Die apokalyptischen Bilder aus Australien erinnern uns an die Verwundbarkeit des Planeten. Gebiete von der Größe Belgiens stehen in Flammen. Die Feuerwand der einzelnen Brände würde, in einer Linie stehend, von Australien bis Afghanistan reichen. Mehr als 20 Menschen sind der Katastrophe bereits zum Opfer gefallen und Schätzungen zufolge bis zu einer halben Milliarde Tiere. Viele bereits vorher bedrohte Arten werden nach den Bränden ausgestorben sein. Die Feuerwalzen zerstören ohne Unterschied moderne Infrastruktur sowie kulturelle und soziale Plätze der Aborigines. Sie, die mit Ankunft der Europäer entrechtet und vertrieben worden waren, werden nun erneut Opfer der Prozesse, die ihre weitgehende Marginalisierung seit 1788 verursacht haben.
Eine tiefe Symbolik liegt darin, dass ausgerechnet Australien als erstes Land des sogenannten Globalen Nordens, also der reichen Industrienationen, Schauplatz massiver Folgen der Klimakatastrophe wird, die ihren Ausgang in ebenjener industrialisierten Welt nahm. Mit Australien trifft es ein Land, dessen größter Beitrag zur Klimakatastrophe nicht die eigene Industrie ist, sondern die Rolle als weltweit größter Kohle-Exporteur und Lieferant dieses Rohstoffes, der die Umwelt mit zerstört; das ist bezeichnend und verweist auf Australiens koloniale Geschichte.
Zutiefst heuchlerisch wäre es, die Nase zu rümpfen über Australien und die dortige Regierung, die aus Angst, die wichtige Kohle-Industrie zu verprellen, den Zusammenhang zwischen den Bränden und dem Klimawandel leugnet. Auch hierzulande wird immer noch nicht deutlich genug gesagt, dass es nicht nur um Kohle gehen kann - dass Deutschland selbst die Kohle-Industrie weiter subventioniert, wäre angesichts der offensichtlichen Absurdität in diesem Zusammenhang ein eigenes Thema -, sondern auch um die Ideologie des permanenten Wachstums. Eine Ideologie, die nahezu unangreifbar ist, obwohl schon die menschliche Logik ergibt, dass unbegrenztes ressourcenverzehrendes Wachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen nicht möglich ist.
Wer über die Brände in Australien und den Klimawandel sprechen will, darf zu Kolonialismus und Raubbaukapitalismus nicht schweigen. Dekolonisierung, die Überwindung der kolonialen Welt(-sicht), bedeutet auch: Dekarbonisierung, ja Ausstieg aus fossilen Energieträgern generell. Aber damit ist es nicht genug.
Entweder muss man das Wachstum begrenzen - oder neue Planeten finden
Der globale Siegeszug des Kapitalismus mit seiner Ideologie des permanenten Wachstums stand von Anfang an in einer symbiotischen Beziehung zum Kolonialismus. Die territoriale Expansion ermöglichte es Europa, seinen wachsenden Ressourcenbedarf zu decken, ohne dass die Konsequenzen fortwährenden Wachstums und Verbrauchs mit voller Härte in Europa selbst zu spüren gewesen wären. Durch die Ausweitung der Kolonialgebiete brachte man immer neue Ressourcen unter eigene Kontrolle.
Es ist dieses Verschont-geblieben-Sein von den Folgen des Raubbau- und Verschwendungskapitalismus, was es den Bürgerinnen und Bürgern des Globalen Nordens besonders schwer macht, die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Umweltkrise zu ziehen. Wie soll man zur Kursumkehr bereit sei, wenn bisher immer alles gut ging? Wieso soll man von der bequemen Wachstumsideologie Abstand nehmen, wenn die dadurch verursachten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verwerfungen weit entfernt stattfinden? Den Preis für diese Form des Kapitalismus zahlen nach wie vor Mensch und Natur am anderen Ende der Welt.
Australien wurde erst vor 230 Jahren in die koloniale Globalisierung gezwungen - schon damals mit verheerenden Konsequenzen für die lokale Bevölkerung, wie die europäische Expansion ja allerorten katastrophale Auswirkungen auf die dort lebenden Menschen hatte. Von Anfang an war die Ressourcengewinnung und Einbindung in den Weltmarkt, zunächst vor allem durch die Schafzucht, eine treibende Kraft bei der Eroberung des australischen Hinterlandes.
Die australischen Brände haben ihren Ursprung in dieser Geschichte, in der Beziehung zwischen europäischer Expansion und Industrialisierung, Kolonialismus und Kapitalismus. Es ist das koloniale Wirtschaften an sich, das nicht nachhaltig ist, es nie war. Endloses Wachstum ist auf der endlichen Erde nicht möglich. Entweder muss man das Wachstum begrenzen oder neue Planeten finden. Science-Fiction in Medien und Politik träumt von der Kolonisierung des Weltalls, um den schwierigen Schritt zu vermeiden. Wer daran nicht glauben mag, sollte mit der Dekolonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft beginnen.
Jürgen Zimmerer, 54, ist Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg und Leiter des Projektverbunds "Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe".