Süddeutsche Zeitung

Bundesländer:Baden-Württemberg feiert Geburtstag - ohne Baden

Das Bundesland im Südwesten wird 70. Doch weil sich die Badener bei einer Veranstaltung zum Jubiläum übergangen fühlen, gibt es Ärger.

Von Max Ferstl, Stuttgart

Die Affäre hatte schnell die höchste Ebene der Landespolitik erreicht. Der baden-württembergische Ministerpräsident versuchte vergeblich, den Streit herunterzuspielen. Die Landtagspräsidentin räumte Fehler ein. Die AfD kündigte an, das Thema, die sogenannte "Baden-Frage", im Landtag erörtern zu lassen. Sie sorge sich um den Umgang mit "vermeintlichen Minderheiten". Nun muss eine Schlichtung retten, was noch zu retten ist - jenes Instrument also, mit dem im Südwesten zuletzt der Konflikt um den Bahnhof Stuttgart 21 befriedet wurde.

Dass diesmal Polizisten mit Wasserwerfern anrücken müssen, gilt zwar als unwahrscheinlich. Aber es besteht Redebedarf. So sieht es zumindest Peter Koehler. "Wir wollen eigentlich nicht streiten", betont der Vorsitzende der Landesvereinigung Baden in Europa - aber schweigen könne man eben auch nicht. Nicht, wenn Badener so offensichtlich benachteiligt würden.

Der Auslöser des Streits erscheint banal: Am 27. April findet in Stuttgart eine Veranstaltung anlässlich des 70-jährigen Jubiläums von Baden-Württemberg statt. Organisiert haben das Event unter anderem der Landtag, die Landeszentrale für politische Bildung und der schwäbische Heimatbund. Eine Organisation aus Baden ist allerdings nicht dabei. Daher drängte sich für kritische badische Beobachter ein schwerwiegender Verdacht auf: Baden-Württemberg feiert Geburtstag - ohne Baden.

Badener fürchten eine "Schwäbisierung" des Landes

Die Landesvereinigung Baden, die rund 11 000 Mitglieder hat, verabschiedete daraufhin eine Resolution. Der Vorwurf: Die Landespolitik denke "zentralistisch, schwäbisch" und verzichte "auf die Mitwirkung der Zivilgesellschaft des badischen Landesteils". Zwar beeilte sich die Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) darauf hinzuweisen, dass es sich keineswegs um die offizielle Jubiläumsfeier handele - die finde am 4. Mai statt, selbstverständlich mit badischer Beteiligung. Doch da hatte die Debatte bereits eine Eigendynamik entwickelt.

Die Vorstellung, dass Baden von Württemberg sogar beim eigenen Geburtstag übergangen wird, passt zum Grundgefühl vieler Badener, die ohnehin eine "Schwäbisierung" des Landes fürchten. Auch deshalb analysieren Koehler und seine Mitstreiter bei jeder Mitteilung des Landtags oder eines Ministeriums, wohin genau das Fördergeld für neue Straßen oder Krankenhäuser fließt. Sie finden: zu viel nach Schwaben, zu wenig nach Baden.

Der Gedanke von den listigen Schwaben ist nicht neu. So war es aus badischer Perspektive schon ganz am Anfang, 1952 nämlich, als aus Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden ein großes Bundesland im Südwesten entstand. Vor allem die Süd-Badener taten sich mit dem Konstrukt schwer, lehnten das neue Bundesland in der Abstimmung mehrheitlich ab - unterlagen aber. Seitdem ist das Verhältnis zwischen Badenern und Württembergern, vorsichtig formuliert, etwas kompliziert.

"Kretschmann kennt keine Badener mehr", titelt die Stuttgarter Zeitung

Um Kränkungen vorzubeugen, spielt in Baden-Württemberg Parität eine wichtige Rolle. Bedeutende Institutionen existieren in zweifacher Ausführung: In Karlsruhe und Stuttgart gibt es jeweils ein Staatstheater, eine Staatsgalerie, ein Landesmuseum, eine Landesbibliothek. Und wer bei Empfängen kein Risiko eingehen will, der bietet lieber sowohl einen Badener als auch einen Württemberger Wein an.

Dass nun beim gemeinsamen Geburtstag ausgerechnet Baden ignoriert wird, hält Peter Koehler für "ein Symbol". Selbst wenn er großzügig zugunsten der Württemberger annimmt, dass die Ursache lediglich "die übliche Vergesslichkeit in Stuttgart" sei und keine böse Absicht. Er spricht von einem "Kommunikationsmissverständnis".

Als solches dürfte auch der erste Schlichtungsversuch von Winfried Kretschmann (Grüne) durchgehen, als Ministerpräsident gleichermaßen zuständig für das Wohlbefinden von Badenern und Württembergern. Für ihn gebe es "nur noch Baden-Württemberger", sagte er wohl in der Hoffnung, das Problem ließe sich so wegdefinieren. Nicht unbedingt hilfreich bei dem Unterfangen war allerdings die Schlagzeile der in Württemberg ansässigen Stuttgarter Zeitung: "Kretschmann kennt keine Badener mehr."

Immerhin: Zum Festakt wird eine badische Delegation anreisen

Peter Koehler findet, dass ein Ministerpräsident nicht sagen sollte, "als was sich seine Bürger fühlen sollen". Er ist in Karlsruhe geboren, schon als Kind wurde ihm ein "gewisses Unrechtsempfinden" vermittelt, erzählt er. Koehler las viel über die badische Geschichte, über die Revolution von 1848/49, die eine Demokratie zum Ziel hatte. Man darf ihm schon abnehmen, dass er sehr stolz ist auf seine Heimat. Vor Kurzem hat er den Vorsitz der Landesvereinigung Baden übernommen - und befindet sich gleich mitten in einer Identitätsdebatte.

Aktuell läuft der zweite Schlichtungsversuch. Muhterem Aras, die Landtagspräsidentin, hat der schwer getroffenen Landesvereinigung einen Brief geschrieben. Sie bedauert darin, "dass wir nicht ausreichend differenziert haben zwischen dieser lokalen Tagung mit mittelbarem Bezug zum Jubiläum und dem Festakt des Landtags". Aras stellte zudem einen weiteren Dialog in Aussicht, was Peter Koehler wohlwollend zur Kenntnis genommen hat. Allerdings nicht ohne zu betonen, dass das Treffen idealerweise auf badischem Territorium stattfinden sollte, "in Karlsruhe oder einer anderen Stadt in Baden". Einen Termin gibt es noch nicht. Unwahrscheinlich, dass es noch vor den Feierlichkeiten klappt.

Und so dürften viele Badener dem Jubiläum mit gemischten Gefühlen entgegenblicken. Immerhin: Zum offiziellen Festakt am 4. Mai wird eine kleine badische Delegation anreisen, sagt Peter Koehler. Es klingt fast versöhnlich.

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