Wenn es brenzlig wird, steuert man am besten um - und setzt ein anderes Thema. Nur wenige Interessenvertreter sind in der Kunst der Ablenkung derzeit so geübt wie die Lobbyisten vom Verband der Automobilindustrie (VDA). Als Deutschland darüber diskutierte, wo die ersten Fahrverbote drohen, lancierte der VDA eine Studie zum drohenden Jobabbau bei Autoherstellern angesichts der Abgasaffäre. Am Donnerstag sollte die Taktik wieder aufgehen - diesmal allerdings in eigener Sache.
In Berlin machte das Gerücht die Runde, Deutschlands einflussreichster Strippenzieher, VDA-Präsident Matthias Wissmann, stehe kurz vor der Ablösung. Möglicherweise müsse der ehemalige Verkehrsminister seinen Posten schon direkt nach der Bundestagswahl im September aufgeben, hieß es. Das Dementi folgte umgehend. "Abwegig" nannte ein VDA-Sprecher die Gerüchte. "Wir haben volles Vertrauen in Herrn Wissmann", sagte auch BMW-Chef Harald Krüger. Sprecher von VW und Daimler dementierten eine Ablösung des früheren CDU-Politikers ebenfalls. Und Wissmann selbst? Der VDA-Chef redete das Thema auf einer Pressekonferenz weg. "Erstmals sind Aussteller aus Finnland und Peru dabei", sagte er zum nahenden Start der Automesse IAA. Zur eigenen Zukunft kein Wort. Aber Wissmann weiß, dass sie offen ist. Vorsorglich habe er am Donnerstag mit den Chefs der drei großen Autokonzerne VW, Daimler und BMW telefoniert, um sich Rückendeckung zu holen, heißt es aus seinem Umfeld.
Trotz aller Dementis: Das Vertrauen schwindet. Einen Rauswurf soll es aber nicht geben
Denn hinter den Kulissen hat das Geschacher um seine Nachfolge schon begonnen. Eine rasche Ablösung gilt zwar als unwahrscheinlich, sein Zweijahresvertrag läuft erst Ende 2018 aus. Dann ist Wissmann 69. Würde er gebeten, erneut anzutreten, er müsste nicht lange überlegen, sagen Vertraute. Seine Gegner jedoch übten intern immer offener Kritik, heißt es in der Branche. Inzwischen mache sich mehrheitlich die Einschätzung breit, dass ein neues Schwergewicht ans Ruder müsse. Trotz aller Dementis: Das Vertrauen schwindet unübersehbar. Als im Juli dieses Jahres die brisanten Kartellvorwürfe gegen die Autobranche ans Licht kamen, hatte Wissmann scharf reagiert. Illegale Absprachen seien ebenso "inakzeptabel" wie ein "Surfen in rechtlichen Grauzonen". Sollte sich der Verdacht bestätigen, dann sei das "ein Anlass für eine kulturelle Neudefinition". Er sei "überrascht über diese Stellungnahme" gewesen, entgegnete Daimler-Chef Dieter Zetsche kurz darauf. Eine Distanzierung. Auch beim Dieselgipfel war Daimler dem Vernehmen nach eher unzufrieden mit dem obersten Lobbyisten. Wissmann müsse präsenter sein und mehr im Sinne der Branche sprechen.
Einen Rauswurf soll es dennoch nicht geben. Zu hilfreich ist zum einen Wissmanns enger Draht zu Kanzlerin Angela Merkel. Eine SMS von ihm könne im Kanzleramt Türen weit öffnen, heißt es. Beide verbindet eine lange Geschichte miteinander. Beide waren Minister im Kabinett Kohl. Zum anderen steht die große Autoshow IAA an, deren Gastgeber der Verband ist. Und dann ist da noch der nächste Diesel-Gipfel. Unruhe schadet da nur. Auch weil sich die Debatte in Sachen Diesel gerade zugunsten der Industrie dreht: Teure Hardware-Lösungen scheinen immer unwahrscheinlicher.
Nach der Wahl aber soll sondiert werden. Der Wunschkandidat vieler Automanager für einen Führungswechsel 2018 sitzt derzeit in Brüssel: Günther Oettinger, 63, ist seit Anfang des Jahres Kommissar für Haushalt und Personal. Allerdings ist er das noch bis 2019. Einen schnellen Wechsel nach Berlin schließt man in seinem Umfeld daher aus. In der Branche gilt er gleichwohl als Hoffnungsträger. Oettinger ist nicht nur in der Bundespolitik bestens verdrahtet. Angesichts der Kartellvorwürfe könnte er auch in Brüssel helfen. Eine Karenzzeit für den Wechsel auf einen Lobbyjob müsse der CDU-Politiker vermutlich nicht einhalten. Die 18-monatige "Abkühlfrist" wäre bei ihm wohl kein Thema.
Auch Oettinger selbst hat sich ein Engagement in der Wirtschaft grundsätzlich offengehalten. Doch es gilt als fraglich, ob er bereit wäre, das Kommissionsamt vorzeitig zu verlassen, erst recht, wenn ihm in Brüssel eine weitere Amtszeit winkt. Zudem sind noch nicht alle Autohersteller von der Personalie überzeugt. Daimler gilt als Befürworter, andere Hersteller finden, erst mal solle die künftige Ausrichtung des VDA bestimmt werden - und dann ein neuer Präsident. Man müsse sich weitere Kandidaten anschauen, heißt es in einer anderen Chefetage. Doch die Auswahl ist lange nicht mehr so zahlreich wie noch vor zwei oder drei Jahren. Vor der Dieselaffäre habe es an Bewerbungen für den gut bezahlten Posten in der Hauptstadt nicht gemangelt. Selbst Staatssekretäre aus Berlin hätten sich selbst ins Spiel gebracht, heißt es bei einem der dominierenden Autohersteller. Inzwischen habe sich der Wind gedreht. Man müsse wohl selbst auf die Suche gehen.