Australien:Nach Schlappe geschwächt

Die nationalliberale Regierung von Premier Scott Morrison gerät ihrer Flüchtlingspolitik wegen unter Druck, die Umfragen sind mies.

Von Jan Bielicki

Mehr als 1500 Kilometer vor der Nordwestküste Australiens liegt die Weihnachtsinsel im Indischen Ozean. Nur 350 Kilometer sind es von diesem abgelegenen Stück australischen Territoriums zur indonesischen Hauptinsel Java, und dieser geografischen Lage ist es geschuldet, dass auf dem Eiland ein berüchtigter Gebäudekomplex steht: ein durch Stacheldraht umschlossenes Lager zur Aufnahme von Flüchtlingen, deren Boote noch bis vor sechs Jahren fast wöchentlich hier anlandeten. Seither fängt Australiens Marine Bootsflüchtlinge vor Indonesiens Küste ab und schickt sie zurück. Im vergangenen September wurde das Lager mangels Ankömmlingen geschlossen - bis Australiens Premierminister Scott Morrison am Freitag ankündigte, es wieder zu öffnen.

Die Niederlage bietet dem Premier die Gelegenheit, Flüchtlinge zum Wahlkampfthema zu machen

Die Entscheidung des Premiers hat nichts mit der - unverändert ruhigen - Lage rund um die Weihnachtsinsel zu tun, sondern mit einem historischen Ereignis in der 5000 Kilometer entfernen Hauptstadt Canberra. Im dortigen Repräsentantenhaus hat Morrisons nationalliberale Koalition in der vergangenen Woche eine Abstimmung verloren. Die Labor-Opposition setzte gemeinsam mit unabhängigen Abgeordneten ein von der Regierung heftig bekämpftes Gesetz durch. Es soll es einfacher machen, kranke Flüchtlinge aus Lagern, die Australien in den unabhängigen Pazifikstaaten Nauru und Papua-Neuguinea unterhält, zur medizinischen Behandlung aufs australische Festland zu holen. Für Morrison hat das Parlament damit "unsere Grenzen geschwächt".

Geschwächt zeigt sich aber vor allem seine Koalition. Eine wichtige Abstimmung im Repräsentantenhaus hatte eine australische Regierung zuletzt 1941 verloren. Der damalige Premier Arthur Fadden trat sofort zurück. Morrison allerdings machte klar, dass "dieses dumme Gesetz" für ihn kein Grund ist, sofortige Neuwahlen anzusetzen. Spätestens im Mai muss er turnusgemäß Wahlen stattfinden lassen, und die Umfragen sehen für die Nationalliberalen nicht gut aus. Mindestens zehn Sitze würde die oppositionelle Labor-Partei dazugewinnen, deren Parteichef Bill Shorten wäre eine Parlamentsmehrheit sicher.

Die Umfragewerte und den Verlust der Parlamentsmehrheit hat sich die Koalition selbst zuzuschreiben. Erst im August hatte der rechte Flügel der Liberalen nach einem schmutzig geführten Machtkampf in der Partei den moderaten Premier Malcolm Turnbull aus dem Amt gejagt und durch den damaligen Schatzkanzler Morrison ersetzt. Turnbull warf auch sein Parlamentsmandat hin, die Nachwahl in seinem Wahlkreis ging an eine unabhängige Kandidatin. Weil die innerparteiliche Schlammschlacht noch eine liberale Abgeordnete aus der Fraktion trieb, kann sich Morrison nun in keiner der beiden Parlamentskammern mehr auf eine Mehrheit stützen.

Die historische Abstimmungsniederlage bietet dem Premier aber die Gelegenheit, das höchst emotional besetzte Thema Flüchtlinge ins Zentrum des Wahlkampfs zu stellen. Labors Botschaft laute: "Steig auf ein Boot, komm nach Nauru, werde krank und komm nach Australien", gab Ex-Premier Tony Abbott die Schlagrichtung vor. Tatsächlich hat die Furcht vor einem unkontrollierten Einströmen von Fremden der Koalition schon früher Wahlen gewonnen - obwohl auch Labor, von humanitären Nuancen abgesehen, fest hinter der knallharten Flüchtlingspolitik des Landes steht. Wer irregulär mit dem Boot kommt, soll Australien nie betreten dürfen, lautet deren Prinzip. Die Koalition lehnt darum gar ein Angebot Neuseelands ab, Flüchtlinge aus den Lagern in Nauru und Papua-Neuguinea aufzunehmen. Diese könnten ja neuseeländische Staatsbürger werden und an ein australisches Visum kommen.

Ob diese Taktik die Stimmung der Australier noch immer trifft, ist aber fraglich. Auch im Bundesstaat Victoria hatten die Nationalliberalen auf die Furcht der Wähler vor Einwanderern gesetzt. Vergeblich. Bei Regionalwahlen im November verloren sie ein Viertel ihrer Sitze.

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