Ausweitung des Euro-Rettungsschirms:Merkel reizt das schwarz-gelbe Limit aus

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"Bis hierhin und nicht weiter", hieß es. Jetzt ist die Bundeskanzlerin nach SZ-Informationen wohl doch bereit, den deutschen Beitrag zum Euro-Rettungsschirm auszuweiten. Das entspricht Angela Merkels Politik, Positionen zu räumen, wenn es opportun erscheint. Aber es bringt die Koalition an die Grenze ihrer Belastbarkeit.

Thorsten Denkler, Berlin

Es hat sich Anfang Januar schon abgezeichnet. Jetzt werden die Pläne immer konkreter. Es muss mehr Geld her, um den Euro-Raum dauerhaft zu stabilisieren. Der internationale Druck, heißt es, sei einfach zu groß, um an dem Wort vorbeizukommen, das die schwarz-gelbe Regierungskoalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel hartnäckig meidet: Aufstockung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt: "Derzeit keine Notwendigkeit" - und dann kommt er doch, der nächste Schritt. (Foto: REUTERS)

Es geht um die beiden Rettungsschirme EFSF und ESM. Im Sommer sollte ursprünglich der provisorische EFSF vom dauerhaften ESM abgelöst werden. Beide Schirme sind mit jeweils 500 Milliarden Euro ausgestattet, abgesichert zu einem geringeren Teil durch Einlagen, zum überwiegenden Teil durch Bürgschaften der daran beteiligten Länder. Deutschland sollte insgesamt mit 211 Milliarden Euro haften - nicht mehr. Das ist der erklärte Wille der Koalitionspartner. So hat es die FDP sogar per Bundesvorstandsbeschluss festgelegt.

Ein Versprechen, das demnächst wohl einkassiert werden muss. Der wahrscheinliche Plan: EFSF und ESM sollen eine Zeitlang parallel betrieben werden, die verfügbaren Mittel sollen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auf 750 Milliarden Euro hochgefahren werden. Damit würde sich der deutsche Anteil an der Haftung auf 280 Milliarden Euro erhöhen.

Immerhin ein Hinweis

In ihrer Regierungserklärung am Montag hatte Merkel diesen Punkt noch geschickt umschifft. "Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit für eine Debatte über eine Erhöhung der Kapazitäten von EFSF und ESM", sagte sie da. Um eine Erhöhung der Kapazität von EFSF und ESM geht es streng genommen ja nicht, sondern lediglich darum, eine Weile beide Schirme gleichzeitig aufgespannt zu lassen.

Konkret in Aussicht gestellt hatte Merkel am Montag lediglich, die zugesagten deutschen Einlagen für den ESM in Höhe von 22 Milliarden Euro bereits in zwei statt erst in fünf Jahren bereitzustellen. Immerhin ein Hinweis darauf, dass es notwendig sein könnte, schnell viel Geld zu Verfügung zu haben.

Im Januar hatte sich der Schwenk bereits angedeutet. Da erklärte Merkel plötzlich, es habe für sie "keine Priorität" mehr, eine Aufstockung der Mittel unbedingt zu verhindern. Mit dem Satz, Deutschland habe "immer alles getan, um den Euro zu schützen", machte sie sogar konkret Hoffnung auf ein stärkeres deutsches Engagement.

"Keinen Cent" für Griechenland?

Wer Merkel kennt, den kann das alles nicht wundern. Immer wieder hat sie Grenzen markiert, die sie dann ohne mit der Wimper zu zucken überschritten hat, wenn es ihr politisch opportun erschien.

Ganz am Anfang der Euro-Krise versprach sie, es werde von deutscher Seite "keinen Cent" für die Rettung Griechenlands geben. Inzwischen hat am vergangenen Montag der Bundestag das zweite Griechenland-Rettungspaket mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro abgesegnet. Aber Merkel war auch schon gegen die Beteiligung der Gläubiger am Schuldenabbau, gegen einen Schuldenschnitt, gegen eine Finanztransaktionssteuer im Euro-Raum, gegen den Kauf von Staatsanleihen der Krisenländer durch den Rettungsschirm. Alles Positionen, die Merkel inzwischen geräumt hat.

SPD-Chef Sigmar Gabriel bemerkte in der Bundestagsdebatte zum provisorischen Rettungsschirm EFSF im vergangenen Herbst nicht zu Unrecht: "Es gab Tage, da musste man Gedächtnisverlust im Stundentakt haben, um die Widersprüche Ihrer Politik nicht zu bemerken."

Mit erheblichen Bauchschmerzen

Der Zickzackkurs schadet ihr offenbar nicht. In den Umfragen findet sie sich nach wie vor immer in der Spitzengruppe der beliebtesten Politiker wieder.

Schwieriger für sie dürfte allerdings werden, im Bundestag noch ausreichende Mehrheiten für ihre Politik zu finden. Das "Nicht-Aufstockungs-Versprechen" war eine der zentralen Verabredungen. Dass der FDP-Mitgliederentscheid knapp zugunsten des Regierungskurses ausfiel, war auch diesem Versprechen zu verdanken.

Am vergangenen Montag hat Merkel erstmals bei einer wichtigen Euro-Entscheidung die symbolisch wirksame Kanzlermehrheit verpasst. Viele Abgeordnete, die auch diesmal mit Ja gestimmt haben, haben das mit erheblichen Bauchschmerzen getan. Die werden nicht besser, wenn es jetzt darum geht, die Mittel für die Rettungsschirme auszuweiten, indem beide Schirme parallel aufgespannt bleiben.

"Das würden die nicht mitmachen"

CSU-Chef Horst Seehofer stellt sogar einen Sonderparteitag in Aussicht, sollte eine Aufstockung notwendig werden. Wenn die Delegierten da mit Nein stimmen, wird es verdammt eng für die Koalition.

Nur eine Rückzugslinie steht jetzt noch: Die Ausstattung für den dauerhaften ESM in Höhe von 500 Milliarden darf nicht hochgefahren werden. "Das würde die FDP-Fraktion nicht mitmachen", sagt einer, der die Gefühlslage seiner Kollegen in diesen Dingen ganz gut einschätzen kann.

Aber das ist mehr eine semantische Debatte. Für die deutsche Haftungssumme ist es im Prinzip egal, ob ein Schirm aufgestockt wird oder zwei Schirme zugleich laufen. Sie steigt in jedem Fall.

Die Frage ist nur, ob damit auch das Ausfallrisiko steigt, also die Wahrscheinlichkeit, dass das viele Geld eines Tages einfach futsch ist und Deutschland auf einem ungeheuren Berg Schulden sitzenbleibt.

"Und täglich grüßt das Murmeltier"

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle glaubt das verantworten zu können. Schon im Januar sagte er, die höheren Summen, die durch die etwa einjährige Überlappung von EFSF und ESM zu Verfügung stünden, wirkten "dämpfend für das Risiko". Je höher die Schutzwälle, desto geringer das Risiko, dass da was überschwappt.

FDP-Euro-Rebell Frank Schäffler dürfte sich voll bestätigt sehen. Er glaubt ohnehin, auf eine Aufstockung werde nur die Forderung nach einer weiteren Aufstockung folgen. Via Twitter kommentiert Schäffler den Schwenk der Kanzlerin: "Und täglich grüßt das Murmeltier."

Tatsächlich ist nur schwer zu erkennen, ob die Euro-Rettungspläne tatsächlich aufgehen. Griechenland steht heute schlechter da als noch vor einem Jahr. Das Land gilt inzwischen als unrettbar. Immerhin, die Refinanzierungskosten für Wackelkandidaten wie Italien und Spanien sind leicht gesunken.

Nur ein Argument beeindruckt die meisten Abgeordneten derzeit noch mehr als alles andere: Was passiert, wenn die Dämme brechen, weil das Mauerwerk zu schwach oder die Dammkrone zu niedrig ist? Weil darauf niemand eine befriedigende und vor allem beruhigende Antwort geben kann, wird an der Aufstockung wohl kein Weg vorbeiführen.

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