Ausweitung des Syrien-Konflikts:Israel wartet auf den Krieg

Tensions Rise Along the Israeli/ Syria Border

Israelische Soldaten auf den Golanhöhen nahe der syrischen Grenze bei einer Übung Anfang Mai

(Foto: Getty Images)

Jeder gegen jeden in Nahost: In Syrien gerät der Bürgerkrieg außer Kontrolle und in Jerusalem rechnet man zunehmend damit, hineingezogen zu werden. Noch bedrohen sich die Nachbarn vor allem mit Worten - aber Israel bereitet sich auf eine militärische Eskalation vor.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Alles ist minutiös geplant, denn gerade im Krieg darf nichts dem Zufall überlassen werden: Um Punkt 12:30 Uhr werden an diesem Montag überall in Israel die Sirenen heulen; im Fernsehen, im Radio und per SMS werden die Menschen aufgefordert, sich schnellstens in Sicherheit zu bringen wegen der Raketen, die im Anflug sind.

Wer eine Gasmaske besitzt, der sollte sie tunlichst überziehen, denn dem Feind ist durchaus auch ein Angriff mit Chemiewaffen zuzutrauen. Alle in Israel wissen und fürchten das, doch Panik wird nicht ausbrechen. Die Schulkinder, die Büroangestellten und die Passanten werden geordnet in die Schutzräume ziehen - denn dies ist nicht mehr als eine vorab angekündigte Zivilschutzübung. Regelmäßig wird so etwas abgehalten im bedrängten Frontstaat. Doch selten wohl vor einem so ernsten Hintergrund.

Syrien ist der Feind, dem diese Übung gilt, und die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Nachbarn wird in diesen Tagen in Israel allüberall beschworen. Verteidigungsminister Mosche Jaalon warnte den Damaszener Despoten Baschar al-Assad nach dem jüngsten Schlagabtausch auf den Golanhöhen: "Wir werden den Beschuss unseres Territoriums nicht dulden." Sein Generalstabschef Benny Gantz drohte, Assad werde bei einer Destabilisierung der Lage "die Konsequenzen tragen müssen", und der oberste Luftwaffengeneral Amir Eschel orakelt, Israel müsse darauf vorbereitet sein, dass jeden Augenblick ein Krieg ausbrechen könne. "Wenn Syrien morgen zusammenbricht", erklärte er, "könnten wir sehr schnell und sehr tief hineingezogen werden."

Zwei Jahre nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs, dem Israel bislang fast genauso taten- und teilnahmslos zugeschaut hat wie der Rest der Welt, ist Syrien plötzlich ganz nach oben katapultiert worden auf der Jerusalemer Gefahren-Agenda. Denn hier hat sich eine Dynamik entwickelt, die anders ist als die Bedrohungen, mit denen der jüdische Staat sonst noch konfrontiert ist: Gaza? Es kommt zwar regelmäßig zur Konfrontation mit der dort herrschenden Hamas, doch über die Jahre hat sich für die jeweiligen Rachefeldzüge mit Raketen fast ein Ritual herausgebildet. Libanon? Seit dem letzten Krieg im Sommer 2006 hält Israel die Hisbollah in Schach. Und Iran? Selbst der aufgeheizte Atomkonflikt mit dem Mullah-Regime folgt rationalen Regeln - und erscheint in diesem Rahmen noch beherrschbar.

Der syrische Bürgerkrieg aber droht nach mehr als 80.000 Toten komplett außer Kontrolle zu geraten - und das bekommt Israel an der 70 Kilometer langen Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen immer deutlicher zu spüren. Zunächst waren hier nur vereinzelt Querschläger aus Syrien auf israelischem Gebiet eingeschlagen. Mittlerweile aber passiert das nicht nur regelmäßig, sondern offenbar auch absichtlich. Mitte voriger Woche jedenfalls verkündete der syrische Generalstab erstmals, man habe ein israelisches Militärfahrzeug gezielt unter Feuer genommen. Israel hat daraufhin nicht lange gezögert und den syrischen Posten zerstört, von dem der Beschuss kam.

"Heute Nacht oder nächste Woche"

So heizt sich ein Konflikt auf, in dem die Jerusalemer Regierung nicht einmal mehr klar definieren kann, wo ihre Interessen liegen. Denn einerseits hat Israel von Beginn an auf den Sturz Assads gehofft, weil der zur nahöstlichen "Achse des Bösen" gezählt wird, die von Teheran über Damaskus zur Hisbollah in Beirut führt.

Andererseits aber mehren sich auch die Stimmen, die nun doch auf einen Sieg des Despoten setzen - mit der Begründung, dass der Teufel, den man kennt, immer noch besser ist als die Dämonen, mit denen man es danach zu tun bekäme. Befürchtet wird, dass sich nach einem Fall des Regimes feindliche Dschihadisten direkt an der Grenze zu Israel festsetzen und im schlimmsten Fall dabei noch in den Besitz der syrischen Massenvernichtungswaffen gelangen könnten.

Diese Unsicherheit müsste Israel eigentlich zur äußersten Vorsicht im Umgang mit Syrien zwingen. Diametral entgegen steht dem jedoch eine rote Linie, die die Regierung dem Regime in Damaskus gezogen hat: Demnach sollen von Syrien aus keine hochentwickelten Waffen in die Hände der mit Assad verbündeten libanesischen Hisbollah-Miliz geraten. Um das zu verhindern, hat Israels Luftwaffe seit Jahresbeginn schon drei Mal auf syrischem Boden mutmaßliche Waffentransporte bombardiert.

Nach dem bislang letzten Angriff Anfang Mai hat auch das Assad-Regime eine rote Linie gezogen und Israel für das nächste Mal mit militärischer Vergeltung gedroht. Rhetorisch sind die beiden Länder damit bereits in einer Spirale gefangen, die in absehbarer Zeit in eine militärische Eskalation münden könnte. Denn Israel lässt seinerseits keinerlei Zweifel daran, dass bei Gefahr im Verzug auch künftig Waffentransporte in Syrien bombardiert würden.

Den Ernstfall in einer Zivilschutzübung zu proben, scheint daher mehr denn je geboten zu sein. Der zuständige Minister für Heimatverteidigung, Gilad Erdan, hat die Dringlichkeit noch unterstrichen mit der Aussage, dass es "nicht mehr darum geht, ob Raketen auf große, dicht bevölkerte Regionen in Israel abgefeuert werden, sondern nur noch darum, wann dies geschehen wird." Und auch für den geschätzten Zeitpunkt hat er wenig Hoffnung auf Entspannung ausgegeben. Es könne, so sagte er, schon "heute Nacht oder nächste Woche" so weit sein.

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