Ausweisung russischer Diplomaten:"Weiter an der Eskalationsspirale gedreht"

  • Oppositionspolitiker wie Jürgen Trittin (Grüne) und der Dietmar Bartsch (Linke), aber auch der SPD-Politiker Verheugen kritisieren die Bundesregierung heftig für ihr Vorgehen gegen Russland. Es sei leichtfertig und baue auf Vermutungen auf.
  • Am Dienstag verwies Australien als 24. Land russische Diplomaten als Reaktion auf den Giftanschlag auf Sergej und Julia Skripal des Landes.
  • Moskau verurteilt das Vorgehen als rein politische Forderung und russophobe Kampagne und kündigt Gegenmaßnahmen an.

Die Opposition kritisiert die Bundesregierung heftig für die Ausweisung russischer Diplomaten. Der Grünen-Außenexperte Jürgen Trittin nannte es "leichtfertig, ohne belastbare Beweise und nur aufgrund von Indizien so gegen Russland vorzugehen und in einen neuen Kalten Krieg zu stolpern." Im Ergebnis werde der Westen nichts gewinnen, Russland seinerseits europäische Diplomaten ausweisen und weitere Gesprächskanäle würden verschüttet, sagte Trittin, der Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe ist, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch nannte die Ausweisung von Diplomaten im RND-Interview "falsch, weil damit weiter an der Eskalationsspirale gedreht wird". Auch der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen rügte, Sanktionen sollten faktenbasiert sein und nicht auf Vermutungen aufbauen. "Die Argumentation im Fall Skripal erinnert mich ein bisschen an eine Urteilsverkündung nach dem Motto 'Die Tat war dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, aber es war ihm zuzutrauen'", kritisierte der SPD-Politiker in der Augsburger Allgemeinen.

Großbritannien, die USA, Deutschland sowie zahlreiche weitere Länder verwiesen in einer bislang beispiellosen Gemeinschafsaktion russische Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter des Landes. Bis Montagabend hatten 23 Länder bekanntgegeben, insgesamt 137 Russen auszuweisen. Die Europäische Union ist in der Frage allerdings gespalten. Nachdem Großbritannien 23 russische Diplomaten aufgefordert hatte, das Land zu verlassen, kündigten bis Montagabend 16 weitere EU-Länder Ausweisungen an. Auch die Nicht-EU-Länder USA, Norwegen, Kanada, die Ukraine sowie auch Mazedonien und Albanien verwiesen Moskauer Diplomaten des Landes. Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja warf den USA wegen der Ausweisung von zwölf russischen UN-Diplomaten Missbrauch des Gastgeber-Rechts vor.

Am Dienstag schloss sich Australien als 24. Land an, das russische Diplomaten des Landes verwies. Premier Malcolm Turnbull teilte mit, dass zwei russische Botschaftsangehörige, die der geheimdienstlichen Tätigkeit verdächtigt werden, das Land innerhalb von sieben Tagen zu verlassen hätten.

Hintergrund ist der Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia Skripal. London macht Moskau für den Anschlag auf britischem Boden verantwortlich. Die Opfer befinden sich in einem kritischen, aber stabilen Zustand. Eine vollständige Genesung der beiden gilt derzeit als unwahrscheinlich.

Nach der Ausweisung der Diplomaten hat Moskau Gegenmaßnahmen angekündigt. Das Außenministerium und andere Behörden bereiteten bereits Schritte vor, kündigte Kremlsprecher Dmitri Peskow an. Wann diese beschlossen werden, war zunächst nicht bekannt. Die endgültige Entscheidung werde Präsident Wladimir Putin treffen, hieß es. Es werde Maßnahmen gegen jedes einzelne Land geben, das russische Diplomaten ausweisen will, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa am Montagabend im russischen Fernsehen. Experten gehen davon aus, dass Russland mindestens ebenso viele Diplomaten ausweisen wird.

Außenamtssprecherin Sacharowa verurteilte das Vorgehen als rein politische Forderung und russophobe Kampagne. Großbritannien habe den anderen Ländern keine einzige faktenbezogene Information vorgelegt, die eine Schuld Moskaus beweisen würde. Sie warf der EU und den USA zudem eine "durch nichts begründete Aggression vor", und das zu einer Zeit, in der Russland um die Opfer des Brandes in Kemerowo in Sibirien trauere, bei dem 64 Menschen starben. "In den Minuten, als alle Russen mit den Opfern der Tragödie von Kemerowo mitfühlten, gab es für sie nichts Wichtigeres, als neue feindselige Handlungen zu verkünden", schrieb sie in der Nacht zum Dienstag auf ihrer Facebook-Seite. "Heute haben wir Worte des Mitgefühls gehört, aber zugleich durch nichts begründete Aggression erlebt." Dies sei "schwer zu glauben und auch schwer zu vergessen".

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