Außenansicht:Raus aus der Kohle - aber smart

Weltklimarat stellt 5.Klimaberiicht vor

Ottmar Edenhofer, 57, ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Den Text hat er gemeinsam mit Kai Hufendiek, 49, geschrieben, dem Chef des Instituts für Energieökonomik IER der Universität Stuttgart.

(Foto: Rainer Jensen/dpa)

Der Ausstieg allein wird dem Klima nicht helfen. Der Staat muss zusätzlich einen Mindestpreis für CO₂-Emissionen festlegen. Von Ottmar Edenhofer

Von Ottmar Edenhofer

Trotz Kohleausstieg kaum sinkende Treibhausgasemissionen? So bizarr das klingt - es ist ein leider höchst reales Szenario. Die Kohlekommission hat im Auftrag der Bundesregierung den Beschluss gefasst, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt aus der Kohleverbrennung aussteigt. Aber der Plan hat gravierende Mängel, die es zu beheben gilt, wenn diese politische Großanstrengung auch wirklich das Klima stabilisieren soll.

Nur großzügig Wohltaten zu verteilen, für die der Steuerzahler aufkommen muss, kann nicht die Lösung sein. Bundesländer, Energieunternehmen und Stromkunden erhalten Hilfen, Förderung, Entschädigungen und Schutz vor steigenden Preisen. Die Kommission sollte aber klären, wie Deutschland seine Klimaziele kostengünstig und sozial ausgewogen erreicht, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Denn Deutschland wird bis 2020 seine nationalen Klimaziele krachend verfehlen. Wenn die Politik vor diesem Hintergrund auf die ehrgeizigeren Ziele bis 2030 verweist, ist das wenig glaubwürdig.

Der jetzt vorliegende Plan sieht vor, bis 2023 rund 13 Gigawatt Braun- und Steinkohlekraftwerke vom Netz zu nehmen. Damit lösen sich die bislang von diesen Kraftwerken verursachten Emissionen jedoch nicht in Luft auf, denn in der Energiewirtschaft sind Leistung (also die Fähigkeit, zu produzieren) und Arbeit (also wirklich Strom zu produzieren) zweierlei. Die stillgelegte Leistung kann nicht mehr produzieren und emittieren, aber wenn im Gegenzug alle noch nicht stillgelegten, derzeit kaum ausgelasteten Steinkohlekraftwerke rentabler werden und mehr Strom produzieren, können die Emissionen wieder steigen. Das verknappte Angebot kann die Preise nach oben treiben und damit mehr Produktion in den verbliebenen Kraftwerken anreizen. Mit anderen Worten: Der Strommarkt macht den Planern des Kohleausstiegs einen Strich durch die Rechnung. Dies zeigt auch unsere Forschung im Kopernikus-Projekt ENavi. Das sieht die Kommission zwar, aber sie empfiehlt keine Maßnahmen, um die Emissionen im Stromsektor tatsächlich sicher zu senken.

Was also wäre der smarte, der nachhaltige Weg raus aus der Kohle? Unterstützung kommt von unerwarteter Seite: Im europäischen Emissionshandel ist der Preis für die Tonne CO₂ beträchtlich gestiegen, zuletzt lag er bei 24 Euro pro Tonne CO₂. Bei diesem Preis werden die im Betrieb teureren Gaskraftwerke gegenüber älteren Steinkohlekraftwerken rentabel. Bei einem geeignet hohem CO₂-Preis sinken die Emissionen sofort, weil, wie im Jahr 2018 geschehen, die Produktion der Kohlekraftwerke sofort zurückgefahren wird und nicht erst, wenn Verhandlungen mit einzelnen Kraftwerksbetreibern abgeschlossen sind. Die Versorgungssicherheit für das Stromnetz wie die Fernwärme bliebe aber voll erhalten, weil die Leistung zunächst noch verfügbar bleibt.

Die Kraftwerksbetreiber wollen sich den Ausstieg vom Staat teuer bezahlen lassen, am Ende muss dafür der Steuerzahler aufkommen. Mit einem CO₂-Preis werden dagegen keine Kompensationszahlungen fällig. Er schafft zeitlichen Spielraum, um den Umbau von Stromerzeugung, Netzen und Wärmebereitstellung auf hohe Anteile erneuerbarer Energien kostengünstiger zu realisieren. Massive Investitionen in neue Gaskraftwerke könnten weitgehend entfallen. Können Kraftwerksbetreiber langfristig mit einem spürbaren CO₂-Preis rechnen, werden schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen Alternativen für die Versorgungssicherheit und Fernwärmebereitstellung geschaffen; die Kohlekraftwerke können dann vom Netz gehen.

Der Preisanstieg auf dem europäischen Zertifikatemarkt würde zudem nicht nur die deutschen, sondern alle europäischen Kraftwerke betreffen. Damit würden in Europa die Emissionen sinken, ohne die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Dafür muss der Preis bis 2030 auf mindestens 35 Euro pro Tonne CO₂ ansteigen. Aber der Emissionshandel reagiert auf politische Stimmungen. Verlieren die Märkte das Vertrauen in die Klimapolitik, besteht das Risiko, dass der Preis wieder fällt.

Ein Mindestpreis auf europäischer Ebene würde hier Abhilfe schaffen und Investoren Sicherheit geben. Das wäre eine verlässliche Grundlage für Investitionen in erneuerbare Energien, aber auch für die Stilllegung von Kraftwerken. Ein solches Instrument bedarf zudem keiner permanenten Revision, die die Kommission alle drei Jahre vorsieht. Denn es besitzt ausreichend Freiheitsgrade, um den Kraftwerksbetreibern eine marktkonforme und effiziente Anpassung zu ermöglichen.

Deutschland könnte sich für die Einführung eines solchen europäischen Mindestpreises stark machen und durch eine breite Allianz für den Klimaschutz Wettbewerbsnachteile für die deutsche Industrie beseitigen. Frankreich, Österreich, die Benelux-Staaten, Spanien, Italien, Dänemark und Schweden sind bereits davon überzeugt, dass dieser Mindestpreis auch für sie sinnvoll ist. Diesen Initiativen könnte Deutschland mit einer europäischen Koalition der Klima-Pioniere zum Durchbruch verhelfen.

Ohne CO₂-Preis riskiert Deutschland, dass auch die Klimaziele 2030 nicht erreicht werden oder der Kohleausstieg unverhältnismäßig teuer wird, so wie wir das bereits mehrfach bei einzelnen Eingriffen in das Energiesystem erlebt haben. Wird auf europäischer Ebene keine Einigung erzielt, könnte Deutschland eine zusätzliche nationale CO₂-Gebühr erheben. Die Grundidee: Ist der Preis am europäischen Zertifikatemarkt zu niedrig, gleicht eine zusätzliche nationale CO₂-Gebühr die Differenz zum Mindestpreis aus, den Deutschland für seine Kraftwerke festlegt. Im Gegenzug werden Emissionszertifikate im europäischen Emissionshandel stillgelegt.

Was eine flexible nationale CO₂-Gebühr bewirken kann, zeigt das Beispiel Großbritannien. Dort wurde die Gebühr bereits 2013 eingeführt, die Verstromung von Kohle hat sich schnell reduziert. Auch wenn die Ausgangssituation eine andere war als in Deutschland: Eine so ausgestaltete CO₂-Gebühr würde langfristig auch verhindern, dass nach 2030 zu viele Gaskraftwerke ans Netz gehen und dadurch die Emissionen zu stark steigen.

In einem Sondervotum haben sich jetzt einige Mitglieder der Kohlekommission für einen CO₂-Mindestpreis ausgesprochen. Offenbar konnte sich die Mehrheit nicht auf diese kosteneffiziente Option einigen. Der Gesetzgeber ist jedoch frei, sich das Sondervotum zu eigen zu machen. Er kann einen wichtigen Beitrag leisten zur Begrenzung von Klimarisiken. Er kann die Erwartungen von Investoren stabilisieren. Er kann helfen, das zu schaffen, was die Politik am meisten braucht: Vertrauen.

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