Außenminister Westerwelle:Ich bin Deutschland

Guido Westerwelle ist von seinem neuen Amt tief beeindruckt - als Außenminister will er alles richtig machen. Nur ist es so, dass Richtigmachen auch übertrieben werden kann.

Daniel Brössler, Washington

Es ist schon dunkel. Draußen warten nur der Botschafter, ein paar Mitarbeiter und die Limousinen. Die Landung eines europäischen Außenministers, auch eines neuen, ist Routine in Washington. Kein roter Teppich, kein Tamtam.

Außenminister Westerwelle: Staatsmännisch: Außenminister Westerwelle vor seinem Abflug nach Washington

Staatsmännisch: Außenminister Westerwelle vor seinem Abflug nach Washington

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Eine stille Ankunft. So nennen das die Diplomaten, und genauso war es auch geplant. Und doch wirkt die Stille fast unheimlich nach Tagen, wie sie Guido Westerwelle hinter sich hat. In Brüssel, wo die Kanzlerin ihn ins Scheinwerferlicht schob. In Warschau, wo ihn der polnische Präsident in seinem Palast herumführte. In Paris, wo ihm Nicolas Sarkozy vor laufenden Kameras auf die Schulter klopfte. Wen also hätte es gewundert, hätte Hillary Clinton nebst Gatte Bill persönlich am Flughafen vorbeigeschaut, um den Kollegen in Empfang zu nehmen? Westerwelle wahrscheinlich nicht.

Seit einer Woche ist er nun im Amt; einem Amt, in dem Westerwelle eine neue Welt entdeckt. Und eine Woche, in der zumindest Deutschland sich fragt, ob es einen neuen Westerwelle gibt.

"Zu seiner Ernennung fielen nicht gerade freundliche Worte. Da hieß es, die internationalen Profis würden nun einem Laien-Diplomaten begegnen, der kaum über Auslandserfahrung verfüge und nicht einmal passabel Englisch spreche." Das stand am 26. Mai 1974 in der Welt am Sonntag - und galt Hans-Dietrich Genscher, der nach fünf Jahren als Innenminister ins Auswärtige Amt gewechselt war. Er war damals 47 Jahre alt, so wie sein politischer Ziehsohn heute.

Im Video: Beim Antrittsbesuch des Außenminister bei seiner US-Amtskollegin Clinton standen die Themen Afghanistan und Iran im Mittelpunkt.

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Westerwelle ist zehnter Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und teilt das Schicksal vieler Vorgänger, erst einmal belächelt zu werden. Meist legt sich das schnell. Nach den ersten Auftritten, den ersten Reisen. Eigentlich gibt es keinen Grund, warum das bei Westerwelle anders laufen sollte, warum er es schwerer haben sollte. Er macht ja alles richtig, eigentlich. Hält sich erst einmal zurück, hört mehr zu, als er redet. Setzt mit Besuchen in kleinen Ländern wie Luxemburg ein sympathisches Zeichen.

Fragen des Respekts

Nur ist es so, dass Richtigmachen auch übertrieben werden kann. Der Antrittsbesuch bei Clinton ist von "zeitlich sehr ehrgeiziger" Art, wie es Westerwelle formuliert. Unbedingt muss er jetzt stattfinden, damit der Höflichkeit Genüge getan ist, noch bevor die Außenministerin anlässlich der 20-Jahr-Feier des Mauerfalls Berlin beehrt.

"Das ist eine Frage des Respekts", sagt er. Korrektheit und gutes Benehmen sollen ein Markenzeichen seiner Amtsführung sein. Hillary Clinton hätte dem Deutschen ein bisschen weniger Korrektheit vermutlich durchgehen lassen. Sie ist gerade von einer anstrengenden Nahost-Reise zurückgekehrt, und der Zeitplan ist eng.

Man ahnt, dass nach einer Phase erster Zurückhaltung der korrekte Deutsche die Nerven internationaler Kollegen auf die Probe stellen wird. Beim Eintreffen in Washington sind Westerwelles Augen gerötet. Er hat Tage und Nächte mit sehr wenig Schlaf hinter sich. Wenn keine Gespräche zu absolvieren waren, kämpfte sich der Minister durch Aktenberge. Bisher war er durchschnittlich außenpolitisch informiert. Er wird vermutlich nicht eher ruhen, bis der Missstand behoben ist. Westerwelles Strebsamkeit hat ihn immer weitergebracht.

Nachteil der Strebsamkeit

Was ihn mitunter zurückwirft, ist seine Unfähigkeit, sie zu verbergen. Das ist auch so im Uhrensaal des französischen Außenministeriums. Westerwelle sitzt neben Bernard Kouchner. Der Tausendsassa ist am Vortag 70 Jahre alt geworden; einen "sehr sympathischen Mann" nennt ihn Westerwelle da artig "vor dem Hintergrund eines besonderen Ereignisses am gestrigen Tage". Kouchner lächelt gequält ob der verkrampften Gratulation. Westerwelle merkt, dass das gerade nicht so gut läuft und flüchtet sich rasch in "politische Fragen weit über die Europapolitik hinaus".

Nach der Explosion des Westerwellschen Selbstbewusstseins in der Innenpolitik kann es unterhaltsam sein, seine tastenden Schritte in der Außenpolitik zu verfolgen. Beim Europäischen Rat in Brüssel zum Beispiel. Da sitzt er plötzlich ganz allein neben der Kanzlerin. Keine Mitarbeiter, keine dienstbaren Geister in der zweiten Reihe, die helfen könnten. Wenn Merkel den Platz verlässt, ist Westerwelle Deutschland. Das beeindruckt ihn.

Kleine Nachsätze

Und wenige Tage später, unter den Leuchtern und kunstvollen Engeln im Uhrensaal am Quai d'Orsay kann er sein Entzücken nicht verbergen. In einer "persönlichen Anmerkung" preist er einen der "schönsten Säle, wo man je eine Pressekonferenz hat abhalten dürfen". Er sagt öfter "man", wenn er sich meint. Im Laufe seiner Karriere ist es Westerwelle zur Gewohnheit geworden, prüfend neben sich zu stehen. Als Außenminister schaut er nun auch oft hinter sich her. Dann überlegt er, ob er sich korrekt geäußert, ob er nichts vergessen hat.

"Darf ich noch einen Nachsatz machen?", fragt er im Pressesaal des Haager Außenministeriums. Es geht um zusätzliche deutsche Truppen für Afghanistan, und Westerwelle hat schon gesagt, dass er nichts sagen will, bevor er nicht mit Hillary Clinton in Washington gesprochen hat. Dann erklärt er speziell für die "niederländischen Kollegen" doch noch mal einiges zur Beschlusslage des Bundestages, mehr vermutlich, als die Holländer in ihren Berichten unterbringen können. Westerwelles Nachsätze werden zum Albtraum der Pressesprecher. Sobald sie das Wort weitergegeben haben, verlangt der Außenminister es zurück.

Mehr noch als sich selbst beobachtet der neue Außenminister natürlich die anderen. Es ist nicht ganz klar, was Westerwelle erwartet hat, aber er ist erkennbar erleichtert darüber, wie nett er begrüßt wird von Warschau über Paris bis Washington. "Ich bin überwältigt von der Freundlichkeit, mit der ich hier empfangen worden bin", sagt er, nachdem ihn der französische Präsident gerade persönlich zur Tür des Élysée-Palastes geleitet hat.

Auf seinen Reisen begegnet dem Mann, der der eigentliche deutsche Wahlsieger ist und der sich zu seiner Homosexualität bekennt, ehrliches Interesse, auch Neugier. Westerwelle weiß das zu nutzen, findet einen Draht zu den Mächtigen. Umgekehrt kann ausgebufften Staatsleuten wie Sarkozy nicht entgehen, wie empfänglich, wie dankbar hier einer ist für Gesten der Anerkennung.

"Ich habe mich sehr gefreut über eine außerordentlich freundliche Aufnahme", sagt Westerwelle auch nach dem Gespräch mit Außenministerin Hillary Clinton im State Departement. Dabei ist über Iran und Afghanistan geredet worben, zudem hat Westerwelle für einen neuen Anlauf in der Abrüstung geworben.

Ein weiteres Thema war Opel. Clinton habe "nachdrücklich" versichert, die Entscheidung von General Motors, Opel doch nicht an Magna zu verkaufen, sei "ohne jede Einflussnahme der amerikanischen Regierung zustande gekommen". Das sei eine "wichtige Nachricht", erläutert Westerwelle. Clinton sagt dazu nichts. Aber sie nickt freundlich.

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