SZ: Sie kritisieren Stefan Mappus in einem fort. Gibt es denn irgendwas, das er richtig macht?
Kretschmann: Politisch wüsste ich nicht, was er seit Beginn seiner Amtszeit gut gemacht hat.
SZ: Und persönlich?
Kretschmann: Er ist ein verlässlicher Verhandlungspartner.
SZ: Das ist ja schon mal die Grundlage jeder politischen Zusammenarbeit. Könnten Sie sich auch vorstellen, ihn zum Ministerpräsidenten zu wählen?
Kretschmann: Wir wollen mit den Sozialdemokraten regieren, wir wollen eine klare Mehrheit für Grüne und SPD, damit wir dieses Land gut gestalten können.
SZ: Und wenn es zu einem Patt zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün kommen sollte, so wie es Demoskopen für möglich halten?
Kretschmann: Dann ist eine Ausnahmesituation gegeben. Für so eine Situation schließt man vernünftigerweise keine Koalition von vornherein aus. Die Politik darf sich nicht in Situationen manövrieren, in denen sie nicht mehr handeln kann, ohne Versprechen zu brechen. Tatsache ist: Eine Koalition der Grünen mit der CDU ist in weite Ferne gerückt und das ist Schuld von Mappus. Brachial setzte er seinen Atomkurs durch, auch in der Schulpolitik weigert er sich eisern, das System zu öffnen für Innovationen. Von Stuttgart 21 ganz zu schweigen, wobei wir bei diesem Thema ja auch Differenzen mit der SPD haben.
SZ: Anders als Sie scheuen andere Grüne sich nicht, Koalitionen auszuschließen. Parteichef Cem Özdemir etwa lehnt ein Zusammengehen mit der Linken ab.
Kretschmann: Die Linke ist ja auch alles andere als seriös. Sie will in Baden-Württemberg zehn Milliarden Euro Schulden machen. Solche Positionen sind mit unserem Kurs völlig unvereinbar.
SZ: Es gäbe zur Not die Option Neuwahlen.
Kretschmann: Als letzte Möglichkeit ja. Aber vorher gilt: Wenn der Souverän - das Volk - gewählt hat, dann muss man als gewählte Parlamentarier versuchen, zusammenzukommen. Wir können doch nicht einfach sagen: Volkes Wille gefällt uns nicht. Das ist eine Frage des demokratischen Grundrespekts.
SZ: Herr Kretschmann, Sie könnten der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands werden. War das vor 30 Jahren, als Sie die Partei im Südwesten mitbegründeten, vorstellbar?
Kretschmann: Nicht wirklich. Vermutlich war ich ja der erste Grüne, der sich dafür aussprach, zu regieren - die Gegenposition zu Petra Kellys Anti-Parteien-Partei. Da gab es auf dem Parteitag einen großen Konflikt mit ihr. Nun, nach all den Jahren, gestalten wir Politik selbstverständlich mit. Dass es im Bereich des Möglichen ist, Ministerpräsident zu werden, bedeutet eine echte Herausforderung. Aber der Aufgabe würde ich mich kraftvoll stellen.
SZ: Lange galten Sie als Fürsprecher für Schwarz-Grün, seit der Eskalation um Stuttgart 21 wurde aus dem Flirt eine Abneigung, die ins Gehässige geht. Was hat Sie gereizt an Schwarz-Grün?
Kretschmann: Der strategische Ansatz für solch eine Diagonal-Koalition war, mit einer wirtschaftsnahen Partei die Ökologie ins Zentrum der Ökonomie zu tragen. Aber die CDU hat diesen historischen Fehler gemacht, indem sie aus dem Atomkonsens ausgestiegen ist. Der Röttgen-Flügel der CDU hat 2010 verloren gegen die Mappus-CDU, die Kanzlerin fiel um. Die Glaubwürdigkeit ist weg.
SZ: Angesichts der Katastrophe von Fukushima vollzieht die Union ihre Atomwende, Mappus verkündet sogar die Stilllegung von Atommeilern. Ist nun die Türe wieder offen für Schwarz-Grün in Baden-Württemberg?
Kretschmann: Kanzlerin Merkel hat lediglich ein dreimonatiges Moratorium verkündet, um heil über die Wahlen zu kommen. Das ist ein durchsichtiges Manöver. Die Äußerungen von Wirtschaftsminister Brüderle bestätigen diesen Eindruck. Auch der Zeitpunkt von Brüderles Äußerungen, am Montag, als die Ausmaße des Unglücks in Fukushima überhaupt gar nicht absehbar war, zeigt, wie wenig ernsthaft Merkel und Mappus ihren Schwenk in der Atompolitik gemeint haben.
SZ: Halten Sie das Moratorium - das Aussetzen der Laufzeitverlängerung - denn nicht grundsätzlich für sinnvoll?
Kretschmann: Das Moratorium kann ja in relevanten Fragen zur Atompolitik keine neuen Erkenntnisse bringen, das ist Unsinn, wir hatten seit Tschernobyl genug Zeit dafür. Die Fakten zu den Risiken der Atomtechnologie liegen seit vielen Jahre auf dem Tisch, was soll jetzt da noch mal drei Monate lang geprüft werden?
SZ: Schauen wir kurz nach Norddeutschland: Schwarz-Grün in Hamburg war aus grüner Sicht ernüchternd. Grüne Inhalte wurden kaum umgesetzt, die Schulreform wurde per Volksentscheid torpediert, bei den Neuwahlen landete man in der Opposition. Welche Lehre ziehen Sie aus Hamburg?
Kretschmann: Gerade in der Schulpolitik müssen wir darauf achten: Mittel und Zweck dürfen nicht verrutschen. Individuelle Förderung bedeutet eben nicht nur, den Schwächeren zu helfen. Sondern auch die Guten gleichermaßen zu fördern, damit sie noch besser werden. Es kann nicht sein, dass Lehrer sich nur noch um diejenigen kümmern können, die sich schwerer tun. Alle Kinder müssen gefördert werden.