Baden-Württemberg:Gegen das Unbehagen

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Ein Teilnehmer bei einer Protestkundgebung zu den Corona-Beschränkungen auf dem Cannstatter Wasen. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Der Landtag in Stuttgart soll bei Einschränkungen der Freiheitsrechte mehr Mitsprache erhalten. Andere Länder tun sich damit schwer, dort findet die Opposition kein Gehör - es geht auch um verfassungsrechtliche Bedenken.

Was tun gegen das Unbehagen, dass Freiheitsrechte während einer Pandemie auf der Grundlage von bloßen Rechtsverordnungen eingeschränkt werden? In Baden-Württemberg haben die Regierungsfraktionen am Donnerstag einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, der die Abgeordneten im weiteren Verlauf der Corona-Pandemie - vor allem aber bei einem möglichen Wiederholungsfall - stärker in das Regierungshandeln einbinden soll. Ähnliche Initiativen gibt es in mehreren Bundesländern, jedoch als Forderungen der Opposition mit geringer Aussicht auf Erfolg. In Baden-Württemberg kam die Idee von der FDP und damit ebenfalls aus den Reihen der Opposition. Grüne und CDU haben sie aufgegriffen, um die gesellschaftliche Akzeptanz der Grundrechtseingriffe zu verbessern.

Als knifflig gilt die Frage, ob Länder bei diesem Thema überhaupt Regelungskompetenz besitzen. Denn das Infektionsschutzgesetz des Bundes verleiht den Regierungen Vollmachten, die ihnen nicht einfach per Landesgesetz weggenommen werden können. CDU und Grüne sind zuversichtlich, dass sie darauf eine verfassungsrechtlich konforme Antwort gefunden haben. Die zentralen Punkte: Das Parlament muss informiert werden, ohne dies einzufordern - und zwar möglichst vor der Veröffentlichung einer Verordnung. Wenn es schnell gehen muss, reicht es aber, den Landtag nachträglich in Kenntnis zu setzen. Hinzu kommt ein Verfallsdatum: Sollen Verordnungen länger als drei Monate gelten, muss der Landtag zustimmen. Andernfalls tritt die Verordnung nach weiteren vier Wochen außer Kraft. Drittens müssen pandemiebedingte Ausgaben, die 7,5 Millionen Euro überschreiten, künftig vom Finanzausschuss genehmigt werden. Bisher konnten sich die Ministerien ohne Rücksprache aus dem Sondertopf bedienen, den der Landtag eingerichtet hat.

In vielen Ländern gibt es Unmut über das Krisenmanagement der Regierungen

Mangels Mitbestimmungsregelung wird in Hessen gerade über solch einen Sondertopf gestritten. Die schwarz-grüne Regierung möchte ein Sondervermögen einrichten, über das sie dann relativ frei verfügen kann. Die Opposition wittert die Möglichkeit für Wahlkampfgeschenke und will die Finanzierung deshalb lieber über Nachtragshaushalte regeln.

In Niedersachsen lassen die Oppositionsparteien gerade klären, ob die Landesregierung auch ohne neues Gesetz die Pflicht hat, den Landtag vor dem Erlass neuer Verordnungen zu unterrichten. Sie haben beim Staatsgerichtshof Verfassungsklage eingereicht.

Unmut gibt es auch in Rheinland-Pfalz, wo Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ein breites "Corona-Bündnis" versammelt hat, um eine Zukunftsstrategie für das Land während und nach der Corona-Pandemie zu entwickeln und die Akzeptanz getroffener Entscheidungen zu erhöhen. Zu den rund 70 Teilnehmern gehören Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, aus dem Gesundheitsbereich, der Wirtschaft und den Gewerkschaften, von Kirche und Zivilgesellschaft. Nur: Die Parteien des Landtags waren und sind nicht geladen.

In Nordrhein-Westfalen hat das Parlament der Regierung schon zu Beginn der Pandemie Grenzen aufgezeigt. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wollte sich Kompetenzen geben lassen, die über das Infektionsschutzgesetz hinausgehen. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), der zu Ostern ein "deutsches Bergamo" in NRW befürchtete, legte weitreichende Wünsche vor: Per simpler Verordnung wollte er Ärzte oder Krankenschwestern zum Seucheneinsatz zwangsrekrutieren und Beatmungsgeräte beschlagnahmen dürfen. Und die FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer hätte gern im Notfall gleich das halbe Schulgesetz per Verordnung aushebeln wollen. Der Landtag ließ sich diesen Versuch der Selbstermächtigung nicht bieten. Laschet musste kräftig abrüsten, nachträglich räumte die Staatskanzlei ein, man habe in der Eile handwerklich wie politisch Fehler gemacht. Das Gesetz, das dann Mitte April beschlossen wurde, knüpft Sondervollmachten an parlamentarische Kontrolle - und hatte ein Verfallsdatum. Seit Mitte Juni herrscht deshalb - rein legal - wieder Normalität in NRW.

© SZ vom 26.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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