Monate vor der Veröffentlichung einer Studie zur NS-Verstrickung deutscher Diplomaten hat das Auswärtige Amt eine Praxis aufgegeben, die eine Würdigung von Beamten mit NS-Vergangenheit verhindern soll. Bereits seit Februar gilt eine vom früheren Außenminister Joschka Fischer verfügte Regel nicht mehr, wonach Todesfälle in der Mitarbeiterzeitschrift grundsätzlich nur vermeldet werden, aber vorerst keine Würdigung der Verstorbenen mehr vorgenommen wird. Das bestätigte das Auswärtige Amt am Montag der Süddeutschen Zeitung.
Für Beamte der für NS-Verstrickung in Frage kommenden Jahrgänge gelte eine "Einzelfallprüfung". Die Mitgliedschaft in der NSDAP schließe dabei nicht zwingend die persönliche Würdigung in einem Nachruf aus. Nicht mehr verwendet wird allerdings die Formulierung "ehrendes Andenken". Es handle sich nun um eine "Übergangsregelung", die im Lichte der Studie überprüft werde. Ergebnisse der von Fischer in Auftrag gegebenen Studie waren am Wochenende bekanntgeworden. Deutsche Diplomaten waren demnach weit stärker in den Holocaust verstrickt, als bisher bekannt. Ein Streit über Würdigungen in der Mitarbeiterzeitschrift Intern AA hatte Fischer veranlasst, die unabhängige Historikerkommission einzusetzen.
Man nehme die Ergebnisse der Studie "sehr ernst", hieß es im Auswärtigen Amt. In einem nächsten Schritt müssten nun die Konsequenzen geprüft werden. Erwogen wird im Amt die Einrichtung einer Arbeitsgruppe. Klären muss das Auswärtige Amt auch den Umgang mit den "Ahnengalerien" im Amt und in den Botschaften weltweit. Zu sehen sind dort bis heute auch alle Botschafter der NS-Zeit. Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der die Studie am Donnerstag vorstellen will, hat angekündigt, die Ergebnisse würden zu einer "festen Größe" der Diplomatenausbildung gemacht. Auf einer speziellen Veranstaltung soll die Studie auch den Mitarbeitern des Auswärtigen Amts vorgestellt werden.
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Axel Schäfer schlug vor, dass das Ministerium auf die Bezeichnung Auswärtiges Amt verzichtet und sich künftig nur noch Außenministerium nennt. "Es wird höchste Zeit, dass der Name geändert wird und das Haus an die demokratische Tradition der vergangenen 60 Jahre anknüpft", sagte Schäfer der Süddeutschen Zeitung. Das Ressort sei kein "Amt", wie noch in Zeiten des deutschen Kaiserreichs und solle mit dieser auch im Nationalsozialismus gepflegten Namenstradition brechen. Ein guter Zeitpunkt dafür wäre das kommende Jahr, in dem sich die Wiedererrichtung des Ministeriums nach dem Zweiten Weltkrieg zum 60. Mal jähre. "Alle anderen europäischen Länder bezeichneten ihre Ressorts als Außenministerien, Deutschland solle das auch tun, sagte Schäfer.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende und frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich am Montag enttäuscht darüber, dass sein einstiger Parteivorsitzender und Vorgänger im Ministeramt, Willy Brandt, in seiner Amtszeit nicht energischer gegen Diplomaten vorgegangen sei, die damals noch im Amt gewesen und in das nationalsozialistische Regime verstrickt gewesen seien.
Der Umgang Brandts mit diesen Beamten sei ein "eher betrübliches Kapitel", sagte Steinmeier der Zeitschrift Cicero. Für Brandt sei diese Frage nicht bedeutsam gewesen, stattdessen seien sogar belastete Diplomaten belobigt worden. Er, Steinmeier, könne sich das nur damit erklären, dass Brandt Unruhe im Ministerium habe vermeiden und demonstrieren wollen, dass er als erster sozialdemokratischer Außenminister "mit einem in Generationen gewachsenen Auswärtigen Dienst umgehen könne, ohne einen Konflikt in der Personalpolitik an den Anfang zu stellen".