"Awacs"-Einsatz in der Türkei:Ein Parlamentsheer untersteht nicht der Kanzlerin

NATO AWACS aircraft is seen on the tarmac at the AWACS air base in Geilenkirchen near the German-Dutch border

Der Einsatz von "Awacs"-Flugzeugen hat auch schon zur Aufklärung von juristischen Streitfragen beigetragen.

(Foto: Francois Lenoir/Reuters)
  • Das Parlamentsbeteiligungsgesetz trifft keine klare Aussage darüber, wann der Bundestag Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen muss.
  • Bundesregierung und Opposition legen die betreffenden Passagen unterschiedlich aus.
  • Eine Auslegung wie sie die große Koalition im Falle des Einsatzes in der Türkei trifft, geht aber an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vorbei.

Von Heribert Prantl

Ein Blick ins Gesetz klärt, so sagen die Juristen gern, die Rechtslage. Das stimmt aber nicht immer. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz ist dafür ein gutes Beispiel. Dieses Gesetz aus dem Jahr 2005, in dem geregelt ist, wann der Bundestag einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zustimmen muss und wann nicht - es ist wie aus Kaugummi.

In diesem Gesetz heißt es zwar, vermeintlich klar, in Paragraf 1, dass "der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes" der Zustimmung des Bundestages bedarf. Die Türkei, über der jetzt Awacs-Flugzeuge der Bundeswehr fliegen sollen, gehört zweifellos nicht zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Also haben die Linken und die Grünen erst einmal recht, wenn sie fordern, dass das Parlament darüber abstimmen muss.

Aber in Paragraf 2 des Gesetzes heißt es dann: "Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist". Man muss kein Jurist sein, um zu ahnen, wie die Bundesregierung argumentiert, wenn sie, wie soeben, über den Awacs-Einsatz am Bundestag vorbei entschieden hat: Die ganze Chose sei völlig ungefährlich, eine Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung sei nicht zu erwarten. Wirklich nicht?

Eine Auslegung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, wie sie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und die gesamte große Koalition treffen, geht an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vorbei. Ein Blick in zwei Karlsruher Urteile klärt die Rechtslage.

Kein Minister, keine Kanzlerin soll sich da herausreden

Da ist zum einen das fundamentale Urteil aus dem Jahr 1994, in dem das Gericht das Tor für Auslandseinsätze weit aufgestoßen hat. Das war der eine Teil dieses Urteils. Der andere Teil war ein sehr weit gehendes Beteiligungsrecht des Parlaments: Die Bundeswehr sei als Machtpotenzial nicht allein der Bundesregierung überlassen, sondern als "Parlamentsheer" in die demokratische Verfassung einzufügen, verlangten die Richter. Der Bundestag müsse daher einen "rechtserheblichen Einfluss" auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte haben. Diese enorme Reichweite des Parlamentsvorbehalts war den Richtern quasi der Ausgleich für die Aufhebung der Grenzen, die der Bundeswehr bis dahin gezogen waren. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz des Jahres 2005 fußt auf diesem Urteil von 1994.

Da ist dann zum zweiten das gewichtige Verfassungsgerichts-Urteil aus dem Jahr 2010. Das Urteil, fünf Jahre nach dem Erlass des Gesetzes ergangen, kann als dessen Auslegung betrachtet werden. Es besagt: Immer dann, wenn es für deutsche Soldaten irgendwo in der Welt gefährlich werden könnte, muss über diesen Einsatz das Parlament entscheiden. Kein Minister, keine Kanzlerin soll sich da herausreden und dem Parlament sein Recht wegnehmen dürfen: nicht mit dem Argument, dass es sich beim Bundeswehr-Einsatz um bloße Routine handele; nicht mit dem Hinweis, dass der Einsatz von untergeordneter Bedeutung sei; und auch nicht mit der Behauptung, dass an die Anwendung von Waffengewalt vorerst nicht gedacht werde.

Die Erlaubnis zum Einsatz von militärischer Macht geht, das ist der Tenor und der Gehalt dieses Urteils , von der Volksvertretung, nicht von der Bundesregierung aus. Anders formuliert: Im Zweifel kann die Regierung die Relevanz des Einsatzes nicht wegschwätzen, im Zweifel reicht nicht die Entscheidung des Kabinetts; im Zweifel muss immer der Bundestag entscheiden.

Die Richter entschlossen sich zu denkbar weiten Auslegung des Grundgesetzes

Schon das Urteil von 1994 betraf, unter anderem, Awacs-Einsätze: Die Bundesregierung hatte deutsche Soldaten in die Cockpits der Aufklärungsflugzeuge gesetzt, die von 1993 bis 1995 das Flugverbot über Bosnien überwachen sollten. Karlsruhe sagte dazu Ja in seiner Entscheidung - sie wird "Out-of-area-Urteil" genannt. Verfassungsrechtlich abgehakt wurden in diesem Urteil auch andere Auslandseinsätze, in die sich der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) schon hineingeschlichen hatte: 1989 in Namibia, 1991 in der West-Sahara, 1993 in Kambodscha, 1992 in die Nato-Seepatrouille auf der Adria, 1993 in Somalia.

Die Richter entschlossen sich zu einer denkbar weiten Auslegung des Grundgesetzes: Artikel 24, der die Einordnung Deutschlands in kollektive Sicherheitssysteme regelt, erlaubt den Richtern zufolge alles, was bis zu diesem Zeitpunkt hoch umstritten war: die UN-Blauhelmeinsätze, Kampfeinsätze nach Beschluss des UN-Sicherheitsrates, militärische Beistandsleistungen für Verbündete in aller Welt.

Ein gewisser Ausgleich für diese Welteintrittskarte der deutschen Armee war die Beteiligung des Bundestags. Und auch dies: Die Abgeordneten sollten in Bezug auf ihre Entscheidung nicht vertröstet werden, bis im fraglichen Einsatz tatsächlich gebombt und geschossen wird.

Das Urteil von 2010 setzte dann diese Linie fort; die Vorgeschichte des Urteils allerdings war etwas sonderbar. Es ging um die 105 Einsätze von Awacs-Flugzeugen im Irak-Krieg gegen Saddam Hussein, sämtliche mit deutscher Beteiligung. Beim Urteil waren diese Einsätze allerdings schon Geschichte, sie lagen sieben Jahre zurück. Das Gericht stellte also nachträglich fest, was es eigentlich im Jahre 2003 im Rahmen einer von ihm abgelehnten einstweiligen Anordnung auch schon hätte sagen können und müssen: Dass der Bundestag über diesen Einsatz im türkischen Luftraum hätte entscheiden müssen.

Dass der Parlamentsvorbehalt geachtet werden muss, ist der FDP zu verdanken

Die Regierung Schröder, so das Verfassungsgericht, habe das Parlament rechtswidrig nicht beteiligt - also den Parlamentsvorbehalt nicht beachtet, das Grundrecht des Bundestags negiert, das Grundgesetz verletzt. Das war deutlich, das ist deutlich, und das gilt nach wie vor.

Diese Klärung ist der FDP zu verdanken. Sie war 2003 die einzige Fraktion, die sich gegen die Missachtung der Parlamentsrechte wehrte. SPD und Grüne waren damals Regierungsparteien, sie fügten sich dem Schalten und Walten des Kanzlers Gerhard Schröder, der mit dem Awacs-Einsatz im Vorfeld des Irak-Krieges sein Nein zu diesem Krieg abfedern wollte.

Es ist deshalb durchaus delikat, dass jetzt die Grünen das fordern, was sie noch 2003 für nicht notwendig hielten: eine Abstimmung des Bundestags über den aktuellen Awacs-Einsatz in der Türkei. Gleichwohl: Das Karlsruher Votum gilt - unabhängig davon, wer es erwirkt hat. Die FDP sitzt nicht mehr im Bundestag, aber hier wirkt sie fort.

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