Süddeutsche Zeitung

Auswertung Wahl-Thesentest:Ist politische Überzeugung eine Frage des Alters?

Mehr als 50 Jahre kann der Altersunterschied zwischen Abgeordneten in deutschen Parlamenten betragen. Hat das Alter eine Auswirkung auf die Meinung der Politiker zu USA, Datenschutz oder Homo-Ehe? Die wichtigsten Erkenntnisse in der Auswertung unseres Wahl-Thesentests.

Von Martin Anetzberger

Sind die politische Ansichten eines Abgeordneten von seinem Alter abhängig? Auch mit diesem Thema haben wir uns beschäftigt, nachdem fast 600 Abgeordnete aus Bund und Ländern beim Wahl-Thesentest von Süddeutsche.de mitgemacht hatten. Sie konnten wie Sie zu den von uns formulierten Thesen auf einer Skala von 0 ("Ich stimme absolut nicht zu") bis 100 ("Ich stimme absolut zu") Stellung beziehen. Die Zwischenstufen "Ich stimme eher nicht zu", "Ich bin unentschieden" und "Ich stimme eher zu" wurden zur Berechnung durch die Werte 25, 50 und 75 ersetzt.

Um die Ergebnisse zu unseren Wahl-Thesen dem Alter nach aufzuschlüsseln, bildeten wir fünf Altersgruppen. In die erste Gruppe wurden alle Abgeordneten mit Jahrgang 1949 und älter eingeordnet, in die zweite alle mit den Jahrgängen 1950 bis 1959, dann folgten die Jahrgänge 1960 bis 1969 und so weiter. Die fünfte Gruppe bildeten Parlamentarier, die 1980 oder später geboren wurden.

Da wesentlich mehr Abgeordnete des linken (Linke, SPD, Grüne, Piraten) als des bürgerlichen Lagers (CDU, CSU, FDP, Freie Wähler) an unserer Umfrage teilnahmen, sind die linken Parteien in allen Altersgruppen überrepräsentiert - vor allem in der jüngsten Gruppe (79 Prozent). In der ältesten Gruppe beträgt der Anteil 52 Prozent, in den mittleren drei Gruppen sind jeweils etwa zwei Drittel der Befragten Abgeordnete von Linken, SPD, Grünen oder Piraten. Das bedeutet, dass unsere Auswertung nach dem Alter der Befragten ein wenig nach links verzerrt ist. Da dies für alle Altersgruppen gilt, können grundlegende Tendenzen aber auch am Alter festgemacht werden. Hier die wichtigsten Ergebnisse.

Je jünger die Abgeordneten ...

... desto größer die Skepsis gegenüber den USA: Das Vertrauen in die Weltmacht USA, mit der Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges in engem Verhältnis steht, ist bei den jüngeren Abgeordneten keine Selbstverständlichkeit mehr. Liegt der Durchschnittswert zum Statement "Die USA sind ein äußerst vertrauenswürdiger Partner" bei den Ältesten noch bei 62 Punkten, sinkt dieser schon in den drei mittleren Gruppen (Jahrgänge 50 bis 79) auf etwa 50 ab. Für die jüngste Gruppe ergeben sich durchschnittlich nur noch 43 Punkte.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für die These "Der Drohnenkrieg der USA ist gerechtfertigt": Hier erreichen die 1980 und später geborenen Abgeordneten 20 Punkte. In der ältesten Gruppe liegt dieser Wert bei 35. Die Gruppen der 50er-, 60er- und 70er-Jahrgänge pendeln sich zwischen 25 und 30 ein.

... desto größer die Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen: Auf Eingriffe in den Datenschutz reagieren jüngere Abgeordnete tendenziell empfindlicher als ältere. Mit der Forderung, dass die Polizei leichter auf digitale Verbindungsdaten zurückgreifen können müsse, können die beiden jüngsten Gruppen am wenigsten anfangen - ihre Mittelwerte liegen bei 26 beziehungsweise 30 Punkten. Bei den 50er- und 60er-Jahrgängen errechneten wir einen Schnitt von etwa 40. Den Maximalwert von 54 Punkten erreichen hier erneut die ältesten Parlamentarier.

Die Zustimmung zu DNA-Massentests zur Aufklärung von Verbrechen nimmt mit sinkendem Alter kontinuierlich ab. Die Ältesten befinden sich mit 67 Punkten im eher zustimmenden Bereich, danach folgen die 50er (60), die 60er (54) und die 70er (49). Die jüngsten Abgeordneten liegen mit 37 Punkten schon im eher ablehnenden Bereich.

... desto kleiner die Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen: Steuerliche Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften? Eine Forderung, mit der sich jüngere Abgeordnete erwartungsgemäß am meisten identifizieren können. So erreicht die jüngste Gruppe einen Durchschnittswert von 97 Punkten, was einer absoluten Zustimmung nahekommt. Doch auch die älteren Gruppen finden sich gänzlich im zustimmenden Bereich. Die ältesten Abgeordneten erreichen immerhin noch 78 Punkte. Bei den mittleren Gruppen errechneten wir Werte zwischen 84 und 88.

Sollten Bürger per Volksentscheid über Bundesgesetze entscheiden dürfen? Unentschieden (49 Punkte) lautet die durchschnittliche Haltung bei den Abgeordneten der Jahrgänge 1949 und älter. Diese Zurückhaltung wird unter den Befragen weniger, je jünger sie sind. Die 50er und 60er liegen bei knapp 60 Punkten. Die 70er und die Gruppe der Jahrgänge 1980 und jünger liegen mit Werten von 65 beziehungsweise 67 im leicht zustimmenden Bereich.

Bei ihrer Position zur These "Deutschland braucht mehr Zuwanderung" stimmen vier unserer fünf Altersgruppen nahezu überein. Sie liegen im Schnitt bei 77 bis 81 Punkten, nur die älteste Gruppe (69 Punkte) fällt mit einer größeren Zurückhaltung auf. Bei der gesellschaftlich ebenfalls relevanten Frage zur Haltung gegenüber dem Islam ist eine ähnliche Tendenz ablesbar. Mit der Aussage "Ich finde, dass der Islam zu Deutschland gehört" tun sich die älteren ein wenig schwerer als ihre jüngeren Kollegen. Mit einem Wert von 61 Punkten befinden sie sich allerdings noch im leicht zustimmenden Bereich. Die 50er (69) und 60er (67) liegen in der Mitte. Bei den 70ern und der jüngsten Gruppe errechneten wir mit 72 beziehungsweise 77 Punkten die höchste Zustimmung.

... desto größer die Bereitschaft zum gesellschaftlichen Tabubruch: Bei zwei Fragen aus dem persönlichen Bereich unseres Fragebogens zeichnen sich ebenfalls relativ deutliche Unterschiede zwischen Jung und Alt ab: Mit dem Gehen über eine rote Ampel haben die Jüngsten tendenziell weniger Probleme. Mit 64 Punkten liegt ihr Wert im leicht zustimmenden Bereich. Die 70er und 60er landen aber nur knapp dahinter (62 und 61). Die 50er und die älteste Gruppe warten mit Werten von 56 und 49 nach eigenen Angaben noch am ehesten, bis die Ampel grün zeigt.

Eine größere Spannweite ergibt sich für die These: "Deutschland sollte sich gegenüber der aktiven Sterbhilfe öffnen". Hier zeigen sich die Jahrgänge 49 und älter mit einem Durchschnittwert von 42 Punkten deutlich skeptischer als die Jahrgänge 1980 und jünger (65). Dazwischen liegen die 50er und 60er (45 und 46). Die Jahrgänge 70 bis 79 liegen mit 51 Punkten nahezu genau im Bereich "Ich bin unentschieden".

Andere Fragen zeigen keine eindeutige Tendenz

Bei anderen Statements unseres Wahl-Thesentests erhielten wir bei der Auswertung keine klaren Tendenzen, oder die Werte wichen nur sehr geringfügig voneinander ab. Trotzdem haben wir sie in unserer Grafik visualisiert.

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