Türkei-Konflikt:Deutschland und die Türkei - Chronik eines Zerwürfnisses

Türkei-Konflikt: Bewegen sich immer mehr außeinander: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Bundeskanzlerin Angela Merkel, hier beim G20-Gipfel in Hamburg.

Bewegen sich immer mehr außeinander: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Bundeskanzlerin Angela Merkel, hier beim G20-Gipfel in Hamburg.

(Foto: AFP)

Ermahnungen, Nazi-Vergleiche und ein Schmähgedicht: Wie es mit den deutsch-türkischen Beziehungen bergab gegangen ist.

Von Veronika Wulf und Miguel Helm

Die Lage zwischen Berlin und Ankara spitzt sich immer weiter zu. Lange ging Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einer Konfrontation aus dem Weg. Nachdem mehrere Deutsche in der Türkei festgenommen wurden, hat die Bundesregierung ihre Politik nun geändert und angekündigt, härter gegen die Türkei vorzugehen. Wie ist es zu dem Zerwürfnis gekommen?

Mai 2013

Zehntausende Türken protestieren im Istanbuler Gezi-Park und auf dem Taksim-Platz gegen den nach ihrer Meinung undemokratischen Regierungsstil von Recep Tayyip Erdoğan, zu dieser Zeit noch Ministerpräsident. Die türkische Polizei geht mit heftiger Gewalt gegen die Demonstranten vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt sich schockiert und fordert Erdoğan auf, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu achten.

März 2016

Auf Initiative von Kanzlerin Merkel einigen sich Ankara und die Europäische Union (EU) darauf, dass die Türkei Flüchtlinge daran hindert, sich von hier aus auf den Weg nach Westen zu machen. Im Gegenzug soll Ankara Milliardenhilfen und Visaerleichterungen erhalten. Kritiker werfen der Bundesregierung später vor, sie habe der Türkei mit diesem "Flüchtlingsdeal" ermöglicht, sie unter Druck zu setzen.

Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann trägt in seiner Satire-Sendung Neo Magazin Royale unter dem Titel "Schmähkritik" ein Gedicht vor, in dem er Erdoğan unter anderem als "sackdoof, feige und verklemmt" bezeichnet. Daraufhin fordert die türkische Regierung die Strafverfolgung Böhmermanns. Die Bundesregierung lässt diese zu, was parteiübergreifend kritisiert wird. Dem türkischen Präsidenten wird von deutschen Politikern und Medien vorgeworfen, Einfluss auf die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland nehmen zu wollen. Die Angelegenheit entwickelt sich zu einem internationalen Skandal.

Juni 2016

Trotz heftiger Kritik aus Ankara beschließt der Bundestag die Armenien-Resolution und stuft damit die Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern während des Ersten Weltkrieges als Völkermord ein. Erdoğan wirft daraufhin deutschen Bundestagsabgeordneten vor, von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gelenkt zu sein. Außerdem droht die türkische Regierung zum ersten Mal, Bundestagsabgeordneten den Besuch deutscher Soldaten zu verbieten, die auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationiert sind. Später macht sie diese Drohung mehrfach wahr.

Juli 2016

Bei dem Putschversuch gegen die türkische Regierung kommen fast 300 Menschen ums Leben. Präsident Erdoğan macht Anhänger des Predigers Fetullah Gülen dafür verantwortlich, lässt Tausende Menschen verhaften und zeigt sich bereit, die Todesstrafe wieder einzuführen. Sollte er das tun, könne die Türkei kein EU-Mitglied werden, warnt die Bundesregierung. Erdogan fordert von Deutschland, Gülen-Anhänger auszuliefern, Merkel kommt der Forderung nicht nach. Die Beitrittsverhandlungen möchte sie aber fortsetzen.

November 2016

Europäische Spitzenpolitiker kritisieren die Türkei zunehmend für ihr hartes Vorgehen gegen Oppositionelle und Menschen, die sie verdächtigt, Anhänger der Gülen-Bewegung zu sein. Dennoch werden die Beitrittsverhandlungen aufrecht erhalten, wohl auch aus Sorge, das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei könnte platzen. Der türkische Außenminister droht, den Deal noch vor Ende des Jahres aufzukündigen, wenn Brüssel die in Aussicht gestellte Visafreiheit für türkische Bürger in der EU nicht erfüllt.

Februar 2017

Der Türkei-Korrespondent der Welt, Deniz Yücel, wird in der Türkei festgenommen. Ihm werden Volksverhetzung und Terrorpropaganda vorgeworfen. Apelle der Bundesregierung, den Journalisten freizulassen, sind vergeblich.

April 2017

Die Türkei stimmt über ein umstrittenes Verfassungsreferendum ab. Das Lager des türkischen Präsidenten gewinnt knapp, dieser kann seine Macht ausbauen. Zuvor versuchen türkische Politiker, nach Deutschland zu reisen, um Wahlkampfreden vor Türken zu halten, die sich hier an dem Referendum beteiligen können. Mehrere Kommunen verhindern diese Auftritte. Daraufhin wirft Erdoğan der Kanzlerin "Nazi-Methoden" vor.

Mai 2017

Es wird bekannt, dass die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu bereits Ende April in der Türkei festgenommen wurde. Deutsche Behörden wurden nicht informiert.

Türkische ranghohe Militärs, die in ihrer Heimat gesucht werden, erhalten Asyl in Deutschland. Die Soldaten werden beschuldigt, Gülen-Anhänger und Befürworter des Putsches zu sein. Erdoğan kritisiert Deutschlands Vorgehen.

Juni 2017

Der Bundestag beschließt, die Bundeswehr vom Luftwaffenstützpunkt im türkischen Incirlik abzuziehen, weil die türkische Regierung deutsche Abgeordnete weiterhin daran hindert, die dort stationierten deutschen Soldaten zu besuchen.

Juli 2017

Die Türkei untersagt deutschen Abgeordneten auch den Besuch des Nato-Stützpunkts in Konya. Als Grund gibt Ankara die schlechten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei an.

Der deutsche Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner wird, zusammen mit fünf weiteren Aktivisten, in der Türkei in Untersuchungshaft genommen. Der offizielle Vorwurf lautet: Unterstützung einer Terrororganisation. Kanzlerin Merkel kritisiert die Inhaftierung und fordert Steudtners Freilassung.

Die Türkei wirft deutschen Firmen wie Daimler und BASF zeitweilig vor, die Bewegung von Fetullah Gülen zu unterstützen - und damit aus ihrer Sicht eine Terrororganisation. Das Bundeskriminalamt geht den Vorwürfen nicht nach, da sie "unkonkret" seien. Die Türkei nimmt von den Vorwürfen dann selbst auch Abstand und spricht von einem Missverständnis.

Außenminister Sigmar Gabriel kündigt an, dass das Auswärtige Amt die Sicherheitshinweise für Reisen in die Türkei verschärfen wird. Darüber hinaus sollen Exportbürgschaften, Investitionskredite und Wirtschaftshilfen überprüft werden. Ankara reagiert gereizt und wirft Deutschland Türkeifeindlichkeit, "Erpressungen und Drohungen" vor.

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