Außenpolitik Barack Obamas:Rüstungskontrollfachmann ohne Vision

Barack Obama, der Präsident der USA, präsentiert bei seiner Rede in Berlin mit dem Abbau von Atomwaffen keine Vision

Obama sprach von Frieden und Gerechtigkeit. Seine Politik folgt vor allem dem Interesse, die USA aus dem Chaos herauszuhalten.

(Foto: Getty Images)

In Berlin redet kein Heilsbringer sondern ein Pragmatiker ohne Emotion. Einst wollte Barack Obama eine "Welt ohne nukleare Waffen". Doch das ist vier Jahre her. Der Verzicht auf große Visionen ist inzwischen symptomatisch für die gesamte Außenpolitik des Präsidenten.

Ein Kommentar von Hubert Wetzel

Barack Obama ist bescheiden geworden. Gerade vier Jahre ist es her, da stand er auf dem Prager Hradschin und verkündete ein ehrgeiziges Vorhaben. Er wolle, so versprach Obama, eine "Welt ohne nukleare Waffen" erreichen - ein idealistisches, fast tollkühnes Ziel, wie es sich wohl nur ein junger, gerade erst ins Amt gewählter Präsident setzen kann.

Am Mittwoch stand Obama wieder vor einer historischen Kulisse in Europa, dem Brandenburger Tor, und wieder sprach er über Atomwaffen und Abrüstung. Doch dieses Mal verzichtete er auf einen großen Wurf. Sofern Russland mitziehe, sei Amerika bereit, die Zahl der einsatzbereiten Atomsprengköpfe von derzeit gut 1500 auf etwa 1000 zu senken, schlug der Präsident vor - ein simpler Deal. In Prag hatte Barack Obama, der Visionär, gesprochen. In Berlin sprach Obama, der Rüstungskontrollfachmann.

Am Inhalt des neuen Abrüstungsvorschlags gibt es nichts auszusetzen. 1000 Nuklearsprengköpfe sind immer noch genug, um die Welt zu verwüsten. Vermutlich würden ein paar Dutzend Atombomben reichen, um jeden Feind, der sich abschrecken lässt, von einem Angriff auf die USA abzuhalten. Der Rest kann getrost in die Schrottpresse. Die Sicherheit Amerikas setzt Obama also nicht aufs Spiel, auch wenn die Atomwaffenlobby im Kongress genau das behaupten wird. Genauso wenig hat Moskau einen Grund, das Angebot abzulehnen.

Russland leidet noch viel mehr als die USA unter den gigantischen Summen, die das Atomarsenal kostet. Andererseits: So, wie sich Präsident Wladimir Putin derzeit benimmt, wird er bestimmt einen Weg finden, um dem US-Kollegen in die Suppe zu spucken.

Obamas Ansprache wird kaum als eine seiner großen Reden in die Geschichte eingehen. Dafür war sie zu matt. Da redete kein Heilsbringer, sondern ein Politiker, der weiß, was er einem Berliner Publikum schuldig ist. Ein bisschen JFK, ein bisschen Luftbrücke. Doch gerade diese Nüchternheit, der Verzicht auf große Visionen, ist inzwischen symptomatisch für die gesamte Außenpolitik des Präsidenten.

Obamas Außenpolitik fehlt jede emotionale Dimension

Vier Jahre ist Obama jetzt im Amt, und vielleicht steckte hinter seinem einstigen Idealismus tatsächlich mehr als Naivität und schöne Rhetorik. Heute ist von diesem Idealismus wenig übrig, nicht in Obamas Reden und schon gar nicht in seiner praktischen Politik. Was immer Obama früher war - heute ist er der wohl unsentimentalste Realpolitiker, der Amerika seit langer Zeit regiert hat.

Man kann es noch schärfer formulieren: Obamas Außenpolitik fehlt jede emotionale Dimension. Den Präsidenten leiten purer Pragmatismus und Interessen, Grenzen setzt ihm allenfalls das Völkerrecht. Das muss nicht falsch sein. Die Außenpolitik seines Vorgängers George W. Bush war pure Emotion, eine Mischung aus Großmannssucht und Selbstgerechtigkeit. Nach dem Terror vom 11. September 2001 kamen Rachedurst und die selbst auferlegte moralische Mission hinzu, der Welt Freiheit bringen zu wollen. Bush war stolz, Entscheidungen aus dem Bauch zu treffen. Als es um Krieg und Frieden ging, ging das schrecklich schief.

Obama tickt anders, auch wenn er genauso viel von Freiheit redet wie Bush. Obama dreht und wendet und begutachtet ein außenpolitisches Problem. Wenn er alle Argumente abgewägt hat, entscheidet er. Das führt zu einer sehr rationalen, manchmal zögerlichen, aber nicht zu einer empathischen Außenpolitik. Und es kann dazu verleiten, moralische Aspekte als weniger wichtig abzutun.

So sprach Obama in Berlin zwar von Frieden und Gerechtigkeit, zum Beispiel in der arabischen Welt. Seine Politik dort aber folgt vor allem dem Interesse, die USA aus dem Chaos herauszuhalten. Dass nun ein Freihandelsabkommen den neuen Kitt bilden soll, der Amerika und Europa verbindet, passt gut zu Obama (und, nebenbei, auch zur ebenso nüchternen Kanzlerin Angela Merkel): Da geht es um Genmais und Industriestandards und neue Arbeitsplätze. Nicht ums Gefühl.

Paradoxerweise haben viele Europäer, zumal die Deutschen, mit beiden Präsidenten ihr Problem. Sie verachteten Bush als angeblich tumben Cowboy. Doch inzwischen ist ihnen auch der kalte Analytiker Obama, der Terrorverdächtige von Drohnen töten und das Internet überwachen lässt, nicht mehr geheuer.

Die Europäer sehnen sich danach, dass Amerika sie respektiert und ernst nimmt. Aber sie werden nervös, wenn Amerika seine Rolle als Weltmacht nicht nur darin sieht, den Klimawandel zu bekämpfen, sondern auch Islamisten in Afrika. Obama - der Realist, der weiß, dass er zuallererst für die Sicherheit Amerikas verantwortlich ist - hatte für diese Kritiker in Berlin eine Botschaft: Die Mauer ist weg. Aber die Welt ist immer noch gefährlich.

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