Australien:Doch sie müssen wählen

Kenbi Landrechte der Aboriginals beurkundet

Das Votum wird voraussichtlich knapp: Australiens konservativer Premier Malcolm Turnbull, hier mit Aboriginals in den Northern Territories.

(Foto: Jason Edwards/action press)

Die Australier haben einen matten Wahlkampf erlebt zwischen dem konservativen Premier Turnbull und seinem sozialdemokratischen Gegner Shorten.

Von Jan Bielicki

Von Sydney bis ins einstige Mutterland sind es 17 000 Kilometer. Doch was die jammernden Poms, wie Australier die Briten spöttisch nennen, auf ihren Stimmzetteln anrichteten, ließ auch am anderen Ende der Welt die Kurse von Aktien und australischem Dollar einbrechen. Kaum war das Brexit-Votum im fernen London klar, rief Australiens Premierminister Malcolm Turnbull seinen britischen Kollegen David Cameron an, um ihn zu "trösten", wie er sagte. Dann trat er vor die Kameras und erklärte, was sein Land nun brauche - "eine stabile Führung, einen ökonomischen Plan, eine stabile Regierung". Mit anderen Worten: eine solide Mehrheit für ihn und seine liberal-nationale Koalition im Parlament, das nun zur Wahl steht.

Der sozialdemokratische Oppositionsführer Bill Shorten von der Labor Party wiederum betonte, was das Land in diesen unruhigen Brexit-Zeiten eben nicht brauche, "einen schwachen Mann" an der Spitze, der vom rechten Flügel einer zerstrittenen konservativen Partei abhänge. Einen wie Turnbull also.

Die Unzufriedenheit liegt nicht an der Wirtschaft. Der Kontinent hat die Krisen gut überstanden

Am Samstag wählen fast 16 Millionen Australier beide Kammern ihres Parlaments. Jeder muss seine Stimme abgeben, es herrscht Wahlpflicht. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorher zwischen Turnbulls liberal-nationaler Koalition und Shortens Labor Party. Womöglich erreicht kein Lager eine Mehrheit im Parlament, weil im Unterhaus und erst recht im Senat Grüne und Unabhängige auf den Querbänken zwischen Mehrheitsfraktion und Opposition Platz nehmen könnten. Zwar werden Rechtspopulisten, hoffnungslos zersplittert, Umfragen zufolge kaum nennenswert Stimmen gewinnen. Doch immerhin jeder vierte Wähler will weder für die Liberal-Nationalen noch für Labor stimmen. Die Zufriedenswerte für Premierminister und Oppositionsführer sind miserabel.

An der Lage im Land kann das nicht liegen, den weitaus meisten Australiern geht es gut. Der robusten Wirtschaft des Kontinents konnte die Bankenkrise nichts ausmachen. Und der Verfall der Rohstoffpreise hat zwar die mächtige Bergbaubranche getroffen, nicht aber das Wachstum. Für dieses Jahr wird es auf mehr als drei Prozent geschätzt. Grundsätzliche Richtungsentscheidungen stehen nicht an, egal, was die Wahlkämpfer tönen: Turnbull verspricht, Unternehmenssteuern zu senken, Shorten will das nur für Kleinunternehmer und Steuerprivilegien für Reiche kürzen.

Beide Lager halten an der jedem internationalen Recht Hohn sprechenden Politik fest, Flüchtlinge fernzuhalten, indem man sie in bitterarmen Pazifik-Inselstaaten in Lager steckt. Und wirft Shorten den Konservativen vor, die gesetzliche Krankenversicherung privatisieren zu wollen, antwortet Turnbull, das werde nie geschehen.

Es träfen da "ein gestaltloser Mann und gesichtsloser Mann" aufeinander, beschrieb der Sydney Morning Herald die Mattigkeit des Wahlkampfs. Der Mann ohne Gestalt wäre Turnbull. Dabei ist der 61-Jährige eigentlich einer der farbigsten Politiker Australiens. Der Mann aus Sydneys wohlhabendem Osten zählt zu den paar Hundert reichsten Australiern, allein sein Privatanwesen im Millionärsviertel Potts Point mit Blick auf die Hafenbucht taxieren Makler auf umgerechnet mehr als 35 Millionen Euro.

Turnbull, Sohn eines Maklers und einer Schriftstellerin, hat sich das alles selbst verdient. Schon der Jurastudent galt als brillanter Redner und Selbstdarsteller, schrieb nebenbei als Journalist für renommierte Zeitungen in London und Sydney - und knüpfte beste Kontakte. Er heiratete in eine der angesehensten Juristenfamilien Sydneys ein: Lucy, geborene Hughes, ist Tochter eines ehemaligen Justizministers und wurde als erste Frau Bürgermeisterin von Sydney.

Turnbull arbeitete erfolgreich als Menschenrechtsanwalt und Konzernberater, als Verlagsmanager und Internet-Unternehmer. Er war Australien-Chef der Großbank Goldman Sachs und gründete eine Investment-Bank - mit prominenten Figuren aus der Labor Party. Er führte die Kampagne, die Australien zur Republik machen wollte, und traf dort auf einen Gegner aus seiner Liberalen Partei, der ihm erhalten blieb: Tony Abbott leitete damals das Monarchistenlager. Turnbulls Republikaner verloren das Referendum, die Queen konnte weiter auf ihre australischen Untertanen bauen.

Nach einem ersten erfolglosen Versuch drängte Turnbull erst spät in die Parteipolitik. Labor-Größen wollten ihn gewinnen, vergeblich. Stattdessen schob Turnbull einen liberalen Abgeordneten aus Amt und Wahlkreis, wurde Umweltminister, später Oppositionschef. Doch weil er die Klimapolitik der damaligen Labor-Regierung für gut befand, stürzten ihn die Bergbau-Lobby und der rechte Flügel der eigenen Fraktion - unter Führung des Erzgegners Abbott.

Regierungschefs stürzen meistens durch Rebellionen ihrer eigenen Fraktionen

Tony Abbott gewann für die Liberal-Nationalen vor drei Jahren haushoch die Wahlen, verlor als Premierminister aber schnell an Ansehen. Und Turnbull, inzwischen Minister für Telekommunikation, nutzte die Schwäche seines Gegners und stürzte seinerseits Abbott in einer Fraktionsrevolte. Doch an der Regierungsspitze schien er seither zu verlieren, was seine Anziehungskraft bis weit ins Lager der Labor-Anhänger ausmachte: seine zuvor gekonnt zur Schau getragene Unabhängigkeit von Parteilinien. Zwar änderte sich mit dem urbanen, schlagfertigen, oft charmanten Turnbull der Stil, nicht aber die Politik der Liberal-Nationalen. Noch ohne Wählermandat und abhängig von den Konservativen in der eigenen Partei gab Turnbull ihr bislang keine eigene Gestalt.

Sein Herausforderer Shorten, 49, dagegen gilt als Mann des Labor-Parteiapparats. Der Sohn eines Gewerkschaftsfunktionärs und einer Anwältin aus Melbourne kam mit 34 Jahren an die Spitze einer der größten Gewerkschaften. Bestens in Labors rechtem Flügel vernetzt, gehörte er bald zu jenen, auf die es im parteiinternen Klüngel um Macht und Posten ankam: zu jenen "gesichtslosen Männer" in den Hinterzimmern, über die der populäre Labor-Premier Kevin Rudd klagte, als ihn ein Fraktionsaufstand das Amt gekostet hatte. Shorten war Teil der Fronde, die Rudd stürzte - und als Minister einer derer, die Rudd nach drei Jahren zurück als Premier holten. Sein gleich zweimaliger Frontwechsel machte Shorten nicht populärer bei den Australiern, die der Parteiintrigen überdrüssig sind. Zumal sogar Parteifreunde dem zwar eloquenten, aber weitgehend humorfreien Spitzenkandidaten ein "Charisma-Problem" unterstellen. Immerhin gewann er zuletzt ein Fernsehduell gegen den telegenen Premier.

Doch überzeugen müssen beide ein Publikum, das sich solche Politiker-Debatten eher nicht antut. Entschieden werden die Wahlen im Westen Sydneys, wo die meisten der besonders umkämpften Wahlkreise liegen. Dort sind die "Battler" zu Hause, die mit niedrigen Löhnen, hoher Arbeitslosigkeit, steigenden Hauspreisen und Lebenshaltungskosten kämpfen. Umfragen zufolge glauben sie, Turnbull wäre der bessere Premier für Australien. Aber nicht der bessere für sie in West-Sydney.

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