Ausstieg aus der EU:Die 13 wichtigsten Fragen zum Brexit

Ausstieg aus der EU: Ein Brexit-Gegner mit EU-Flagge um die Schultern gewickelt blickt in Richtung Big Ben.

Ein Brexit-Gegner mit EU-Flagge um die Schultern gewickelt blickt in Richtung Big Ben.

(Foto: AFP)

Die Briten wollen raus aus der EU. Was ändert sich nun für Bürger und Firmen? Ziehen die Londoner Banker nach Frankfurt? Und was ist, wenn sich Briten und Brüssel nicht einigen?

Von Björn Finke, London, Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Der Scheidungsprozess ist offiziell eröffnet: Nachdem Premierministerin Theresa May gemäß Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union die offizielle Benachrichtigung über den Brexit in Brüssel hinterlegt hat, werden London und Brüssel nun zwei Jahre lang über die Bedingungen der Trennung und die künftigen Beziehungen verhandeln. 2019 soll dann Schluss sein. So sieht es jedenfalls der EU-Vertrag vor. Die Gespräche zwischen Europäischer Union und Großbritannien werden schwierig. Es geht um so viele Fragen, dass es bereits jetzt Stimmen gibt, die am Zeitplan zweifeln. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie geht es nun weiter?

Nachdem die Briten den Austrittswunsch offiziell in Brüssel eingereicht haben, ist die andere Seite am Zug. Die Staats- und Regierungschefs der 27 verbleibenden EU-Staaten dürften schon bald zu einem Sondergipfel zusammenkommen, um Leitlinien für die Verhandlungen mit London zu beschließen. Ein erster Entwurf ist in Brüssel in den vergangen Monaten vorbereitet worden. Bis zum Gipfel werden sich die "Sherpas", die europapolitischen Chefberater aus allen Hauptstädten, wohl zwei Mal treffen, um sich auf eine Version zu verständigen. Einige Wochen nach dem Gipfel erhält dann die EU-Kommission mit ihrem Chef-Unterhändler Michel Barnier ein offizielles Verhandlungsmandat. Einige Zeit danach können die Verhandlungen dann beginnen.

Großbritannien und die EU stehen dann vor der gigantischen Aufgabe, das Vereinigte Königreich aus dem Rechts- und Wirtschaftsraum zu lösen. Es geht um viel Geld und äußerst komplizierte Rechtsfragen. Trotzdem lässt der EU-Vertrag dafür nur zwei Jahre Zeit. Neben dem "Scheidungsvertrag" wird es wahrscheinlich eine Übergangsvereinbarung geben und längerfristig ein Abkommen über die künftigen Beziehungen.

Wann ändert sich etwas für EU-Bürger und Unternehmen?

Großbritannien bleibt erst einmal EU-Mitglied. Vielleicht ändert sich aber selbst nach zwei Jahren Verhandlung nichts oder nicht viel. Denn es gilt als unwahrscheinlich, dass sich London und Brüssel in nur zwei Jahren auf ein Freihandelsabkommen einigen können, das die Wirtschaftsbeziehungen nach dem Austritt regelt. Um Firmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals Turbulenzen zu ersparen, könnten die EU und Großbritannien zunächst ein Übergangsabkommen schließen. Das könnte festschreiben, dass die bisherigen Bedingungen auch nach dem Brexit gelten, und zwar so lange, bis ein dauerhafter Vertrag fertigverhandelt ist.

Allerdings würde Brüssel wohl verlangen, dass Großbritannien in dieser Übergangszeit weiter EU-Einwanderer und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) akzeptiert. Das wiederum könnte Premierministerin Theresa May den EU-Gegnern in ihrer Konservativen Partei nur schwer verkaufen können, zumal im Jahr 2020 Parlamentswahlen in Großbritannien anstehen.

Was bedeutet der Brexit für Deutschland?

Unter anderem höhere Überweisungen nach Brüssel. May schließt nicht aus, dass Großbritannien auch nach dem Brexit einen kleinen Beitrag in den EU-Haushalt leistet, wenn britische Firmen im Gegenzug weiter einige Vorteile des Binnenmarktes genießen dürfen. Allerdings wird der Beitrag aus London viel geringer sein als heute. Darum werden andere Nettozahler, etwa Deutschland, mehr Geld nach Brüssel schicken müssen. Vielleicht wird die EU zugleich Hilfsgelder für ärmere Mitgliedsstaaten kappen müssen.

Ziehen nun Londons Banker nach Frankfurt um?

Die Banken an Europas größtem Finanzplatz London bedienen Kunden auf dem ganzen Kontinent. Verlässt Großbritannien den Binnenmarkt, können sie das nicht länger mit ihrer britischen Lizenz von London aus machen, denn sie verlieren dann den sogenannten "EU-Pass". Banken müssten Abteilungen - und vielleicht Zehntausende Jobs - in Euro-Staaten verlagern und bei der dortigen Aufsicht eine Genehmigung einholen. Frankfurt, Paris, Dublin oder Luxemburg könnten davon profitieren. May ist sich dieser Bedrohung bewusst. Daher will sie für wichtige Branchen wie die Finanz- und Autoindustrie Sonderregeln aushandeln, dank derer die Vorteile des Binnenmarktes hier weiter gelten. Ob sich die EU darauf einlässt, ist eine ganz andere Frage. Aktuell halten sich viele Banken noch mit Ankündigungen zurück, inwieweit sie Stellen in andere europäische Städte verlagern. Viele Institute dürften erst einmal abwarten, wie die Verhandlungen mit der EU laufen und welche Konsequenzen der Brexit damit für ihre Branche hat.

Werden Zölle für den Handel mit Großbritannien eingeführt?

May will ein Freihandelsabkommen mit der EU abschließen. Solche Verträge hat die Union mit mehr als 50 Ländern unterschrieben, darunter Staaten in der Nachbarschaft wie Albanien oder weit entfernte Länder wie zuletzt Kanada. Die Abkommen schaffen Zölle ab. Im Fall von Großbritannien würde so ein Vertrag verhindern, dass Zölle für Im- und Exporte neu eingeführt werden. Allerdings würde es sieben Jahre dauern, den Vertrag mit Kanada auszuhandeln. Bis 2019 solch ein Abkommen mit Großbritannien abzuschließen, wird schwierig, zumal in vielen Mitgliedsstaaten zunächst die Parlamente den Vertrag absegnen müssten.

Scheitern die Gespräche, unterliegen Exporte in zwei Jahren den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Die sehen zum Beispiel Zölle von zehn Prozent auf Autos vor. Das wäre misslich für die Autofabriken im Königreich - und für deutsche Autohersteller, die ihre Fahrzeuge nach Großbritannien exportieren wollen.

Wäre die Zollunion ein Ausweg?

Die Zollunion geht einen Schritt weiter als ein bloßes Freihandelsabkommen. Eine Zollunion schafft nicht nur Zölle zwischen den Mitgliedsstaaten ab. Sie vereinheitlicht auch die Zölle für Einfuhren aus Drittländern. Es gibt also keinen deutschen oder französischen Zoll für Importe brasilianischen Rindfleischs. Es gibt nur den einheitlichen EU-Zoll. Die Türkei etwa ist nicht Mitglied der EU, aber Mitglied der Zollunion. Doch Theresa May will diesem Beispiel nicht folgen. Schließlich träumt die britische Regierung davon, schnell eigene Freihandelsabkommen mit Staaten in Amerika und Asien abzuschließen. May hat mit Liam Fox dafür extra einen Handelsminister ernannt. Bleibt Großbritannien in der Zollunion, könnte Fox nur Däumchen drehen, denn das Königreich dürfte nicht aus dem Einheitszoll ausscheren.

Hätte ein Austritt aus der Zollunion denn Nachteile?

Ein Austritt würde Geschäfte mit Europa mühsamer machen. Schließt Großbritannien nur ein Freihandelsabkommen mit der EU ab, nimmt aber nicht an der Zollunion teil, müssten im Hafen von Calais oder an der Grenze zu Nordirland wieder Zöllner britische Lastwagen kontrollieren. Zwar würden keine Zölle auf britische Produkte erhoben, doch die Grenzer müssten prüfen, ob nicht Waren aus anderen Staaten im Laderaum versteckt sind, etwa aus den USA oder Brasilien. Denn wenn Handelsminister Fox fleißig ist, wird er mit vielen Staaten Verträge abschließen, die zollfreie Einfuhren nach Großbritannien vorsehen. Die EU-Grenzbeamten müssen dann verhindern, dass diese Produkte zollfrei in die Union gelangen, sonst würden über den Umweg Großbritannien die EU-Zölle ausgehebelt.

Umgekehrt müssen britische Grenzer Laster aus der EU kontrollieren. Zollkontrollen bedeuten mehr Aufwand und Verzögerungen. Das ist schlecht für die Industrie. Viele Autofabriken etwa beziehen Zulieferteile vom Festland. Die Teile in den Lagern der Werke reichen nur für wenige Produktionsstunden. Die Unternehmen sind darum auf stete und zuverlässige Lieferungen angewiesen. Werden Lastwagen demnächst in den Häfen untersucht, wird das nicht mehr so einfach funktionieren.

May will auf keinen Fall das Modell Norwegen oder Schweiz

Was ist mit dem Binnenmarkt?

Freihandelsabkommen schaffen Zölle ab, um Geschäfte über Grenzen zu vereinfachen. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU vereinfacht Geschäfte, indem er bürokratische Hürden schleift. Dank des Binnenmarktes können Firmen und Banken in jedem Mitgliedsstaat Produkte verkaufen oder Filialen eröffnen, ohne dass sie vor Ort Genehmigungen einholen müssen. Eine Zulassung reicht für alle Länder. Auch Standards vereinheitlicht Brüssel.

Das ist äußerst bequem für die Wirtschaft, führt jedoch aus Sicht Mays zu einem unerträglich großen Verlust an Souveränität. Schließlich beschränkt dieses Prinzip den Spielraum nationaler Wirtschaftspolitik. Zudem ist bei Streitfällen der in London sehr unbeliebte Europäische Gerichtshof zuständig. Und Brüssel beharrt außerdem darauf, dass Mitglieder des Binnenmarktes unbegrenzt Einwanderung aus der EU akzeptieren müssen.

Gibt es ein Vorbild für ein mögliches Abkommen?

Ja, das Modell des Assoziierungs- und Handelsabkommens mit der Ukraine kommt den britischen Vorstellungen wohl am ehesten entgegen. Dass dem so ist, liegt vor allem an May. Die Premierministerin will auf keinen Fall das Modell Norwegen oder Schweiz mit dem Zugang zum EU-Binnenmarkt und damit dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen. Sie möchte vielmehr über die Einwanderung aus EU-Staaten wieder selbst bestimmen und sich nicht der Rechtsprechung des EuGH unterwerfen. Weil das so ist, bleibt im Grunde ein klassischer Freihandelsvertrag.

Zuletzt war in London davon die Rede, dass Großbritannien einen Vertrag nach dem Muster Kanadas anstreben könnte. Doch Ceta ist ein reiner Handelspakt, dem die für die britische Finanzindustrie wichtige Kapitalmarktunion fehlt, außerdem ein weiteres Puzzleteil, das May gerne haben möchte: die Zusammenarbeit mit der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Das Modell Ukraine sieht genau das vor. Es entspricht also ziemlich exakt den britischen Kernforderungen. Das EU-Ukraine-Abkommen regelt einen gegenseitigen Marktzugang, der aber nicht an die Übernahme von EU-Recht oder die EuGH-Rechtsprechung gebunden ist. Es sieht auch keine Freizügigkeit von Personen vor und es erlaubt, eigene Handelsabkommen mit Drittstaaten zu schließen.

Was kann Großbritannien der EU bieten?

In Brüssel erwarten die Unterhändler, dass May die britische Stärke in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den Verhandlungen ausspielen wird. Die Premierministerin verweist in ihren Reden gerne auf die britischen Atomwaffen, den Sitz im UN-Sicherheitsrat und die britischen Geheimdienste. Davon profitiert die EU bislang, und es ist kein Geheimnis, dass sie ein Interesse daran hat, dass dies so bleibt.

Überhaupt kann das Vereinigte Königreich der EU in Verhandlungen sehr viel mehr bieten als etwa die Ukraine. Und deshalb wird es am Ende auf einen maßgeschneiderten EU-UK-Pakt hinauslaufen, bei dem das Abkommen mit der Ukraine Modellcharakter haben dürfte - modifiziert durch umfassende Sonderregelungen, so dass sich am Ende ein völlig neues Modell ergeben wird: ein EU-Großbritannien-Abkommen.

Worüber müssen London und Brüssel dann noch verhandeln?

Zum Beispiel über viel Geld. Brüssel könnte bis zu 60 Milliarden Euro von London verlangen, als Ausgleichszahlung für die Scheidung. Die Summe setzt sich zusammen aus Pensionslasten für EU-Beamte, eingeplanten Beiträgen Londons zum EU-Haushalt und Zahlungsverpflichtungen für zukünftige Projekte, die in den vergangenen Jahren - und daher mit britischer Beteiligung - beschlossen wurden. EU-Gegner bei den britischen Konservativen weisen solche Zahlenspiele brüsk zurück: Sie wollen nichts überweisen.

Was bedeutet der Brexit für die britische Wirtschaft?

Trotz der Unsicherheit, die das Brexit-Referendum im Juni erzeugte, wächst die britische Wirtschaft munter weiter. In diesem Jahr soll der Zuwachs mit zwei Prozent sogar größer sein als der in Deutschland. Die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie zuletzt vor elf Jahren. Dass die Konjunktur auf der Insel so robust ist, liegt vor allem an den Verbrauchern. Sie lassen sich von Brexit-Sorgen nicht den Spaß am Einkaufen nehmen, zur Not auch auf Pump. Allerdings erwarten Volkswirte - und die Regierung -, dass sich die Konjunktur in den kommenden Jahren abschwächt.

Die Unsicherheit über die künftigen Handelsbeziehungen wird dazu führen, dass Manager Investitionen aufschieben. Das kostet Wachstum. Außerdem hat das Pfund seit dem Referendum kräftig an Wert verloren. Das verteuert Einfuhren, etwa von Lebensmitteln. Daher werden in diesem Jahr die Preise deutlich steigen; die Regierung rechnet mit einer Inflationsrate von 2,4 Prozent. Wegen der höheren Preise werden manche Haushalte auf größere oder nicht so wichtige Anschaffungen verzichten. Die Verbraucher werden die Konjunktur also nicht mehr so zuverlässig stützen können.

Wie sehr der Brexit die Wirtschaft auf lange Sicht belastet, hängt vom Ergebnis der Gespräche mit Brüssel ab. Die anderen EU-Staaten sind mit Abstand die wichtigsten Handelspartner Großbritanniens. Würden Geschäfte über den Ärmelkanal sehr viel schwieriger, würde das Investitionen, Jobs und Wachstum kosten.

Was passiert, wenn es keine Einigung zwischen der EU und Großbritannien gibt?

Die EU-Mitgliedschaft endet auch ohne Abkommen zwei Jahre nach der Austrittserklärung. Eine Verlängerung wäre nur möglich, wenn alle EU-Staaten zustimmen. Kein Vertrag wäre besser als ein schlechter, hat Premierministerin May gesagt. In Brüssel wird das als gefährlicher Unfug und Drohgebärde aufgefasst. Denn in Wahrheit wäre ein chaotischer Brexit ein Albtraum für beide Seiten.

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