Süddeutsche Zeitung

NSU-Ausschuss:Sherlock Holmes von Esslingen

Wolfgang Drexler rollt die NSU-Affäre in Baden-Württemberg auf. Dabei stößt der Chef des Untersuchungsausschusses auf Polizisten, die beim Ku-Klux-Klan Frauen kennen lernen wollen, auf zerstörte Mythen und schlampige Ermittlungen.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Der Herr Vorsitzende knetet während der Sitzungen häufig an seinem Nacken herum. Der macht ihm Schmerzen, wenn er sich bis in die Nacht hinein vorbereitet und kaum Schlaf gefunden hat. Aber an den Nackenschmerzen liegt es nicht, wenn Wolfgang Drexler im NSU-Untersuchungsausschuss recht übellaunig mit Zeugen umspringt. Sondern an dem Kram, den sie von sich geben. Ein bisschen Hakenkreuz, ein bisschen Hitlergruß, halb so wild, man habe eben ziemlich viel gesoffen. "Man kann mir literweise Wodka einflößen, und ich stelle mich trotzdem nicht vor eine Hakenkreuzfahne", hat Drexler einem der Zeugen entgegengeschleudert.

Und dann diese Polizisten. Einer hatte sich dem Ku-Klux-Klan angeschlossen, weil er angeblich Frauen kennenlernen wollte und sich für die Bibelauslegung des KKK interessierte. Ein anderer sagte dem Ausschuss, er habe beim KKK "sein soziales Umfeld erweitern" wollen. Drexler wurde sehr laut mit den beiden.

Beim Sommerfest des Kleingartenvereins loben sie seine Ermittlungsarbeit

"So etwas", sagt Wolfgang Drexler, "regt mich ganz persönlich auf." Er sitzt in seinem Amtszimmer als stellvertretender Landtagspräsident, hemdsärmelig und ziemlich aufgeräumt. Warum ihn solche Aussagen nicht nur als Sozialdemokraten und Parlamentarier aufregen, sondern wirklich ganz persönlich, darüber wird noch zu reden sein. Erst einmal zieht Drexler mit einigem Stolz eine Halbzeitbilanz seines Gremiums. Dem Anschlag auf Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen Martin A. in Heilbronn widmet man sich eingehend erst im Herbst, aber am Rande des NSU-Komplexes hat der Ausschuss mehr herausgefunden als die Polizei.

Unvergesslich vor allem, wie der Vorsitzende, handschuhbewehrt, verkohlte Gegenstände aus dem Auto des angeblichen NSU-Kenners Florian H. vorführte. Die Polizei hatte sie im Wrack übersehen, in dem H. kurz vor einem Termin beim LKA im September 2013 verbrannt war. Gegen drei der damals ermittelnden Beamte laufen jetzt Disziplinarverfahren.

Was nun die Zeitungen über ihn und sein Gremium schreiben, ist die eine Sache. Wolfgang Drexler erzählt lieber vom vergangenen Sonntag, dem Sommerfest eines Kleingartenvereins zu Hause in Esslingen. Drexler trat mit dem Shanty-Chor der Marinekameradschaft Tsingtao auf, man sang Seemannslieder. Der Vorsitzende des Kleingartenvereins rühmte ihn danach als "Sherlock Holmes", und auch sonst lobten die Leute seine Ermittlungsarbeit. Drexler gewinnt daraus die Sicherheit: "Wir haben es geschafft, das Vertrauen in den Staat und das Parlament wiederherzustellen."

Drexler, das alte Schlachtross der SPD

Ausgerechnet das Bundesland, in dem der rätselhafteste NSU-Mord angesiedelt war, hatte die Aufarbeitung der NSU-Affäre zunächst dem Innenministerium und einer vom Parteienstreit gelähmten Enquetekommission überlassen. Erst Ende 2014 entschloss sich das Parlament zu einem Untersuchungsausschuss. Bei der Suche nach einem Vorsitzenden fiel die Wahl auf Wolfgang Drexler, 69, das alte Schlachtross der SPD.

Seit 1988 gehört Drexler dem Parlament an. Er ist mit Winfried Kretschmann der dienstälteste Abgeordnete im Landtag. Gemeinsam führten sie die Opposition an, die gemeinsame Regierung aber blieb Drexler verschlossen. Er war zuvor ehrenamtlicher Sprecher des Projekts Stuttgart 21 gewesen und deshalb nicht tragbar für die Grünen.

Doch er haderte nicht lange, auch deshalb genießt er nun Autorität über die Parteigrenzen hinweg. Die hat er genutzt, Drexler liest aus seinen Akten vor: "89 Beweisanträge hat der Ausschuss gestellt, 85 davon wurden einstimmig beschlossen. Das ist eine einmalige Leistung." Alle Fraktionen ziehen an einem Strang. Das ist in der Tat bemerkenswert im baden-württembergischen Parlament, wo seit dem Machtwechsel 2011 der Ton deutlich rauer geworden ist.

Ob der Ausschuss sein Programm bis zur Wahl im März 2016 abarbeiten kann, daran hat Wolfgang Drexler Zweifel. Möglicherweise wird er nur einen Teilbericht vorlegen können. Was als Vermächtnis bleiben wird? Zumindest ein paar zerstörte Mythen. Florian H. war wohl doch nur ein labiler Mann, der zur Hochstapelei neigte und sich selbst verbrannt hat. Die dubiose Neoschutzstaffel, der er angehörte, hatte offenbar nur ein weiteres Mitglied.

Dass sich Rechtsradikale nach dem Gesundheitszustand von Kiesewetters verwundetem Kollegen erkundigten, ist offenbar ebenso nur eine Mär wie die Behauptung, ein Verfassungsschützer habe schon 2003 Kenntnis vom NSU gehabt, aber einen Aktenvermerk auf Weisung von oben vernichten müssen. All das ist Ergebnis von stundenlangen Befragungen. Von Leuten, die nicht an das Werk eines NSU-Trios glauben und eine größere Verschwörung vermuten, bekommt Drexler schon zu hören, ob er denn nicht wirklich aufklären wolle. Er kann nur antworten: "Wir brauchen Beweise."

Zumindest soll am Ende die Botschaft stehen, dass das Parlament den Sicherheitsbehörden nichts durchgehen lässt. Fassungslos macht Drexler vor allem, dass die beiden Ku-Klux-Klan-Polizisten fast ungeschoren davonkamen: "Entweder war das eine ungeheure Schlamperei, oder man hat die Fälle bewusst verschleppt."

Auf der Rohrbombe der Neonazis stand ein Name: Wolfgang Drexler

Warum solche Dinge Wolfgang Drexler ganz persönlich aufregen? Der Grund liegt in seiner Vita. In den Sechzigerjahren arbeitete er in Israel im Kibbuz. Er reiste mehrmals nach Polen und besuchte Auschwitz. Er litt unter dem Schweigen, der Sprachlosigkeit.

1971 heiratete er eine Polin - und neun Jahre später stand das Paar in Esslingen unter Polizeischutz, weil Drexler eine Ausstellung über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze organisiert hatte. Im Privathaus des beteiligten Landrats ging eine Rohrbombe hoch. Als die rechtsradikale Zelle, die hinter dem Anschlag steckte, festgenommen wurde, fand man eine weitere Rohrbombe, darauf ein Name: Wolfgang Drexler.

Drexler will keine große Sache daraus machen, bloß erklären, warum er manchmal so laut wird. Und warum er auch nach 2016 als Parlamentarier arbeiten will. Ob ihn die Ausschussarbeit in den politischen "Olymp" befördern werde, wurde er kürzlich gefragt. "Ach, was täte ich denn da oben?", antwortete er lächelnd. Es gibt ja noch so viel zu tun, hier unten.

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Quelle:
SZ vom 30.07.2015/sks
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