Außenpolitik:Rosinenpicker aus Berlin

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Ein sattes Plus beim Handel erzielen und sich aus den Weltkonflikten heraushalten - das geht nicht mehr lange gut.

Von Stefan Braun

Vor wenigen Tagen ist John Kerry, der frühere US-Außenminister, in Mailand aufgetreten. Es war nur ein Abendessen und doch ein Ereignis. Es war der Besuch aus einer untergegangenen Welt; einer Welt, in der ein US-Präsident regierte, der auf Kooperation setzte, in der sein Außenminister die Europäer einband und seinem deutschen Kollegen vertraute. Es war, wie es sein sollte.

Zwei Jahre später hat Donald Trump die Welt auf den Kopf gestellt. Und was sagt Kerry? Er ruft Europa zu, dass es "endlich an sich selbst glauben muss". Seine Botschaft, auch an Deutschland: Seht die Krise, erkennt die Gefahr, übernehmt die Verantwortung, die euch zufällt.

Es ist gut möglich, dass der Kanzlerin Kerrys Auftritt entging. Nicht möglich ist, dass Angela Merkel und ihre Koalition keine Ahnung haben, was er da gemeint hat. Deutschland ist eine der reichsten Nationen der Erde; es ist einer der größten Profiteure des Welthandels. Es lebt seit Jahrzehnten wie kein anderes Land von einer Welt, die durch Regeln und Verträge stabil ist. Deshalb ist es nicht nur aus Sicht Kerrys überfällig, dass Deutschland und Europa klären, welche Rolle sie in dieser Welt einnehmen möchten.

Seit einiger Zeit heißt die Zauberformel, Berlin wolle "mehr Verantwortung übernehmen". Das soll gut klingen, wird aber seit Jahren nicht ausreichend unterfüttert - nicht finanziell, nicht mit einer überwölbenden Idee, nicht mit dem Versuch, den Wählern zu erklären, was mehr Verantwortung heißen könnte. Wie soll das Publikum derlei verstehen, wenn die Regierung selbst hin und her schwankt. Kaum ruft die Verteidigungsministerin nach mehr Geld für die marode Bundeswehr, wehrt sich die SPD gegen eine Militarisierung der Außenpolitik. Das schafft kein Vertrauen, es untergräbt es.

Dabei wäre es nötig, offen auszusprechen, dass es auf Dauer kein Leben im Paradies mit riesigen Handelsüberschüssen bei einem verglichen damit geringen Beitrag zum Erhalt von Frieden und internationaler Ordnung geben kann. Wenn Donald Trump Berlin das entgegenschleudert, überrascht das kaum mehr. Aber wenn Emmanuel Macron dies so freundlich wie deutlich wiederholt, wird es Zeit, die Kritik ernst zu nehmen.

Dieses Ungleichgewicht hat dazu geführt, dass deutsche Appelle zu Vernunft und friedlichen Lösungen von Konflikten auf immer mehr Zuhörer billig wirken. Die Kritik kann man von China und Indien über Russland und die USA bis in die EU hinein immer häufiger hören.

Es war deshalb richtig, dass die Kanzlerin das Thema am Mittwoch aufgegriffen hat. Aber sie wird weit übers Parlament hinaus erklären müssen, wie das deutsche Engagement aussehen soll. Hier vermitteln, dort humanitäre Hilfe, im Notfall ein Militäreinsatz - das bleibt zu viel Stückwerk. Warum gibt es kein Friedenskorps, mit dem sich in einer krisenhaften Welt stabilisierende Kräfte gezielt einsetzen ließen? Mit Soldaten und Diplomaten, mit Polizisten, Juristen und Medizinern? Diese Expertise hat Deutschland und könnte sie gebündelt in ein EU-Friedenskorps einbringen. Warum gibt es den Start in eine Verteidigungsgemeinschaft, aber nicht den Versuch, damit etwas Neues, Vorbildhaftes zu entwerfen - was den Willen der Wehrhaftigkeit mit dem Wunsch nach Zivilität verbindet?

Geht nicht? Haben wir noch nie gemacht? Das passt nicht mehr in die brüchige Welt des Jahres 2018.

© SZ vom 17.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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