Aydan Özoğuz, 50, war bis Donnerstag Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und ist direkt gewählte Bundestagsabgeordnete aus Hamburg. Künftig will sie sich im Bundestag und ihrer Fraktion verstärkt um Außenpolitik und Menschenrechte kümmern.
SZ: Frau Özoğuz, der neue Innenminister Horst Seehofer bestimmt heute die Agenda mit seinem Satz der "Islam gehört nicht zu Deutschland". Wie ist Ihre Haltung dazu?
Aydan Özoğuz: Horst Seehofer scheint mir heute mit dem Kopf ganz in Bayern zu sein. Man kann verwundert mit dem Kopf schütteln, weil der Zweiklang, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, aber Muslime schon, erklärungsbedürftig ist. Ich finde es insbesondere inakzeptabel, dass er eine ganze Religionsgemeinschaft in Haft nimmt. Im Diskurs wirft uns das zurück, wir waren da schon weiter.
Deutschland und der Islam:Seehofer sollte die Phantomjagd einstellen
Der Bundesinnenminister muss Deutschland nicht gegen einen finsteren islamischen Wächterrat verteidigen. Er muss auch nicht in Berlin aufräumen. Er ist zuständig für den friedfertigen Umgang der Deutschen miteinander.
Was also könnte Seehofer damit bezwecken?
Ich vermute, dass er in Bayern noch mitmischen möchte, und bin mir unklar, ob das nur an der AfD liegt oder auch daran, dass er da jetzt gar keine Rolle mehr spielt und nochmal Stimmung für sich machen will. Das ist traurig, weil gerade heute viele Moscheen in Deutschland nach Brandanschlägen ihre Freitagsgebete im Freien abhalten müssen. Ich war gestern in einer völlig ausgebrannten Moschee in Berlin. Herrn Seehofer fehlt anscheinend völlig das Gespür dafür, was gerade in islamischen Gemeinden für eine Stimmung herrscht. Das war jedenfalls keine einladende Geste.
Bei den jüngsten Anschlägen ist aber noch völlig unklar, wer dahintersteckt.
Richtig. Fakt ist aber, dass Moscheen ausgebrannt sind und Mitglieder der Gemeinden nun Schlagzeilen mit diesem Satz lesen müssen.
Was empfinden Sie denn so falsch an dem Satz?
Er ist reine Symbolpolitik: Man kann doch nicht Menschen, die hier geboren wurden und eine gesamte Religionsgemeinschaft ausgrenzen, obwohl die Religionsfreiheit im Grundgesetz klar geregelt ist. Auch Herr Seehofer weiß das.
Er sagt aber auch, dass "die bei uns lebenden Muslime selbstverständlich" zu Deutschland gehören.
Das ist ein merkwürdiger Dreh: Der Islam also nicht, aber Muslime schon. Das ergibt keinen Sinn. Und was konkret soll es dann bedeuten? Wir sollten davon wegkommen, immer wieder nur Stimmungen zu bedienen und uns fragen, wie das Zusammenleben verbessert werden kann.
Sie selbst haben an ein paar Islamkonferenzen teilgenommen. Bringen diese einst von Wolfgang Schäuble initiierten Gespräche eigentlich etwas?
Wir reden da mittlerweile über Sachthemen und darüber, was die muslimischen Religionsgemeinschaften zu dieser Gesellschaft beitragen und welche Aufgaben sie übernehmen können. Das ist gar nicht so einfach, weil es eben nicht die eine islamische Gemeinschaft gibt, sondern eine Vielzahl von sehr heterogenen Gemeinden und Ausrichtungen. Leider gibt Innenminister Seehofer hier keine Orientierung und kein Signal. Das wirkt alles wenig konstruktiv. Welche Muslime haben denn eigentlich gesagt, dass man in Deutschland landesspezifische Traditionen und Gebräuche aufgeben soll? Wenn es auch mal ein vegetarisches Gericht ohne Schweinfleisch gibt, ist das dann schon die Aufgabe einer landestypischen Tradition oder ganz einfach eine gesellschaftliche Weiterentwicklung, die nur manchmal und nur für einige etwas mit Religion zu tun hat? Er müsste da wirklich klarer werden in dem, was er meint.
Kommen Sie denn persönlich mit ihm aus?
Ja, aber darum geht es in dieser Frage ja nicht. Bei anderen Themen wie zum Beispiel der Integration von Flüchtlingen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben wir ja auch Überschneidungen.
Er ist eigentlich auch wirklich kein Rechtsausleger und Hardliner.
Er muss sich trotzdem die Frage gefallen lassen, weshalb er Symbolpolitik auf dem Rücken so vieler Menschen austrägt, die spaltend wirkt. Da kann man auch ein netter Kerl sein, aber das gehört sich trotzdem nicht.
Wie empfinden Sie es, dass nun gar keine Person mehr mit Migrationshintergrund in der neuen Bundesregierung sitzt?
Ich empfinde das als große Lücke und Versäumnis. Ich habe mich selbst immer als Türöffner verstanden, bisher hat es geklappt. In diesen Zeiten nicht mehr. Letztendlich wird ausgeblendet, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist.