Süddeutsche Zeitung

Außenpolitik:Irritierend ist, was fehlt im Wahlkampf

Die Welt wird Deutschland stark fordern. Doch ob es um die Zukunft Europas geht oder Bündnis- und Sicherheitsfragen - im Wahlkampf werden all die existenziellen Themen der Außenpolitik vermieden.

Kommentar von Stefan Kornelius

Vier Jahre lang wurde der politische Takt in Deutschland von den Krisen der Welt bestimmt. Vier Jahre lang erregte sich das Land über den Krieg in der Ukraine, Putin, Tsipras und Varoufakis, Syrien, den Terror, Flüchtlinge, Erdoğan, die britische Scheidungserklärung und den Populismus in Ost und West - was der Welt einen Donald Trump bescherte, der die globale (und damit die deutsche) Ordnung per Twitter ändern kann.

Diese vergangene Regierungsperiode war eine außenpolitische. Da zwingt sich eine simple Frage auf: Welchen Platz will Deutschland künftig in der Welt einnehmen, was stellt es mit seiner politischen und wirtschaftlichen Kraft an? Umso irritierender, dass der Wahlkampf all diese großen, ja existenziellen Themen der Außenpolitik vermeidet.

Das mag einerseits ein Zeichen von Souveränität sein. Vielleicht ist es wirklich so, dass die großen und kleinen Parteien der Mitte sich einig sind über die außenpolitische Verortung des Landes. Die Obersätze gelten ja: Die Europäische Union ist das wichtigste politische Instrument für Stabilität und Sicherheit, man muss sie erhalten und stärken; die Westbindung steht nicht in Frage, also das Bekenntnis zu einer freiheitlichen, liberalen und an Regeln gebundenen Werteordnung; Sicherheit erhält und gibt man in einem Bündnis.

Andererseits ist dieser vermeintliche Konsens in der Gesellschaft nie garantiert, was gerade die letzten Jahre gezeigt haben. Man muss immer dafür werben.

Außenpolitik - ein heikles Thema im Wahlkampf

Mit Außenpolitik lässt sich Schindluder betreiben, gerade weil die Deutschen dazu neigen, sie als moralischen Extremsport zu betreiben. Dabei lehrt die Realität, dass Krisen häufig nur die Wahl lassen zwischen einem Übel und einem noch größeren Übel. Für moralische Eindeutigkeit ist oft kein Platz. Die Flüchtlinge haben das gezeigt: Helfen um jeden Preis geht nicht. Wo also werden die Grenzen gezogen? Wie werden die Regeln durchgesetzt? Wie erträgt man die Härten? Und wo kann man nur kapitulieren?

Außenpolitik wird auch deshalb im Wahlkampf gemieden, weil die moderaten Akteure diese Fallen kennen und Zuspitzungen fürchten. Wenn einer wie Martin Schulz schnell mal die Türkei aus den EU-Beitrittsgesprächen katapultieren will, dann muss er am nächsten Tag eingestehen, dass die Idee so einfach nicht umzusetzen ist wegen des Einstimmigkeitsprinzips in der EU.

Die Flüchtlinge haben schockierend klar gezeigt, welche Explosionskraft in einer Gesellschaft steckt, wenn sich die Probleme der Welt im eigenen Schrebergarten niederlassen. Angela Merkel hat es aufgegeben, ihre Politik zu erläutern. Sie hofft darauf, dass die Erinnerung verblasst und die Fakten eine andere Realität schreiben.

Dennoch zur Rekapitulation: Niemand hat Grenzen geöffnet. Sie sind in der EU offen und beim Ansturm Hunderttausender nicht zu schließen gewesen. Dies zu akzeptieren war ein Gebot der Realität, der europäischen Stabilität - und auch der Humanität.

Die Weltkrisen, gepackt in einen Flüchtlingstreck, haben Deutschland ein Stück weit aus der Balance gebracht. Was aber wäre geschehen, wenn Griechenland am Geldbeutel genagt hätte? Wenn Deutschland unter russischen Druck und amerikanischem Desinteresse plötzlich zwischen Ost und West wählen müsste? Wenn die schrecklichen Terroranschläge von Bataclan oder Charlie Hebdo in Berlin oder München passiert wären?

Es sind exakt diese Wenns, die eine Beschäftigung mit der Außenpolitik im Wahlkampf erzwingen - und sei es, um die Wähler zu sensibilisieren. Zwei Themen fehlen dabei: Das eine handelt von Europa. Das reiche und mit sich selbst beschäftigte Deutschland ist zur Projektionsfläche geworden für alle, die sich zurückgelassen fühlen oder die sich reiben wollen am Giganten in der Mitte.

Über Bündnisse und Rüstung wird wieder debattiert

Schuldenerlass oder Reparationsfragen sind dafür nur Beispiele. Und nach dem Wahltag wird sichtbar werden: Emmanuel Macron ist nicht zwingend der Heilsbringer, der Europa eine neue Identität verschafft.

Das andere Thema betrifft die Sicherheit. Eine neue, gewaltige Bündnis- und Rüstungsdebatte hat begonnen, und mit ihr all die Fragen nach der Zugehörigkeit, nach West und Ost, Russland und Amerika, nach der eigenen Verantwortung. Was, wenn Russland tatsächlich Mittelstreckenraketen stationiert hat in Erwartung, dass sich Donald Trump für unzuständig erklärt? Das Thema Nachrüstung kennen die Jungen nicht mehr, aber über nukleare Garantien werden sie bald zu diskutieren lernen.

Deutschland ist groß und bedeutend geworden in der Welt. Zu groß und bedeutend für einen Wahlkampf, der vermeintlich langweilig ist. Er müsste es nicht sein.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2017/gal
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