Aygül Özkan vereidigt:So wahr ihr Gott helfe

Der Kruxifix-Streit ist erledigt, der Niedersächsische Landtag wählt die Muslimin Aygül Özkan zur neuen Sozialministerin - und bestaunt ihren Amtseid.

Ralf Wiegand

Christian Wulff würde am liebsten alles in einem Witz auflösen, aber lustig ist die Sache gar nicht. Wulff scherzt trotzdem eisern. "In zwanzig Jahren wird man darüber lachen", sagt der niedersächsische Ministerpräsident auf dem Weg zur Plenarsitzung und meint den Wirbel, den Aygül Özkan verursacht hat.

Aygül Özkan, dpa

Aygül Özkan ist vorsichtig geworden - warum sie bei der Vereidigung die Formel "So wahr mir Gott helfe" benutzt, erklärt sie schriftlich.

(Foto: Foto: dpa)

Das sei, so Wulff weiter, "wie bei Hildegard Knef." Als die für ein paar Sekunden nackt im Fernsehen zu sehen gewesen sei, "haben manche gefordert, die Geräte abzuschaffen". Als Wulff den Vergleich der nackten Knef und der muslimischen Ministerin türkischer Abstammung wieder einfangen will, ist es schon zu spät - längst zigfach notiert. "Hab' ich nie gesagt, werde ich abstreiten", ruft Wulff, immerzu lächelnd.

Der Regierungschef könnte glatt als Kabarettist durchgehen, so viel wie in diesen Tagen gesagt worden ist, aber nicht gesagt worden sein will. So viel Aufsehen wie die neue Sozialministerin, die 38 Jahre alte Juristin Aygül Özkan, hat kein weibliches Regierungsmitglied im Land gemacht, seit Ursula von der Leyen von Hannover aus ihre Bundeskarriere gestartet hat. Nur, dass Özkan noch gar nichts vorzuweisen hat, keinen Tag im Amt. Da ist allein diese eine Einlassung zu Kruzifixen in Klassenzimmern.

Frau Özkan hat sich entschuldigt - man darf sie wählen

Nach all den Distanzierungen, Korrekturen und Entschuldigungen, Verweisen auf das Bundesverfassungsgericht und das niedersächsische Schulgesetz, weiß an diesem Dienstag im Landtag niemand so recht, was Frau Özkan eigentlich gesagt hat oder nicht gesagt haben wollte. Ist auch egal, es hat eine Entschuldigung gegeben.

Ob sie sich nun für ihre Meinung, die Äußerung dieser Meinung oder die Interpretation der geäußerten Meinung entschuldigt hat, ist ebenfalls egal. Die Fraktion hat zur Kenntnis genommen, dass Frau Özkan Kruzifixe in niedersächsischen Klassenzimmern ganz toll findet. Man darf sie wählen.

Und so bekommt die Drucksache 16/24/21, in der der CDU-Ministerpräsident das Parlament um Zustimmung für die Ernennung von drei neuen Ministerinnen und einem Minister bittet, die Zustimmung der koalierenden Fraktionen von CDU und FDP. Neben der ersten muslimischen Ministerin Deutschlands wurden drei weitere Ressortchefs gewählt, und jede Personalie für sich wäre in normalen Zeiten eine Geschichte wert gewesen.

Der Wechsel Johanna Wankas von Potsdam, wo sie der CDU-Fraktion vorstand, ins Kabinett nach Hannover - im Fußball wäre das ein Sensationstransfer. Erste ostdeutsche Ministerin in einem Westland - es bleibt eine Randnotiz.

Der Landtag platzt wegen Aygül Özkan aus allen Nähten. Die Zuschauertribüne ist voll, die Presseplätze voller. So ist das, wenn Geschichte geschrieben wird. Die Geschichte passt in diesem Fall auf 15 formlos heruntergetippte Zeilen, auf denen das Sozialministerium erklärt, warum Özkan die Beteuerungsformel "So wahr mir Gott helfe" benutzt hat. Sie ist sehr vorsichtig geworden.

Was folgt, ist Tumult. Bernd Althusmann, Kultusminister, die Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen, die für Wissenschaft zuständige Frau Wanka - sie können sich unbehelligt gratulieren. Kein Fotograf, keine Fernsehkamera stört sie, alle balgen sich um ein Bild von Aygül Özkan mit Blumen. Sie sitzt rechts, ganz nah bei Wulff.

Es ist sein Coup gewesen, das Hamburger Polit-Talent, das erst seit sechs Jahren der CDU angehört, in sein Team geholt zu haben. Wulff genießt den Erfolg "seiner" Minister stets als seinen eigenen; den von Frau von der Leyen ebenso wie den von Philipp Rösler, obwohl der der FDP angehört. Er ist der Macher.

Die spektakuläre Umbildung des Kabinetts ist auch eine Art Comeback des Ministerpräsidenten, dem nicht wenige Amtsmüdigkeit und eine auffällige Nähe zur Wirtschaft nachgesagt haben. Wulff könnte bald umsatteln, hieß es. Nun nimmt er den Wettbewerb um den Modernisierer der CDU wieder auf.

Vom Hessen Roland Koch ist wenig zu hören, Jürgen Rüttgers steckt in Nordrhein-Westfalen in einem entscheidenden Wahlkampf, der Hamburger Ole von Beust ist frei von allen Ambitionen. Plötzlich sieht Wulffs mutige Personalfindung aus wie ein Angriff auf die Macht in der Bundespartei. Würde Özkan schnell scheitern, wäre das vorbei, ehe es begonnen hat. Und so sagt Wulff, nun ganz ernst: "Alles wird gut, es ist die richtige Entscheidung."

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