Autoindustrie:Neues Diesel-Urteil bestätigt Umweltschützer

Lesezeit: 3 min

In immer mehr Städten drohen Dieselfahrverbote. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Auch in Mainz muss die Luft sauberer werden, sonst drohen Fahrverbote, entscheidet ein Gericht. Kanzlerin Merkel kritisiert die Autohersteller scharf.

Von Markus Balser, Robert Roßmann und Jan Willmroth

Angesichts der Landtagswahl in Hessen sucht die Bundesregierung nach schnellen Maßnahmen, um Fahrverbote für Dieselfahrzeuge zu verhindern. Das Kabinett beschloss am Mittwoch ein "Eckpunktepapier". Kanzleramtschef Helge Braun sagte anschließend, die Regierung sei überzeugt, dass mit den darin festgelegten Schritten "in den meisten der 65 betroffenen Städte Fahrverbote vermieden werden können". Der Druck auf die Politik wächst jedoch weiter. Nach einem am Mittwoch ergangenen Urteil muss Mainz als nächste deutsche Großstadt Fahrverbote für ältere Dieselautos vorbereiten.

Die Autoindustrie mache "wegen ein paar Hundert Euro ein Riesentheater", rügte Merkel

Die Bundesregierung will unter anderem bereits Anfang November das Straßenverkehrs- und das Immissionsschutzgesetz ändern. Das umstrittene Vorhaben soll Fahrverbote in 51 Städten verhindern, in denen Grenzwerte nur leicht überschritten werden. Sie forciert zudem die Vorbereitungen für eine Nachrüstlösung für ältere Dieselautos. Das Verkehrsministerium erarbeite dafür "unverzüglich die rechtlichen und technischen Vorschriften", um Ausnahmen von Verkehrsbeschränkungen zu ermöglichen, heißt es in dem Eckpunktepapier. Zuvor hatte die Regierung für die bürokratischen Vorbereitungen bis zu zwei Jahre veranschlagt. Laut Kabinett soll die Autoindustrie verpflichtet werden, die Kosten für bessere Abgasreinigungssysteme in Problemstädten zu tragen. Bedingung sei, dass entsprechende Systeme "den Stickoxidausstoß auf weniger als 270 Milligramm pro Kilometer reduzieren."

Die Regierung verschärfte auch den Ton gegenüber der Industrie. Bei einem Wahlkampfauftritt in Dieburg verglich Angela Merkel das Verhalten der Autohersteller mit dem von Bankmanagern in der Finanzkrise. Sie könne die damalige Wut der Menschen auf die verantwortlichen Bankmanager gut verstehen, sagte die Kanzlerin. Und jetzt sei das Verhalten der Autokonzerne in der Dieselaffäre verantwortungslos. Es sei nicht einzusehen, dass "die Autoindustrie in Amerika viel Geld bezahlt, aber bei uns nun wegen ein paar Hundert Euro ein Riesentheater macht", sagte Merkel mit Blick auf die Hersteller. Diese lehnen es ab, die Nachrüstkosten voll zu tragen.

In Mainz spricht am selben Tag die Vorsitzende Richterin Stefanie Lang am Verwaltungsgericht ein Urteil. Es ist das achte in der Klagewelle der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen deutsche Städte mit problematischer Luftqualität. Und zum achten Mal bekommt der Verein recht: Bis April muss die Stadt Mainz ihren Luftreinhalteplan überarbeiten und um die Möglichkeit erweitern, Straßen für ältere Dieselfahrzeuge zu sperren. Werden die Grenzwerte im ersten Halbjahr nicht eingehalten, muss die Stadt die Fahrverbote von September an verhängen. Nach derzeitigem Stand wird sich das kaum noch verhindern lassen. Ob dann einzelne Straßen oder eine Zone gesperrt werden muss, ließ das Gericht offen. Die Rheinbrücken sowie größere Zufahrtsstraßen wären von etwaigen Fahrverboten nicht betroffen.

Der Mainzer Richterspruch zeigt, wie gravierend das Luftproblem in deutschen Städten ist

Die Kommunalverwaltung wusste, dass die Zeit knapp wird. Eilig hatte man in den vergangenen Monaten Maßnahmen beschlossen, um die drohenden Verkehrsverbote abzuwenden. Die teilweise veraltete Busflotte soll früher als geplant mit Katalysatoren umgerüstet werden, neue Busse mit der Abgasnorm Euro-6 sollen alte Euro-3-Busse ersetzen, im kommenden Jahr sollen die Verkehrsbetriebe Fahrzeuge mit Brennstoffzellen- und Batterieantrieb bekommen. Ein "Masterplan" sieht neue Straßenbahnlinien vor und die Stärkung des Radverkehrs. Trotz alledem sagte die Vertreterin der Stadt vor Gericht, auch 2019 werde man im Jahresmittel den Grenzwert nicht einhalten können, sondern erst danach. Das reichte der Richterin, um zugunsten der DUH zu urteilen.

Deren Chef Jürgen Resch will den Richterspruch als weiteres Signal an die Bundespolitik verstanden wissen. Die bislang beschlossenen Maßnahmen - Software-Updates und in besonders belasteten Städten eine Tauschprämie - reichten nicht aus, um die Luft in deutschen Städten schnell genug zu verbessern. Hardware-Nachrüstungen für ältere Diesel seien unumgänglich. "Sollte die Bundesregierung auch diesen Warnruf ignorieren: Wir haben in diesem Jahr noch sechs weitere Verfahren ausstehen", sagte Resch.

Das Urteil vom Mittwoch zeigt abermals, wie gravierend das Luftproblem in deutschen Städten ist. Seit 2010 gelten die aktuellen Grenzwerte, schon im Jahr 2011 hatte die DUH die Stadt Mainz verklagt. In 64 weiteren Städten wurde im Durchschnitt des vergangenen Jahres mehr Stickstoffdioxid in der Atemluft gemessen als gesetzlich erlaubt ist. Auch vor anderen Gerichten war die DUH erfolgreich, zuletzt gegen Frankfurt, für das die hessische Landesregierung die ab Februar drohenden Fahrverbote noch zu verhindern versucht. Die ersten und bisher einzigen Verbote gelten in Hamburg. Dort sind seit 1. Juni zwei Straßenabschnitte für ältere Diesel gesperrt. In Stuttgart und Aachen sollen Anfang nächsten Jahres erste großflächige Dieselsperren gelten, in Berlin von Mitte 2019 an. In Hessen steht zudem am 21. November eine Verhandlung über die Luft in Darmstadt an, kurz darauf geht es um die Landeshauptstadt Wiesbaden.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung reagierte am Mittwoch zurückhaltend auf das Mainzer Urteil. Man werde nun alles dafür tun, dass sich die Luftqualität in Mainz weiter verbessere und Fahrverbote auch in Zukunft vermieden würden, hieß es in einer Erklärung der Staatskanzlei. Die Stadt Mainz kündigte an, die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten und danach über eine mögliche Berufung zu entscheiden. Gleichlautend forderten Rathaus und Landesregierung, vom Bund unterstützt zu werden - an verpflichtenden Hardware-Nachrüstungen, bezahlt von den Herstellern, führe kein Weg vorbei. So sieht das auch die DUH.

© SZ vom 25.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: