Datenaustausch:Wie deutsche Behörden den USA im Drohnenkrieg behilflich waren

US-Drohne

Eine Drohne vom Typ MQ-1 Predator.

(Foto: dpa)
  • Die US-Militärstützpunkte in Deutschland sind für den völkerrechtlich höchst umstrittenen Drohnenkrieg der USA sehr wichtig.
  • Das hätte die Bundesregierung spätestens seit 2011 wissen können, wie aus neuen Unterlagen hervorgeht.
  • Von deutschen Behörden bekamen die Amerikaner Telefon- und Sim-Karten-Nummern, um Ziele identifizieren zu können.

Von John Goetz, Antonius Kempmann und Frederik Obermaier

Die Ziele der amerikanischen Drohnen sind säuberlich aufgelistet, Zeile für Zeile, 50 an der Zahl. Top Secret. Ein Whistleblower hat die Liste kürzlich dem Enthüllungsportal The Intercept zugespielt. Es geht um Menschen, die die US-Regierung offenbar tot sehen will. Statt Namen stehen auf der Liste allerdings nur Nummern. Sim-Karten-Nummern.

Glaubt man der Bundesregierung, dürfte es diese Liste nicht geben. Die Regierung beteuert seit Jahren, Handynummern könnten nicht zur genauen Ortung genutzt werden. Deswegen sei es auch kein Problem, wenn deutsche Behörden solche Nummern an die USA weitergeben. Auch dass der US-Stützpunkt Ramstein im Drohnenkrieg eine zentrale Rolle spiele, sei nur eine Behauptung der Medien.

Neue Unterlagen des NSA-Untersuchungsausschusses, die die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte, zeigen jedoch: Die Bundesregierung hätte spätestens seit 2011 wissen können, wie wichtig die US-Militärstützpunkte in Deutschland für den völkerrechtlich höchst umstrittenen Drohnenkrieg sind. Das Herumdrucksen der vergangenen Jahre, das Gerede von fehlenden Erkenntnissen, von anderslautenden Zusicherungen der USA wären demnach eine Farce.

Deutsche Behörden liefern den Amerikanern brisante Telefonnummern

Im NSA-Untersuchungsausschuss saß jüngst der Ex-Drohnenpilot Brandon Bryant. Er berichtete, unter vielen Drohnen hinge eine Apparatur namens Gilgamesh. Sie gebe sich als Funkzelle aus, in die sich alle Handys im Umkreis einbuchen. Greift Gilgamesh die Nummer eines Verdächtigen ab, beginne die Drohne über dem Gebiet zu kreisen. So sei eine Ortung auf wenige Meter möglich. Alles, was Gilgamesh benötige, sei die Nummer des Telefons beziehungsweise der Sim-Karte. Und solche Nummern bekommen die Amerikaner auch von den Deutschen: vom Militärischen Abschirmdienst, Verfassungsschutz und BND.

Damit nicht genug: Die deutschen Behörden versorgten ihre US-Kollegen bis vor Kurzem auch mit menschlichen Quellen, HUMINT, wie es im Geheimdienstjargon heißt. Es gab sogar eine eigene Behörde dafür: die Hauptstelle für Befragungswesen (HBW). Seit Jahrzehnten wurden in der geheimen Außenstelle des BND Asylbewerber befragt. Wer kooperierte und viel über sein Herkunftsland verriet, konnte auf schnelle Anerkennung hoffen. So ist Ausschussunterlagen zu entnehmen, dass allein im Jahr 2010 insgesamt 39 Flüchtlingen Asyl gewährt wurde, die mit dem BND zusammengearbeitet haben.

In der HBW waren nicht nur Deutsche tätig, auch Briten und Amerikaner. Wie im NSA-Ausschuss bekannt wurde, bekamen die US-Agenten sogar deutsche Tarnpapiere. Sie durften Flüchtlinge befragen, ohne dass deutsche Kollegen dabei waren. Flüchtlinge haben also in der Hoffnung auf Asyl und im Glauben, mit deutschen Beamten zu sprechen, den US-Geheimdienst mit Informationen versorgt - mit Informationen, die am Ende in einen Drohnenangriff münden können.

Die Bündnistreue des BND schien keine Grenzen zu kennen. Für Zweifel an den Absichten der Kollegen habe es "keinen Anlass" gegeben, sagte die HBW-Chefin im Ausschuss. Zweimal schon war sie in den Ausschuss geladen, beide Male machte sie keine gute Figur. Sie stammelte herum, klagte über Erinnerungslücken. Einmal behauptete sie gar, dass Informationen verfälscht worden seien, bevor sie an die Amerikaner weitergegeben worden seien. In der Praxis könnte das heißen: Es wurde mitgeteilt, dass sich ein Verdächtiger 20 Kilometer weiter östlich versteckte, als es wirklich der Fall war. Im Zweifel hätten die USA falsche Ziele bekämpft. Ausschließen wollte die BND-Frau das jedenfalls nicht.

Jede Information kann für die Angriffe wichtig sein

Als die HBW 2014 geschlossen wurde, nachdem SZ und NDR ihre Aktivitäten öffentlich gemacht hatten, waren die Amerikaner entsetzt. In einem internen BND-Schreiben steht: "Den Partnern war es nicht zu vermitteln, dass es wenigen Investigationsjournalisten in kurzer Zeit gelingen könne, eine über 55-jährige, erfolgreiche (. . .) Kooperation zu torpedieren." Von einem Tag auf den anderen war eine wichtige Quelle der Amerikaner versiegt.

Grundsätzlich, so erklären es Fachleute, kann jede Information für das "Targeting" - die Zielerfassung - bei Drohnenangriffen wichtig sein. Das kann die Fahrtroute sein, die ein Verdächtiger jeden Tag wählt, das Auto, das er lenkt - oder eben die Handynummer. So hat es der frühere CIA-Chef Michael Hayden einmal gesagt: "Wir töten Menschen auf der Basis von Metadaten." Dennoch hat die Bundesregierung bislang beteuert, eine zielgenaue Lokalisierung sei anhand der Nummern nicht möglich. Spätestens mit den Aussagen des Drohnenpiloten Bryant und den von The Intercept veröffentlichten "Drone-Papers" ist diese Aussage hinfällig. Jetzt heißt es seitens der Regierung: Eine Ortung qua Telefonnummer sei "ohne weitere technische Messungen nicht möglich".

Ramstein ist die Daten-Drehscheibe der Drohnenwelt

Mit jeder Aussage, jedem Drohnen-Geheimdokument, das der NSA-Ausschuss bekommt, wird deutlicher: Ohne Deutschland wäre der US-Drohnenkrieg in seiner bisherigen Form mutmaßlich nicht möglich. Vom Aufspüren der Ziele, über das Steuern der fliegenden Tötungsmaschinen bis hin zum Abschuss der Raketen - bei jedem Schritt hilft Deutschland.

Ramstein ist die Daten-Drehscheibe der Drohnenwelt. Auf dem größten US-Militärflugplatz außerhalb der USA kommen per Satellit die Daten zusammen. Sie werden über ein Glasfaserkabel in die USA zu den Piloten weitergeleitet. In Ramstein stehen aber nicht nur die Satellitenanlagen.

Dort steht auch das Air and Space Operations Center (AOC), eine Art Flugleitzentrale für die Drohneneinsätze in Afrika. Ende Oktober durften erstmals mehrere Bundestagsabgeordnete das AOC besuchen. Sie betraten einen fensterlosen Saal, an den Wänden Weltzeituhren und Karten, davor Dutzende Computer. Die Bildschirme waren abgeschaltet. Kritische Nachfragen wiegelten die Amerikaner ab, erinnert sich die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger. "Ich fand das nicht besonders glaubwürdig."

Neue Drohnenzentrale in Italien?

Tatsächlich gibt es ein Schreiben des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2011, in dem die Einrichtung in Ramstein ganz gut beschrieben wird: "Ein einzigartiges Kontrollzentrum für den Einsatz der Predator, Reaper und Global Hawk". So heißen Drohnen-Modelle. Zwei Jahre später kursierte im Verteidigungsministerium ein Schreiben, in dem aufgelistet wurde, was im AOC getrieben werde: "Targeting", stand darauf. Zielfindung also.

Mittlerweile, so ist zu hören, erwägen die Amerikaner, ihre Drohnenzentrale von Ramstein ins italienische Sigonella zu verlegen. Womöglich wird es der US-Regierung allmählich zu heikel in Deutschland: Derzeit prüft der Generalbundesanwalt, ob er wegen Ramstein und der Drohnen ein Ermittlungsverfahren einleiten soll.

Außerdem hat jüngst der Sohn eines somalischen Kamelhirten, der bei einem US-Drohnenangriff starb, Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln erhoben. Für die Bundesregierung ist es ein entscheidender Fall. Denn anders als in Jemen und Pakistan befanden sich die USA nach eigenen Angaben in Somalia nicht im Krieg. Sollten mit deutscher Hilfe Menschen getötet worden sein, haben sich deutsche Beamte und womöglich sogar Mitglieder der Bundesregierung der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht.

Der Bundesnachrichtendienst jedenfalls, so war zuletzt im NSA-Untersuchungsausschuss zu erfahren, ordnete nach den damaligen SZ-Berichten über den Tod des somalischen Kamelhirten eine interne Prüfung an. Auch ein Report wurde angefertigt; der NSA-Untersuchungsausschuss würde sich dafür interessieren. Nur: Bislang liegt er den Abgeordneten offenbar nicht vor.

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