Außenministerium der USA:Hillary, Ministerin für Wikileaks

Bei fast allen außenpolitischen Themen stiehlt Präsident Obama seiner Außenministerin die Show. Die Wikileaks-Affäre überließ er ihr. Doch mit Hilfe der vermeintlichen Katastrophe gewinnt Hillary Clinton nun erstmals Profil.

Barbara Vorsamer

Hillary Clinton und Barack Obama sind außenpolitisch ein Team geworden - etwas, was 2008 keiner für möglich gehalten hätte. Damals lästerte sie, dass sich seine außenpolitische Erfahrung darauf beschränke, als Kind in Indonesien gelebt zu haben. Er schoss zurück, dass sie bislang auch nicht mehr gemacht habe, als mit ausländischen Staatschefs Tee zu trinken.

Außenministerium der USA: "Kein besserer Freund": Außenministerin Hillary Clinton schmeichelt dem Italiener Berlusconi, nachdem er in Depeschen ihrer Mitarbeiter als "aufgeblasen" beschrieben wurde.

"Kein besserer Freund": Außenministerin Hillary Clinton schmeichelt dem Italiener Berlusconi, nachdem er in Depeschen ihrer Mitarbeiter als "aufgeblasen" beschrieben wurde.

(Foto: AFP)

Doch diese Erfahrung als First Lady kommt Clinton derzeit zugute. Die Veröffentlichung von 250.000 geheimen Depeschen aus dem diplomatischen Dienst durch die Enthüllungswebsite Wikileaks haben die USA vor der ganzen Welt blamiert. Die teils harschen Bewertungen von Staats- und Regierungschefs durch US-Diplomaten haben einen Flurschaden hinterlassen, dessen Ausmaß noch nicht ganz abzusehen ist.

Sie wird "mit hochrotem Kopf um den Globus jetten müssen", um ramponierte Beziehungen zu reparieren, kommentierte der österreichische Standard treffend, als die US-Außenministerin diese Woche aus ihrer Reise durch Zentralasien anlässlich des OSZE-Gipfels in Kasachstan eine Tour der Reue machte. Bei zahlreichen internationalen Größen musste sie sich entschuldigen. Da half es, dass sie viele davon schon seit Jahren kennt.

Zum Beispiel den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Ihn haben amerikanische Botschaftsangehörige als "inkompetent", "aufgeblasen" und "ineffektiv" beschrieben. Am Rande des Gipfels in Astana schmeichelte Clinton ihm nun und sagte der Presse, Washington habe "keinen besseren Freund". Die beiden kennen sich seit vielen Jahren, trafen sich schon 1994 zu einem Staatsdinner im italienischen Caserta. Berlusconi war da gerade zum ersten Mal Ministerpräsident geworden, First Lady Hillary hatte ihren Mann Bill zum Nato-Gipfel in Brüssel begleitet.

Vor diesen internationalen Kontakten hatte Obama 2008 möglicherweise ein wenig Angst, seine Mitarbeiter befürchteten öffentlich eine "Nebenregierung" Hillarys im State Department. Deshalb bearbeitete der Präsident die wichtigsten außenpolitischen Felder selbst oder ernannte so profilierte Gesandte, dass diese ebenso Außenminister hätten werden können. George Mitchell für den Nahen Osten zum Beispiel, und Richard Holbrooke für Afghanistan und Pakistan.

So traten zum Thema Nahostkonflikt fast immer nur der Präsident oder Mitchell ins Rampenlicht. Um den Einsatz in Afghanistan kümmerte sich neben Holbrooke Verteidigungsminister Robert Gates. Für den Irakkrieg machte Obama seinen Stellvertreter Joe Biden verantwortlich. Außenministerin Hillary Clinton stand dermaßen im Schatten des Weißen Hauses, dass dem Magazin Forbes, als es sie zur fünftmächtigsten Frau der Welt erklärte, als Leistung nur Clintons Einsatz für Vergewaltigungsopfer im Kongo und Flutopfer in Pakistan einfiel.

Für die Liste 2011 könnte da mehr zusammenkommen. Seit einer Woche ist Hillary Clinton das Gesicht der US-Regierung, sie ist diejenige, die sich zu den Wikileaks-Veröffentlichungen erklärt und um Schadensbegrenzung bemüht ist. Schon bevor das erste Dokument online ging, ging die Außenministerin in die Vorwärtsverteidigung. Sie telefonierte mit zahlreichen Kollegen, um zu warnen und zu beruhigen.

Auch die erste Pressekonferenz nach der Veröffentlichung übernahm Clinton. Dabei griff sie Wikileaks scharf an und kündigte "aggressive Schritte" gegen die undichten Stellen in ihrem Apparat an. "Diese Enthüllung ist nicht nur ein Angriff auf die außenpolitischen Interessen der USA, sondern auf die internationale Sicherheit", sagte sie.

Lob vom Weißen Haus

Ernst, konzentriert und professionell stellt sie sich den Fragen der Journalisten - und gibt damit ihr Gesicht her für den größten außenpolitischen Skandal seit Obamas Amtsübernahme. Ihr Konterfei ziert die Artikel über die Affäre, sie wird von Wikileaks-Gründer Julian Assange zum Rücktritt aufgefordert. Der Präsident bleibt unsichtbar. Dafür lobt sein Sprecher Robert Gibbs Hillary Clintons hervorragende Arbeit und sagt zu den Rücktrittsforderungen: "Ich weiß nicht, warum uns die Meinung eines Typen mit einer Website interessiert."

Hillary Clinton Berlusconi

Alte Bekannte: Hillary Clinton und Silvio Berlusconi 1994 (mit dessen Ehefrau Veronica Lario und Bill Clinton, von links nach rechts).

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Das unangenehmste Dokument für die Außenministerin ist mit ihrem Namen unterzeichnet. Die Depesche ging an 36 US-Vertretungen in Osteuropa, im Nahen Osten und in Lateinamerika und forderte die Mitarbeiter dort auf, sensible Informationen zu sammeln und diese an die amerikanischen Geheimdienste weiterzugeben. Explizit bat das Memo um biographische Daten von internationalen Ansprechpartnern, um deren Mails, Passwörter und Kreditkartennummern. Ist das Spionage? Die Frage steht seitdem im Raum.

Und während Hillary Clinton zwar für den gesamten diplomatischen Dienst und die Obama-Regierung in die Bresche sprang und sich öffentlich äußerte - die Anfragen zum Spionagevorwurf ließ sie dann doch von ihrem Sprecher Philip Crowley beantworten. Der sagte: "Unsere Diplomaten sind nur das: Diplomaten." Via CNN erläuterte er, dass es sich bei der fraglichen Depesche lediglich um eine Art Wunschliste handle, die Behörden an Botschaften schickten - und die diese ignorieren dürften. Es sei keine Anordnung.

Diese Dementis halfen wenig, um die Spionage-Diskussion zu beenden. Noch ist nicht klar, wie sehr das Dokument den US-Diplomaten künftig die Arbeit erschweren wird - genauso wenig wie der Grad der Verschnupftheit von Partnern über die teilweise beleidigenden Urteile in den Depeschen. Hillary Clinton wird hier noch viel Aufbauarbeit leisten müssen.

Für diese undankbare Aufgabe ist sie die Richtige. Ihre Hartnäckigkeit und Loyalität hat sie in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder bewiesen. Gerüchte, dass sie ihren Aufenthalt im Außenministerium nur als Sprungbrett für eine erneute Präsidentschaftskandidatur sieht, gibt es zwar immer wieder - sie kommen jedoch meist von ehemaligen Mitarbeitern, deren Wunsch, selbst irgendwann ins Weiße Haus zu kommen, wahrscheinlich mehr damit zu tun hat als Clintons reelle Ambitionen.

Ihr Mann wehrte solche Spekulationen kürzlich in einem Fernsehinterview ab. Hillary, die bei der Präsidentschaftswahl in sechs Jahren 69 Jahre alt wäre, habe andere Ziele. "Sie will lieber Großmutter als Präsidentin werden", sagte Bill Clinton.

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