Ausspähung eines Nato-Partners:Was den BND an der Türkei interessiert
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Ist es vertretbar, dass der Bundesnachrichtendienst die Türkei überwacht? Ja, finden viele Experten und Politiker. Das Land ist zur "Dschihadisten-Autobahn" für Syrien und Irak geworden - was auch die innere Sicherheit in Deutschland betrifft.
Von Luisa Seeling
Seit das Nachrichtenmagazin Der Spiegel enthüllt hat, dass die Türkei "offizielles Aufklärungsziel" des Bundesnachrichtendiensts sein soll, wird in beiden Ländern heftig diskutiert. Kritiker in Deutschland klagen, dass die Türkei ein verbündeter Nato-Staat und EU-Beitrittskandidat sei. Oppositionspolitiker fürchten, dass die ohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen Ankara und Berlin zusätzlich belastet werden könnten. An diesem Montag wurde in der Türkei der deutsche Botschafter ins Außenministerium zum Gespräch gebeten.
Quer durch die politischen Lager gibt es allerdings auch Stimmen, die Verständnis für die mutmaßliche Ausspähung der Türkei äußern, etwa der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach und der Grüne Jürgen Trittin. Im Schutze der Anonymität machen diverse Regierungsvertreter deutlich, dass sie die Abhörpraxis als gerechtfertigt ansehen.
In der Debatte werden folgende Argumente genannt, warum die mutmaßliche Ausspähung des Nato-Mitglieds Türkei sinnvoll sei:
- Das Land gilt seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien als Transitland für islamistische Kämpfer - der Kolumnist Kadri Gürsel bezeichnete das Land gar als eine "Dschihadisten-Autobahn in beide Richtungen". Islamisten, die in Syrien und Irak kämpfen, nutzen Experten zufolge die Türkei als Rückzugsraum. Dort beschafften sie sich Waffen und Hilfsgüter, die sie über die Grenze nach Syrien brächten. In den großen Städten der Türkei, vor allem der Metropole Istanbul, sollen Extremisten des Islamischen Staats (IS) und anderer Gruppen junge Türken für den Dschihad in Syrien und Irak rekrutieren. Lange haben die Behörden in der Türkei dagegen wenig unternommen. Ein Grund: Als Baschar al-Assad 2011 vom Freund zum Feind wurde, hoffte die Regierung Erdoğan auf den Sturz des syrischen Präsidenten.
- Seither wirft die türkische Opposition der AKP-Regierung immer wieder Sympathien für die syrischen Islamisten vor. Der Türkei-Experte der Carnegie-Stiftung in Brüssel, Sinan Ülgen, schreibt, Ankara habe verschiedene Gruppen in Syrien unterstützt, die gegen Assad kämpfen, darunter auch den militanten IS - in der Hoffnung, dass Assads Sturz kurz bevorstehe. Das aber entpuppte sich als Illusion, und die Haltung Ankaras hat sich inzwischen geändert. Verschiedene Zwischenfälle haben zu diesem Umdenken beigetragen: Bei einem Angriff auf türkische Sicherheitskräfte im März starben drei Polizisten an einem Checkpoint in der Provinz Niğde. Im März 2014 wurde zudem eine Video-Botschaft auf Youtube veröffentlicht, in der IS-Kämpfer drohen, das Grab von Suleyman Shah zu zerstören. Es liegt in Nordsyrien, ist aber türkisches Hoheitsgebiet und wird von türkischen Soldaten bewacht. Nach der Drohung wurden in Ankara Szenarien für ein militärisches Eingreifen diskutiert - ein Gespräch unter ranghohen Politikern, Militärs und Geheimdienstlern wurde später aus anonymer Quelle veröffentlicht. Spätestens jetzt war klar: Die Türkei stand kurz davor, in den Syrien-Krieg hineingezogen zu werden - und die Islamisten-Gruppen im türkisch-syrischen Grenzgebiet waren nicht mehr Teil der Lösung, sondern eine Bedrohung. Aktuell befinden sich 49 türkische Geiseln in der Hand von IS. Die Konsulatsmitarbeiter waren im Juni in Mossul entführt worden.
- Von einer Verschärfung der Sicherheitslage im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist Deutschland unmittelbar betroffen: Im türkischen Kahramanmaraş sind im Rahmen der Nato-Operation Active Fence Bundeswehrsoldaten und Patriot-Abwehrsysteme stationiert. Ankara hatte die Unterstützung im Jahr 2012 zum Schutz vor Angriffen des syrischen Assad-Regimes angefordert, der Bundestag hatte einer deutschen Beteiligung zugestimmt und den Einsatz im Januar 2014 verlängert.
- Die Eskalation an der türkisch-syrischen Grenze ist für Deutschland auch ein Problem der inneren Sicherheit: Seit Kriegsausbruch reisen Kämpfer aus dem Westen über die Türkei nach Syrien, wo sie sich dem Islamischen Staat (IS) und anderen radikalen Gruppen anschließen. Nach Schätzung des Verfassungsschutzes haben seit Beginn des Bürgerkriegs vor drei Jahren 400 Islamisten Deutschland in Richtung Syrien und Irak verlassen. Erst vor kurzem soll der aus dem nordrhein-westfälischen Dinslaken stammende Islamist Philip B. bei Mossul ein Selbstmordattentat begangen haben.
- Seit Jahren beobachten deutsche Verfassungsschützer außerdem die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK sowie andere linksextremistische und nationalistische Organisationen aus der Türkei, die in Deutschland aktiv sind. Der Verfassungsschutz geht von etwa 13 000 PKK-Anhängern aus. Im Jahresbericht 2013 ist zwar die Rede von den im Dezember 2012 begonnenen Friedensgesprächen zwischen PKK-Führer Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung, die womöglich zu einer Verringerung der Gewaltbereitschaft geführt hätten. Doch diese Tendenz könne "mit einem Scheitern der Friedensverhandlungen wieder Makulatur sein", heißt es weiter. Gewalt bleibe für die PKK ein strategisches Element, was "die auch in Deutschland anhaltende Anwerbung von Rekruten für den bewaffneten Kampf in der Türkei" belege.
- Schon vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien war die Türkei ein wichtiges Transitland für Drogenschmuggler sowie Schleuserbanden, die Flüchtlinge nach Europa bringen. Seit das Land mehrere Hunderttausend syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, verschärft sich das Problem: In der Grenzregion blüht der Schwarzmarkt; türkische Medien berichten, mittlerweile werde eine so große Menge an Treibstoff über die Grenze geschmuggelt, dass sich das Wachstum des türkischen Kraftstoffmarktes um bis zu drei Prozentpunkte verlangsamen könnte. Auch Waren wie Tee und Zigaretten sind begehrt. Drehscheiben für den Schmuggel sind demnach vor allem die südlichen Provinzen Şanlıurfa, Hatay und Kilis. Es entstünden mafiöse Netzwerke, die auch Drogen und Waffen über die Grenze schleusten. Immer wieder kommt es zu Zusammenstößen zwischen Schmugglern und Sicherheitskräften.