Baden-Württemberg:Bellen und beißen

Pressekonferenz vor Schulbeginn

Eltern haben mitgezählt: Im Großraum Stuttgart gebe es Schüler, bei denen dieses Schuljahr 14 Prozent des Unterrichts ausgefallen seien.

(Foto: Caroline Seidel/dpa)

Weil so viel Unterricht ausfällt, wollen Eltern die Landesregierung in Stuttgart verklagen. Kultusministerin Eisenmann gibt sich entspannt - doch für sie steht viel auf dem Spiel.

Von Paul Munzinger

Das Schuljahr ist in Baden-Württemberg erst wenige Wochen jung, aber schon jetzt ist für Michael Mattig-Gerlach klar: Es ist alles beim Alten - und so darf es nicht weitergehen. Es gebe Schüler im Großraum Stuttgart, bei denen seit Ende der Sommerferien Mitte September bereits ein Fünftel des Unterrichts ausgefallen seien. Oder ganz konkret: 46 der ersten 216 Schulstunden dieses Jahres. Im Schnitt, so hat es die Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien, kurz: Arge, im Regierungsbezirk Stuttgart ermittelt, konnten knapp elf Prozent des Unterrichts nicht wie geplant stattfinden, weil die Lehrerin oder der Lehrer krank oder anderweitig verhindert war und kein Ersatz bereitstand. Die Elternvertreter, allen voran ihr Vorsitzender Mattig-Gerlach, haben genug von solchen Zahlen. Sie wollen "juristisches Neuland" betreten - und das Land Baden-Württemberg verklagen.

Es ist bereits der zweite Anlauf: Seit Jahren schon protestieren die Elternvertreter gegen den Unterrichtsausfall an Gymnasien, Anfang 2018 erhoben sie erstmals eigene Zahlen. Im März legten sie das Gutachten eines Rechtsanwalts vor, demzufolge ein erheblicher Unterrichtsausfall "gegen die verfassungsrechtliche Garantie eines hinreichenden und im Umfang für alle Schüler im Wesentlichen gleichen Unterrichts verstößt". Ein Ausfall von mehr als acht Prozent in den letzten drei Jahren vor dem Abitur sei nicht zumutbar. Ein Vater erklärte sich bereit, die ausgefallenen Schulstunden seines Sohnes vor Gericht zu bringen.

Zur Klage kam es dann doch nicht, was Mattig-Gerlach so erklärt: Man habe dem Ministerium Gelegenheit geben wollen, die Situation zu verbessern - doch es habe die Chance nicht genutzt. "Jetzt wollen wir zeigen, dass wir nicht nur bellen, sondern auch beißen können." Im Januar soll es so weit sein, wieder habe sich eine Familie gefunden, die zur Klage bereit sei. Den Namen wollen sie aber dieses Mal nicht vorher verraten, sagt Mattig-Gerlach. Nach der Ankündigung im März habe das Kultusministerium bei der Schule des Sohnes angerufen und eine Minimierung des Unterrichtsausfalls angeordnet, um der Klage die Grundlage zu entziehen. Das Ministerium weist das zurück.

"Selbstverständlich steht in unserem Rechtsstaat jedem der Rechtsweg offen", sagt Susanne Eisenmann, die als Bildungsministerin in Baden-Württemberg seit Jahren die Unzufriedenheit vieler Eltern abbekommt. "Ob diese Klage allerdings die Situation an den Schulen verbessern und zusätzliche Lehrkräfte schaffen wird, wage ich zu bezweifeln." Das klingt gelassen, aber für Eisenmann steht viel auf dem Spiel. Die CDU-Politikerin fordert 2021 den populären grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann heraus. Eisenmann betont deshalb nicht nur, was sie alles gegen den Lehrermangel unternehme - eine Erhöhung der Krankheitsreserve, ein Aufstockungsmodell, eine vorausschauende Planung -, sie schiebt das Problem auch in seltener Direktheit ihren Vorgängern in die Schuhe. Die hätten ihr "durch falsche Einschätzungen und Entscheidungen die jetzige, sehr unbefriedigende Situation hinterlassen".

Mattig-Gerlach, 70, der zwei erwachsene Töchter hat und einen Sohn in der elften Klasse, beklagt dagegen, dass Eisenmann die Fehler ihrer Vorgänger nicht etwa ausbügele, sondern wiederhole. Die neuen Lehrerstellen genügten noch nicht einmal, um den Status quo an den Schulen zu halten. "Solange man Kinder nur als Kostenfaktor sieht", sagt er, "wird sich auch nichts ändern." Ein Trost für Eisenmann: Auf den früheren Lehrer Kretschmann ist Mattig-Gerlach mindestens genauso wütend. "Der lässt das zu. Das ist für mich unfassbar."

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