Australien:Über Nacht zum Schaf geworden

In Australien kegelt ein alter Verfassungspassus gerade mehrere Politiker aus dem Amt - weil sie ausländische Wurzeln haben.

Von Jan Bielicki

Für viele Australier sind Neuseeland ein Witz und dessen Bewohner beliebtes Ziel zotiger Pointen. Meist geht es um den reichen Schafbestand des benachbarten Inselstaats und darum, was dessen Landwirte damit angeblich so treiben. Die Neuseeländer rächen sich, indem ihr Rugbyteam "All Blacks" Australiens "Wallabies" regelmäßig vermöbelt, zuletzt am Wochenende. Aber all das ist nicht der Grund, warum Australiens Außenministerin eine diplomatische Krise zwischen Canberra und Wellington heraufbeschwor. Sollte Neuseelands Labour Party die Wahl in vier Wochen gewinnen, werde es schwer sein, Vertrauen aufzubauen, donnerte Julie Bishop. Ihr Vorwurf: Man habe dort versucht, Australiens Regierung "zu unterminieren".

Was war geschehen? Angeregt von Freunden aus Australiens Labor Party hatte ein Abgeordneter in Neuseelands Parlament angefragt, ob denn der Sohn eines im Land geborenen Elternteils automatisch die neuseeländische Staatsangehörigkeit besitze. Die Antwort - nämlich: ja - traf Australiens politische Szene wie eine Wagenladung Schafsdung.

Mit den Konsequenzen beschäftigte sich am Donnerstag sogar Australiens höchstes Gericht. Von seinem Urteil wird abhängen, wie es mit der Regierung des liberalen Premiers Malcolm Turnbull weitergeht. Denn der Sachverhalt trifft ausgerechnet auf Turnbulls Vize zu: Der Vater von Barnaby Joyce wurde in Neuseeland geboren, ergo ist Joyce automatisch Neuseeländer, auch wenn er bisher davon gar nichts ahnte.

Das gilt, siehe Witzkultur, in Australien zum einen als Beleidigung. "Baa-naby", blökten die Boulevardzeitungen - für hiesige Heidschnucken übersetzt: Baa bedeutet Mää. Joyce ist zwar spottgestählt, seit er dem Hollywoodstar Johnny Depp in drastischen Worten androhte, dessen illegal ins Land gebrachte Hunde Pistol und Boo der Euthanasie zuzuführen. Aber nun hat er ein echtes Problem, und das nicht nur, weil er als Chef der ländlich geprägten National Party viel politisches Kapital daraus schlägt, alteingesessener Farmer aus dem tiefsten australischen Busch zu sein.

Ausländische Wurzeln werden vielen Parlamentariern plötzlich zum Hindernis

Denn laut Australiens Bundesverfassung darf nicht dem Parlament angehören, wer "Untertan oder Bürger" einer "fremden Macht" ist. Die Bestimmung aus dem Jahr 1900, lange im Vergessenen schlummernd, führte bereits zum Rücktritt eines grünen, in Neuseeland geborenen Senators. Ihm folgte eine grüne Senatorin, in Kanada zur Welt gekommen. Ressourcenminister Matt Canavan lässt sein Amt ruhen, weil ihn seine Mutter angeblich ohne sein Wissen zum Italiener machte. Sein Parteichef Joyce ist nur der prominenteste Kopf in der Affäre, die nun zahlreiche Politiker mit auswärtigen Wurzeln - und im Einwanderungsland Australien sind das viele - zwingt, nach den staatsrechtlichen Folgen ihrer Herkunft zu forschen. Außer Joyce lassen inzwischen vier weitere Parlamentarier den High Court prüfen, ob der unzeitgemäße Verfassungsartikel sie tatsächlich aus der Politik kegelt.

Entscheiden will das Gericht nicht vor Oktober. Für Barnaby Joyce selber sehen fantasievolle Verfassungsjuristen noch eine andere Lösung. Neuseeland könnte doch dem australischen Bundesstaat beitreten, so die schöne Theorie. Dessen Verfassung sieht einen Beitritt Neuseelands sogar ausdrücklich vor. Voll, ganz und eindeutig australisch wären dann auch Legenden der südlichen Hemisphäre wie der Schauspielstar Russell Crowe, die Band Crowded House und die Sahnetorte Pavlova.

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