Baden-Württemberg:"Drastische Ereignisse"

Beginn Prozess zu Krawallnacht in Stuttgart

Tür zu: Auf Wunsch der Verteidiger des minderjährigen Angeklagten musste die Öffentlichkeit am Ende doch draußen bleiben.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Im Prozess gegen zwei mutmaßliche Beteiligte der Stuttgarter Krawallnacht stellt das Gericht den Grundsatz zur Debatte, der Minderjährige im Jugendstrafrecht vor der Öffentlichkeit schützt.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Wenn es um die Ausschreitungen in den frühen Stunden des 21. Juni 2020 geht, die als Stuttgarter Krawallnacht bekannt wurden, werden jugendstrafrechtliche Prinzipien in der öffentlichen Debatte immer wieder infrage gestellt. Etwa, wenn Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) über harte Urteile für 18- und 19-Jährige jubelt und diese für ihre abschreckende Wirkung lobt, oder wenn die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert, dass Heranwachsende grundsätzlich nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen seien.

Auch die Justiz fühlt sich offenbar bemüßigt, Härte zu zeigen. So hat die Jugendstrafkammer des Landgerichts Stuttgart zu Beginn des Prozesses am Mittwoch erst einmal öffentlich erörtert, ob die Öffentlichkeit im Prozess gegen zwei mutmaßliche Beteiligte der Ausschreitungen überhaupt ausgeschlossen werden muss. Gemeinsam angeklagt sind zwei Deutsche, der eine war zum Tatzeitpunkt 19 - der andere erst 16 Jahre alt.

"Ich sehe aus meiner Sicht keine Notwendigkeit", sagte der Vorsitzende Richter Christian Klotz, und die Staatsanwältin betonte, dass es "zu Recht" ein hohes öffentliches Interesse an der Verhandlung gebe, aufgrund der "drastischen Ereignisse, die die Bevölkerung in Stadt und Umland nachhaltig erschüttert" hätten. Man werde sich aber dem Wunsch der Anwälte des minderjährigen Angeklagten nicht entgegenstellen, die Verhandlung ohne Zuschauer fortzusetzen. Denn eigentlich ist die Sache klar: Im Jugendstrafrecht steht der erzieherische Gedanke im Vordergrund, und dazu gehört der Grundsatz, dass Verhandlungen gegen Minderjährige nicht öffentlich sind, um ihnen den weiteren Lebensweg nicht zu verbauen.

Es sind die bisher schwersten Tatvorwürfe, die aus der Krawallnacht folgen. Vor Gericht stehen ein Schüler und ein Auszubildender aus dem Stuttgarter Umland. Der Ältere soll einen 24-jährigen Beobachter der Ausschreitungen so fest mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben, dass der bewusstlos zu Boden fiel. Der Jüngere soll dann mit Wucht gegen den Bauch und den Kopf des am Boden Liegenden getreten haben. Die Staatsanwaltschaft wertet das als gemeinsamen versuchten Totschlag. Laut Anklage hatte der 24-Jährige einige Randalierer davon abhalten wollen, Polizisten zu bewerfen.

Die beiden Angeklagten sollen auch Flaschen geworfen, Beamte beschimpft und die Scheiben von zwei Einsatzfahrzeugen demoliert haben. Weil die Angriffe auf die Polizei aus einer großen Gruppe heraus stattfanden und damit der öffentliche Friede in Stuttgarts Innenstadt gestört worden sei, wertet die Staatsanwaltschaft diese Vorgänge unter anderem als schweren Landfriedensbruch.

In der Stuttgarter Krawallnacht hatten sich mehrere Dutzend junger Männer spontan zu einer gewaltbereiten Front gegen die Polizei zusammengeschlossen und anschließend Polizeifahrzeuge und Schaufenster demoliert sowie einige Läden geplündert. Ein halbes Jahr danach hat die Polizei etwa 120 Tatverdächtige ermittelt, zwei Drittel von ihnen sind 21 Jahre alt oder jünger. Beim Großteil lautet der Vorwurf schwerer Landfriedensbruch. In 50 Fällen wurde inzwischen Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt. Sechs Strafbefehle wurden bisher erlassen und 13 Urteile gefällt. Drei davon sind rechtskräftig.

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