Süddeutsche Zeitung

Reise nach Xinjiang:Kommissarin für Menschenrechte hält sich mit Kritik an China zurück

Die UN-Diplomatin Bachelet hofft auf eine Möglichkeit zum Dialog - ihr Besuch soll aber keine "Untersuchung" sein. Chinas Regierung freut's.

Von Lea Sahay, Peking

Wie groß das chinesische Interesse an den Erkenntnissen war, die Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet bei ihrer China-Reise diese Woche sammeln konnte, machte eine Journalistin des chinesischen Staatsfernsehens gleich zu Beginn der Pressekonferenz am Samstag klar. Sie erkundigte sich in der Auftaktfrage nach Waffengewalt und Rassismus - in den USA. Was die Menschenrechtskommissarin dazu zu sagen habe?

Das digitale Pressegespräch war das Ende einer sechstägigen Reise mit Stationen im südchinesischen Guangzhou sowie Urumqi und Kaschgar in Xinjiang. Mehrfach hatte die UN-Diplomatin erklärt, dass ihr Besuch in Xinjiang keine "Untersuchung" sei, sondern lediglich eine Möglichkeit zum Dialog.

Bereits 2019 hatte der chinesische Außenminister Wang Yi die ehemalige chilenische Präsidentin nach China eingeladen, zunächst hatten sich beide Seiten aber nicht auf die Bedingungen der Reise einigen können.

Beobachter hatten im Vorfeld gewarnt, dass die chinesische Regierung den Besuch für ihre Propaganda missbrauchen würde. In der nordwestchinesischen Region Xinjiang haben die Behörden seit 2017 Hunderttausende muslimische Uiguren und Angehörige anderer Minderheiten in Lagern interniert. Die Menschenrechtsverstöße sind mithilfe von Regierungsdokumenten, Satellitenbildern und Augenzeugenberichten hinreichend belegt, erst am Dienstag zeigte eine Recherche internationaler Medien erneut Ausmaß und Härte der Verfolgung.

Trotz der überwältigen Beweise bestreitet Chinas Regierung die Vorwürfe jedoch, diese seien von "anti-chinesischen Kräften" frei erfunden. Peking wirft den Uiguren in der Region Separatismus und Terrorismus vor und rechtfertigt damit den massiven Ausbau des Überwachungsstaats.

Bachelet hält sich mit konkreter Kritik merklich zurück

Bachelet erklärte am Samstag, dass der Kampf gegen Terrorismus nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen dürfte. "Ich habe die chinesische Regierung ermutigt, alle Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung und Deradikalisierung zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie den internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen", sagte Bachelet. Diese dürften "nicht willkürlich und diskriminierend angewandt werden".

Bachelet kritisierte auch den Mangel unabhängiger richterlicher Aufsicht in den "Zentren für berufliche Bildung und Ausbildung", ebenjenen Einrichtungen, bei denen es sich faktisch um Internierungslager handelt. Sie sei gleichzeitig nicht in der Lage gewesen, das "ganze Ausmaß" der "Zentren" zu beurteilen.

Bei der Pressekonferenz hielt sich Bachelet mit konkreter Kritik merklich zurück. Über ihre Gespräche in Xinjiang sagte die ehemalige chilenische Präsidentin lediglich, dass sie mit allen Gesprächspartnern "ohne Überwachung" hätte reden können, soweit es die Corona-Vorschriften zuließen.

In Xinjiang soll sie ein Gefängnis und ein früheres angebliches Ausbildungszentrum besichtigt und dort auch mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und religiösen Führern gesprochen haben. Zudem habe sie bereits vor ihrer Reise Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft geführt, sagte Bachelet. Die längste Antwort bei der abschließenden Pressekonferenz gab sie auf eben jene Frage nach der Waffengewalt in Amerika.

Während ihres Besuches hatte Bachelet auch per Video mit Parteichef Xi gesprochen. In dem Gespräch hatte dieser vor einer "Politisierung" der Menschenrechte oder "zweierlei Maß" bei deren Betrachtung gewarnt. "Länder brauchen keine gängelnden Lektoren."

Chinas Staatschef propagiert schon seit 2015 seine sperrig klingende Idee einer "Gemeinschaft mit geteilter Zukunft für die Menschheit", diese stellt das Recht auf Entwicklung über die Rechte auf Freiheit und Demokratie. Beobachter sehen darin einen Angriff auf die universelle Gültigkeit der Menschenrechte.

Vom Außenminister bekommt Bachelet ein Buch des Parteichefs

In seinem Gespräch mit Bachalet erklärte Xi, dass unterschiedliche Wege einzelner Länder respektiert werden müssten. "Menschenrechte haben einen historischen, spezifischen und praktischen Kontext." Mit unterschiedlichen nationalen Bedingungen, Historien, Kulturen, sozialen Systemen und Ebenen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung müssten Länder ihren passenden Pfad der Menschenrechte erkunden.

Das chinesische Staatsfernsehen hatte später berichtet, Bachelet habe in dem Gespräch die großen Erfolge Chinas bei den Menschenrechten bewundert. Das Büro der Menschenrechtskommissarin sah sich daraufhin gezwungen, das tatsächliche Statement zu veröffentlichen, in dem sich nichts dergleichen finden ließ.

Dennoch dürfte der Besuch für die chinesische Regierung ein Erfolg sein. In den letzten Tagen zeigten viele Staatsmedien Fotos des hohen Besuchs. Darunter vor allem die Übergabe eines Mitbringsels von Außenminister Wang Yi. Dieser schenkte ihr ein Buch von Parteichef Xi Jinping: eine Anleitung zur besseren Achtung und dem Schutz der Menschenrechte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5593200
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/ghe/freu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.