Das wichtigste Wochenende im politischen Leben des Nils Schmid beginnt mit Rindenmulch. 70 Liter für acht Euro. Vor dem örtlichen Supermarkt in Pliezhausen, 30 Autominuten von Stuttgart entfernt, stapeln sich die Säcke. Davor steht der Spitzenkandidat der SPD und knöpft seinen blauen Parka zu. Es ist sein erster Termin an diesem Samstag, vier weitere folgen. Dann ist der Wahlkampf zu Ende. Dann dauert es nur noch weniger als 24 Stunden, bis am Sonntag die Wahllokale schließen. Und bis Nils Schmid womöglich als neuer Ministerpräsident von Baden-Württemberg feststeht.
Die Landtagsspitzenkandidaten der größeren Parteien beim TV-Duell (v.l.): Roland Hamm (Linke), Nils Schmid (SPD), Winfried Kretschmann (Grüne), der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll (FDP) und Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU)
(Foto: dpa)Oder Winfried Kretschmann, als erster Grüner überhaupt. Auch der 62-Jährige ist am Samstag unterwegs, sein letzter Wahlkampftermin führt ihn nach Nürtingen. In der Fußgängerzone drängeln sich die Menschen. Eine ältere Frau mit goldenem Brillengestell wartet zehn Minuten, um Kretschmann die Hand zu schütteln: "Wenn er erst im Amt ist, hat er dafür bestimmt keine Zeit mehr", sagt sie.
Ein Familienvater in Funktionsjacke beobachtet die Szene, seine Haare sind ordentlich zur Seite gescheitelt, seine Brille hat keinen Rand. Er sei Immobilienmakler, erzählt er. "Mein Vater hat mir früher mit Enterbung gedroht, wenn ich Grün wähle. Aber jetzt ist er selbst so weit."
Die Baden-Württemberger wollen die Wende und Kretschmann oder Schmid als neuen Ministerpräsidenten - das behaupten zumindest die Demoskopen. Gemeinsam kommen SPD und Grüne in der jüngsten Umfrage vor der Wahl auf 48 Prozent, CDU und FDP auf 43. Bleibt es dabei, wären 58 Jahre CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg beendet. Aber ob es tatsächlich so passiert, ist längst nicht sicher.
Sozialdemokrat Schmid bekommt das in der 10.000-Einwohner-Gemeinde Pliezhausen zu spüren. 20 Menschen sind da, um ihn zu sehen. Schmid spricht von "echter Wechselstimmung", aber einige ältere Männer wollen "nur mal schauen, wie der Neue ausschaut." Der Neue? "Na, der von der SPD." Eine Frau geht auf Schmid zu und will von ihm wissen, ob er Privatschulen fördern wolle. Schmid antwortet ausführlich, dann schlägt er das Regierungsprogramm auf: "Hier Seite 22, zum Nachlesen."
Die Frau blickt ihn skeptisch an, ihren Sohn hält sie an den Schultern fest. "Gut", sagt sie. "Meine Stimme haben sie dann wohl."
"Keinen Fettnapf ausgelassen"
Nie zuvor sei es ihm so schwer gefallen, eine Partei auszuwählen, gibt ein Familienvater zu, dessen Tochter sich begeistert mit SPD-Devotionalien ausrüstet. Eigentlich sei er ein Liberaler, "aber die haben ja auch kein Fettnäpfchen ausgelassen". Die "Verlogenheit" von CDU und FDP widere ihn an, sagt er. Diesmal setzt er auf Rot-Grün: "Wenn sie es bei dieser Wahl nicht schaffen, können sie den Laden gleich zumachen."
Tatsächlich hätte es für SPD und Grüne zuletzt kaum besser laufen können. Die Atomkatastrophe in Japan, die energiepolitische Kehrtwende von Union und FDP sowie zuletzt der Fauxpas von Bundeswirtschaftsminister Brüderle, der das AKW-Moratorium mit dem Wahlkampf begründete - "Sie können sich nicht vorstellen, was bei uns los war", sagt ein SPD-Wahlkämpfer freudig.