Australien:Der Justizminister soll es gewesen sein

QUESTION TIME, Attorney-General Christian Porter during Question Time in the House of Representatives at Parliament Hou

"Ist einfach nicht passiert": Australiens Justizminister Christian Porter weist die Vergewaltigungsvorwürfe zurück.

(Foto: MICK TSIKAS/imago/AAP)

Eine Frau hat das Kabinettsmitglied beschuldigt, sie vor 33 Jahren vergewaltigt zu haben. Tagelang hatte das Land gerätselt, auf wen sich ihr Vorwurf bezieht.

Von Jan Bielicki, München

Im Kabinett von Australiens Premier Scott Morrison sitzen 22 Minister. Nur sechs von ihnen sind Frauen. Über den 16 Männern hing bis zum Mittwochmorgen ein schrecklicher Verdacht: Einer von ihnen könnte ein Vergewaltiger sein.

Aber wer? Darüber hatte die Nation spekuliert, seit am Freitag die Existenz eines Briefs bekannt wurde, der schwerste Vorwürfe gegen einen von Morrisons Ministern enthält. Das anonyme Schreiben, das an den Premier und zwei Senatorinnen der Opposition ging, nennt zwar den Namen des Mannes. Aber erst jetzt hat der Mann, auf den die Anschuldigungen zielen, sein Schweigen gebrochen und das Rätselraten beendet. Es ist Christian Porter, der Justizminister.

Was ihm vorgeworfen werde, sei "einfach nicht passiert", beteuerte der Minister auf einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Canberra. Die Tat, die der Brief samt beigelegten E-Mails und Tonaufnahmen von Aussagen einer Frau detailliert beschreibt, soll vor 33 Jahren geschehen sein. 1988, so schreibt und sagt die Frau, sei sie von einem jungen Mann auf brutalste Weise vergewaltigt worden - eben von Christian Porter. 16 Jahre alt war sie damals, zur Polizei ging sie nicht. Porter war 17. Beide, das angebliche Opfer und der angebliche Vergewaltiger, vertraten ihre Bundesstaaten in einem nationalen Debatten-Wettbewerb für Schüler in Sydney.

Erst vor einem Jahr schaltete die Frau, beraten von einem Anwalt, die Polizei des Bundesstaats New South Wales ein. Die bildete angesichts der Prominenz des Beschuldigten eine Ermittlungsgruppe, doch die Covid-Pandemie verzögerte die Vernehmung der Frau.

Das Opfer der angeblichen Tat ist im vergangenen Jahr gestorben

Und dann war es zu spät. Ende Juni vergangenen Jahres fanden Polizisten die Leiche der 49-Jährigen in ihrer Wohnung im südaustralischen Adelaide. Nach Aussagen von Freunden hatte sie sich das Leben genommen. Sie war demnach in psychiatrischer Behandlung, litt unter einer bipolaren Persönlichkeitsstörung. Die Polizei hat ihre Ermittlungen mittlerweile mangels "genügend zulässiger Beweise" eingestellt, wie die Behörde am Dienstag mitteilte.

Darauf bezog sich nun auch der Minister. Er habe "ein Flüsterkampagne" in den vergangenen Monaten mitbekommen, erklärte Porter bei seinem emotionalen Auftritt. Er werde jedoch nicht zurücktreten, weil sonst "jeder im öffentlichen Leben einfach durch das Drucken einer Anschuldigung entfernt werden könnte". Eine kurze Amtspause will Porter einlegen, um seine psychische Gesundheit zu verbessern. Er habe die "volle Rückendeckung" von Premier Morrison.

Der 50-jährige Porter galt lange als aufstrebender Star bei den regierenden Liberalen. Sein Vater gewann 1956 eine olympische Silbermedaille im Hochsprung und war ebenso wie der Großvater eine einflussreiche Figur in der Partei. Allerdings hatten im vergangenen November Investigativ-Reporter der ABC eine lange Liste frauenfeindlicher Sprüche und frauenverachtenden Verhaltens schon aus Zeiten aufgedeckt, als Porter noch Jura studierte und später als Staatsanwalt arbeitete. Auch in Canberra soll sich der Minister demnach gegenüber Frauen unziemlich verhalten haben. Morrisons Vorgänger Malcolm Turnbull verriet, dass Porter, damals noch verheiratet, eines der Mitglieder seines Kabinetts war, die ihn zu seinem als "Bums-Bann" bekannten Ukas veranlassten. Darin verbot Turnbull seinen Ministern, sexuelle Beziehungen mit Untergebenen aufzunehmen.

Der Anwalt der gestorbenen Frau und ihre Freunde wollen den Fall nicht auf sich beruhen lassen. Noch vor Porters Auftritt forderten mehrere von ihnen eine unabhängige Untersuchung und betonten, dass sie die Aussagen ihrer verstorbenen Freundin für sehr glaubwürdig halten.

Ein Netzwerk einstiger Privatschüler prägt die für Frauen oft toxische Politiksphäre

Premier Morrison wiederum hatte schon am Wochenende erklärt, er habe mit seinem Minister gesprochen. Der habe die Vorwürfe "kategorisch zurückgewiesen". Im Übrigen sei es ein Fall für die Polizei. Morrisons liberalkonservative Regierung steht ohnehin unter Druck, seit eine junge Regierungsmitarbeiterin vor zwei Wochen öffentlich erklärt hatte, von einem damaligen ranghöheren Kollegen im Büro der heutigen Verteidigungsministerin Linda Reynolds vergewaltigt worden zu sein.

Schon dieser Fall löste eine Debatte über die Sicherheit von Frauen am Arbeitsplatz Politik aus. Der ist auch im Land mit dem weltweit zweitältesten Frauenwahlrecht noch geprägt von den mates - den Freundeskreisen, die ihre Netzwerke oft schon in teuren Privatschulen nur für Jungen und deren Teenagerkultur aus Sport, Saufpartys und fragwürdigem Frauenbild geknüpft haben. Manche weibliche Abgeordnete nennen die Atmosphäre im Parlamentsgebäude von Canberra toxisch.

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