Ausspähung von Merkels Handy:Spionageverdacht gegen US-Botschaft
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Wurde der Lauschangriff auf das Handy von Kanzlerin Merkel aus Berlin gesteuert? Eine amerikanische Spezialeinheit soll von der diplomatischen Vertretung in der Hauptstadt aus operiert haben. Den Verdacht lassen Unterlagen von Ex-Geheimdienstmitarbeiter Snowden aufkommen - und erste Prüfungen konnten ihn nicht entkräften.
Von Hans Leyendecker und John Goetz
Der mutmaßliche Lauschangriff von US-Geheimdiensten gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel ist möglicherweise von der amerikanischen Botschaft in Berlin gesteuert worden. Dieser Verdacht soll sich, wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr, aus Unterlagen des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden ergeben. Die Abhöraktion soll von einem US-Lauschposten namens Special Collection Service (SCS) betrieben worden sein. In einer einschlägigen Liste des zum US-Militär gehörenden Geheimdienstes National Security Agency (NSA) soll die Handynummer der deutschen Regierungschefin stehen. Aus der Unterlage, mit der Der Spiegel Ende vergangener Woche die Bundesregierung konfrontierte, ergibt sich nicht, über welchen Zeitraum Merkel abgehört worden sein soll.
Snowden soll diese NSA-Unterlagen, aus denen die Lauschattacken gegen Regierungschefs hervorgehen, im vergangenen Jahr heimlich angezapft haben. Damals soll auf der Liste vermerkt worden sein, dass eine Abhöraktion gegen Merkel laufe. Als Operationsbasis soll in dem Papier verschlüsselt die US-Botschaft in Berlin aufgeführt worden sein. In den vergangenen Tagen haben nach SZ-Recherchen deutsche Sicherheitsstellen die Vorwürfe gegen die amerikanischen Partnerdienste intensiv geprüft. Dabei soll der Verdacht zumindest nicht entkräftet worden sein. Die Spezialeinheit SCS wird gemeinsam von der NSA und der Central Intelligence Agency betrieben, dem US-Auslandsgeheimdienst. Sie arbeitet weltweit in amerikanischen Botschaften und Konsulaten, zumeist heimlich. Nur in wenigen Fällen ist ihr Einsatz vom jeweiligen Gastland erlaubt worden. Eine solche Einwilligung deutscher Stellen gibt es nicht.
Der Lauschangriff hat eine schwere Krise im deutsch-amerikanischen Verhältnis ausgelöst. Merkel bekräftigte am Rande des EU-Gipfels in Brüssel: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!" Das habe sie auch US-Präsident Barack Obama in einem Telefonat am Mittwoch deutlich gemacht. In der Beziehung befreundeter Staaten sei Vertrauen notwendig. "Nun muss Vertrauen wieder hergestellt werden", verlangte die Kanzlerin. Außenminister Guido Westerwelle bestellte US-Botschafter John B. Emerson ein. Unter engen Verbündeten ist diese scharfe Form des diplomatischen Protests äußerst unüblich. Für die "jüngere und mittlere Vergangenheit ist eine Einbestellung dieses Partners definitiv nicht erinnerlich", teilte das Auswärtige Amt mit.
NSA spionierte auch Italiens Regierung aus
Die Spähaktionen der NSA beschäftigen auch die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Herbstgipfel in Brüssel. "Ich denke, dass wir das teilweise im Rat diskutieren werden", sagte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaitė. Ihr Land hat die EU-Ratspräsidentschaft inne. In den vergangenen Tagen war bereits bekannt geworden, dass auch die französische Regierung zum Ziel der Spione geworden war. Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande trafen sich vor dem Gipfel zu einem 15-minütigen Gespräch unter vier Augen. Laut französischen Regierungskreisen stimmten sie überein, dass die Situation "nicht akzeptabel" sei. Merkel und Hollande vereinbarten, sich "regelmäßig auszutauschen und zu kooperieren". Sie wollten das Thema auch auf dem Gipfel ansprechen. Auch Italiens Regierung soll von der NSA ausgespäht worden sein, wie das Magazin L'Espresso berichtet. Es beruft sich dabei auf den Journalisten Glen Greenwald, der über die Dokumente Snowdens verfügt.
Die Bundesregierung leitete eine "umfangreiche Überprüfungen" aller bisherigen Aussagen der US-Regierung zu den Aktivitäten der NSA in Deutschland ein, wie Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in Berlin nach einer Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums sagte, das für Geheimdienstfragen zuständig ist. Der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Oppermann (SPD), forderte, die Vorgänge bis zurück in die Regierungszeit von Kanzler Gerhard Schröder zu prüfen. Pofalla sagte, Washington schließe zwar aus, dass Merkel jetzt und in der Zukunft abgehört wird, habe aber eine solche Versicherung für die Vergangenheit nicht abgegeben. Die Bundesanwaltschaft legte einen sogenannten Beobachtungsvorgang an, wie in Karlsruhe ein Sprecher der obersten Anklagebehörde mitteilte. Sie wolle von den mit dem Thema befassten Bundesbehörden zuverlässige Informationen erhalten.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte abermals, das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und USA erst dann abzuschließen, wenn die Bürgerrechte in Europa gewährleistet und Spitzeleien abgestellt würden. Er ließ allerdings offen, ob die SPD dies in den laufenden Koalitionsverhandlungen mit der Union einfordern wird.