen?
Kretschmann: Mappus ist nicht konservativ. Konservativ sein bedeutet doch, die Werte zu pflegen, die schon immer durch die Zeiten hindurch galten. An der Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg sieht man, dass Konservativismus bei CDU und CSU zur Attitüde verkommen ist: Die Union ordnet Werte wie Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Macht unter - dadurch verlieren sie ihren Wert. Was Mappus als konservative Politik bezeichnet, ist in Wirklichkeit Polit-Kitsch. Da wird alles als konservativ umgedeutet, was es so gibt.
SZ: Viele Sympathisanten der Grünen verhalten sich nicht gerade staatstragend wie Sie: Der Protest gegen Stuttgart 21 läuft bisweilen aus dem Ruder. Schadet man sich mit so einem Verhalten nicht selbst?
Kretschmann: Wenn Sie den "Schwarzen Donnerstag" meinen, dann war das ein überwiegend friedlicher Protest der Stuttgarter Bürgerschaft. Aus dem Ruder lief hier vor allem der Polizeieinsatz. Aber niemand kann von einer Protestbewegung erwarten, dass sie sich in allen Facetten ruhig verhält. Da geht es um Emotionen und nicht um gutes Benehmen.
SZ: Hand aufs Herz: Stört Sie es nicht, wenn die Kanzlerin niedergebuht wird?
Kretschmann: Protest kommt nun mal nicht von Honoratioren, sondern in der Regel von der Jugend und aufmüpfigen Leuten. Demonstrationen machen nicht alle mit dem Herrn Knigge, auch wenn mir persönlich nicht alles gefällt. Fanatiker gibt es überall, leider, aber sie waren und sind bei Stuttgart 21 eine kleine Minderheit.
SZ: Die CDU hat am Engagement der Grünen auf Seiten der Bahnhofsgegner heftig Anstoß genommen.
Kretschmann: Es ist politisch durchsichtig, wenn man sich an ein paar wenige Leuten echauffiert, die sich danebenbenehmen. Im Großen und Ganzen ist die Stuttgart-21-Gegnerschaft eine friedliche, überaus vielfältige und bunte Bürgerbewegung, die tief ins Bürgertum reicht. Schlechtes politisches "Benehmen" ist allerdings, was Stefan Mappus mit dem Polizeieinsatz zu verantworten hat. Gegen friedliche Bürger und demonstrierende Schüler Wasserwerfer einzusetzen, geht nicht.
SZ: Seit der Schlichtung ist die Protestbewegung abgeflaut. Hat die Schlichtung den Bahnhofs-Gegnern geschadet?
Kretschmann: Nein, es ist ein Erfolg, zu einem zivilisierten Streitgespräch zu kommen. Die Schlichtung hat die Dynamik von der Straße in Entscheidungen gebracht: Die Essenz des Schlichterspruchs stammt von uns. Die ganzen Anforderungen, die formuliert wurden, kamen allesamt von den Projektgegnern. Jetzt steht der Stresstest an, das bedeutet, die Schlichtung ist noch gar nicht beendet. Die Ergebnisse müssen transparent und öffentlich erarbeitet und bewertet werden. Wenn die Mehrkosten die 500 Millionen-Marke überschreiten, wovon ich bei den wahrscheinlich notwendigen zwei zusätzlichen Gleisen im geplanten Tiefbahnhof ausgehe, dann ist die von der Bahn selbst gesetzte Marke von 4,5 Milliarden deutlich gerissen und das Projekt erst mal nicht mehr machbar. Bei der Schlichtung konnten wir detailliert zeigen, dass wir recht haben - und Schwarz-Gelb unrecht. Diese Schlichtung hat die Republik positiv verändert. Man wird sie als Blaupause für den künftigen Umgang von Institutionen mit der Zivilgesellschaft nehmen.
SZ: Heiner Geißler betreibt inzwischen Wahlhilfe für seine CDU in Rheinland-Pfalz und sprach sich für den Bau von Stuttgart 21 aus. Hat er seinen Job gut gemacht?
Kretschmann: Zwar bin ich nicht seiner Meinung, was den Bau angeht. Sein bedingtes Ja zu Stuttgart 21 war übrigens kein Gegenstand der Gespräche, da hat er seine persönliche Meinung zum Ausdruck gebracht. Aber was seine Leistung als Schlichter sonst betrifft: Heiner Geißler hat das hervorragend gemacht. Seine Autorität ist natürlich und er stand in beiden Lagern.
SZ: Es könnte sein, dass Sie als Ministerpräsident ein Referendum über Stuttgart 21 initiieren und die Bürger dann für den Bahnhofsneubau stimmen. Wie könnten Sie das den S21-Gegnern vermitteln?
Kretschmann: Schwer. Aber das Volk hat das letzte Wort. Daran muss man sich gewöhnen, wenn man die direkte Demokratie wirklich will, wie wir es tun.
SZ: Letzte Frage: Würden Sie auch ein Ministeramt übernehmen, wenn der Ministerpräsident Stefan Mappus heißt?
Kretschmann: Das kann ich mir nicht vorstellen. Die CDU hat eine Kampagne gestartet gegen mich, die mich geärgert und verletzt hat. Da spekuliert ein Staatsekretär über meine Gesundheit, Mappus thematisiert mein Alter und tut so, als sei ich nur eine Marionette, ein Platzhalter für Cem Özdemir. Das war perfide und unanständig.