Am Tag nach der Entscheidung war es auffällig still in den Reihen der Grünen, die eine neue Koalition mit der CDU für richtig halten. Bei den Gegnern von Grün-Schwarz dagegen kochten die Emotionen hoch. Sonst durchaus twitterfreudige Mitglieder des Landesvorstands verzichteten zunächst auf jeden Kommentar - es fehlte ihnen wohl die zündende Idee, wie man eine Botschaft nach dem Motto "Wir wollen ein Weiter-so ohne ein Weiter-so" verkaufen kann.
Die Grünen haben sich in den vergangenen fünf Jahren häufig über die CDU geärgert und betont, dass sie ohne den schwarzen Koalitionspartner viel mehr erreicht hätten - nun wollen sie noch einmal mit der CDU regieren, obwohl es eine Alternative gäbe. Einer der ausschlaggebenden Gründe dürfte sein, dass die CDU nach den Wahlen so geschwächt ist, dass sie versprochen hat, quasi alle grünen Pläne zum Klimaschutz mitzutragen. Zudem sucht Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nicht nur während der Corona-Pandemie einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Wozu die CDU tatsächlich bereit ist, soll sich an diesem Samstag zeigen, wenn die beiden potenziellen Koalitionspartner die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche schriftlich fixieren.
Elf Stunden rang das grüne Sondierungsteam um eine Einigung
Nach der Landtagswahl vom 14. März, bei der die Grünen mit 32,6 Prozent stärkste Kraft wurden, hatte Kretschmann die Wahl zwischen einer Koalition mit der CDU, die auf 24,1 Prozent abgerutscht ist, und einer Ampel mit SPD und FDP. So stark die Stellung des Ministerpräsidenten in der Partei ist, kann er diese Entscheidungen jedoch nicht allein treffen. Und so kam es nach drei Sondierungsrunden, die von allen Seiten als sehr angenehm und erfolgsversprechend bewertet wurden, in dieser Woche bei den Grünen zu überraschend langen internen Verhandlungen.
Schon am Mittwoch dauerte es elf Stunden, bis sich das Sondierungsteam einigen konnte. Während Kretschmann sich für Grün-Schwarz aussprach, sollen die beiden Parteivorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand die Ampel favorisiert haben. Unerwartet großen Diskussionsbedarf gab es am Donnerstag dann auch im Landesvorstand, dem Vernehmen nach vor allem bei den jüngeren Mitgliedern. Das Parteigremium tagte morgens mehr als drei Stunden in einer Videokonferenz und ging dann ohne Entscheidung auseinander. Nach mehreren informellen Gesprächen war die zweite Schalte am späten Nachmittag dann jedoch schnell beendet. Schon eine halbe Stunde nach Beginn konnte die Parteisprecherin das Gesprächsangebot an die CDU verkünden. Teilnehmern zufolge gab es bei zwei Enthaltungen 13 Ja- und vier Nein-Stimmen.
Die Interpretation dieser Vorgänge schwankt zwischen der Diagnose, Kretschmann habe seine Autorität verloren, und einem achselzuckenden Hinweis darauf, dass die Grünen selbst in Baden-Württemberg eine basisdemokratische Partei seien, die Entscheidungen nicht einfach abnicke, sondern überzeugt werden wolle. Kretschmann bemühte sich jedenfalls am Freitag, die Gemüter zu beruhigen, und fuhr nach Stuttgart, um sich noch einmal persönlich mit dem Landesvorstand zu treffen. Danach gab es dann auch endlich ein Statement: "Wir Grüne haben uns die Frage, mit wem wir Koalitionsverhandlungen führen wollen, tatsächlich nicht leicht gemacht", heißt es da. Und: "Wir sind bereit für einen Neustart mit der CDU, um ab sofort mit neuer Energie die Zukunft Baden-Württembergs zu gestalten. Die CDU ist unserem Eindruck nach bereit, die Bremsen zu lösen und gemeinsam mit uns voranzugehen. Die nächste grün-geführte Landesregierung wird unter Führung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann kraftvoll für mehr Klimaschutz, mehr Innovation und mehr Zusammenhalt in Baden-Württemberg handeln."
Am Donnerstag hatten die Grünen in einer sehr dürren Pressemitteilung lediglich erklärt, dass man den alten und potenziell neuen Koalitionspartner am Samstag treffen werde. Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl meldete sich dagegen sofort mit einem Pressestatement zu Wort: "Die Sondierungsgespräche zeigen: Wir haben eine gemeinsame Idee für Baden-Württemberg. Und wir wollen gemeinsam eine stabile, verlässliche, gute Landesregierung bilden."
Die FDP warf den Grünen hinterher "Regulierungs- und Verbotsvorstellungen" vor
In weiteren Reaktionen auf die Entscheidung wird die Koalitionsfrage oft auf den Gegensatz "Kontinuität oder Veränderung" zugespitzt. Die Grünen hätten "die Chance verpasst, den Kompass auf Zukunft zu stellen", findet etwa der SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch. SPD und FDP hatten sich schon den schönen Namen "Zukunftskoalition" für ihr Bündnis ausgedacht. Hans-Ulrich Rülke, Fraktionsvorsitzender der FDP, lieferte mit seiner Reaktion wiederum eine mögliche Erklärung, warum Kretschmann kein Ampel-Fan ist. Die FDP sei zu Kompromissen bereit gewesen, schrieb Rülke, "wir waren aber nicht dazu bereit, die FDP völlig Regulierungs- und Verbotsvorstellungen der Grünen zu unterwerfen".
Empört äußerte sich die Grüne Jugend. "Diese Entscheidung klingt wie ein schlechter Aprilscherz", schrieb deren Sprecherin Sarah Heim. "Wir sind enttäuscht und sehen keine zukunftsfähige Regierungsmöglichkeit mit der CDU." Ihr Co-Sprecher Deniz Gedik wählte noch härtere Worte: "Jetzt einfach in dem alten Bündnis weiterzumachen, ist ein Schlag ins Gesicht aller engagierten grünen Mitglieder, die für einen echten Aufbruch Wahlkampf gemacht haben." Auf Bundesebene übte die Grüne Jugend ebenfalls Kritik. "Eine erneute Koalition mit der CDU ist falsch und fatal", sagte deren Sprecherin Anna Peters. "Vor den Wahlen haben die Grünen in Baden-Württemberg klar gesagt, dass sie sich eine Regierung ohne Union wünschen." Letzteres stimmt allerdings nicht. Co-Parteichef Oliver Hildenbrand hatte sich zwar in dieser Richtung geäußert, Winfried Kretschmann aber hatte sich alle Optionen offengelassen.