Außenansicht zu 60 Jahren Israel:Auf den Ruinen eines Volkes

Der Staat Israel konnte nur entstehen, indem die Palästinenser für Verbrechen bezahlten, die sie nicht begangen hatten.

Fuad Hamdan

In diesem Monat wird der Staat Israel den 60. Jahrestag seiner Gründung begehen, ein Ereignis, dem in vielen Ländern feierlich gedacht werden dürfte.

Außenansicht zu 60 Jahren Israel: Ein Land in permanentem Kriegszustand: Israelische Soldaten 2005 an der Grenze zum Gaza-Streifen.

Ein Land in permanentem Kriegszustand: Israelische Soldaten 2005 an der Grenze zum Gaza-Streifen.

(Foto: Foto: dpa)

Aus der Sicht der Israelis und der mit ihnen verbundenen westlichen Länder und Menschen ist diese Staatsgründung ein Grund zum Feiern. Nach der menschlichen und zivilisatorischen Katastrophe im Europa des 20. Jahrhunderts konnte es unter ethisch-moralischen Aspekten keine andere Lösung geben, als den Juden einen eigenen Staat zuzubilligen.

Der ewige europäisch-christliche Antisemitismus war auch der Grund für die Entstehung des Zionismus, der jüdischen Nationalbewegung im Europa des 19. Jahrhunderts, der schließlich politisch und militärisch die Gründung des jüdischen Staates gegen den Willen der einheimischen arabischen Bevölkerung Palästinas erzwang.

Für Europa war das Problem durch die Gründung eines jüdischen Staates gelöst beziehungsweise ausgelagert. Aber damit begannen für andere, für die Palästinenser, die Probleme. Die jüdische Staatsgründung markiert den Beginn der Nakba, der palästinensischen Katastrophe.

Im Gegensatz zu Großbritannien, Frankreich und anderen Staaten, die früher Kolonialismus in anderen Teilen der Welt betrieben, ging es den Zionisten nicht um die Ausbeutung von Bodenschätzen und anderen Ressourcen. Sondern sie sahen es auf den Grund und Boden der Einheimischen ab. Die jüdische Landnahme zielte darauf, den Boden Palästinas zu judaisieren.

Es war naiv zu glauben, die Palästinenser - oder irgendein anderes Volk - würden dem Plan der Zionisten und der Briten zu einem jüdischen Staat in Palästina zustimmen. Warum auch? Die Palästinenser hatten keine Ahnung, was den Juden Europas widerfahren war. Und selbst wenn sie es gewusst hätten: Warum hätten sie für Verbrechen bezahlen sollen, die sie nicht begangen haben?

Nachdem die Bilder von Auschwitz bekannt wurden und jedermann das Ausmaß der Katastrophe erkennen konnte, musste die Weltöffentlichkeit also der Gründung eines jüdischen Staates zuzustimmen. Die Tatsache, dass dabei einem anderen Volk Unrecht widerfahren würde, musste dabei außer Acht gelassen werden. Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache: Die palästinensische Tragödie ist eine Folge der jüdischen Tragödie in Europa.

Man kann es drehen und wenden wie man will, und bei aller Sympathie und Mitgefühl für die Opfer: Der israelische Staat entstand auf den Ruinen eines anderen Volkes. 700.000 Menschen verloren ihre Heimat, mehrere hundert Dörfer wurden durch die jüdischen Verbände dem Erdboden gleichgemacht. Heute würde man das ethnische Säuberung nennen.

Ein Meer aus diktatorischen und korrupten arabischen Staaten

63 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und 60 Jahre nach der israelischen Staatsgründung gedenken und feiern Europäer sowie Nordamerikaner die Staatsgründung Israels.

Die Nakba, die Vertreibung und Entrechtung eines ganzen Volkes, wird verschwiegen. Im Gegenteil, man hat kein bisschen Verständnis dafür, dass die Palästinenser sich wehren und sich mit dem an ihnen begangenen Unrecht nicht abfinden wollen. Und doch, Unrecht bleibt Unrecht, auch nach sechzig Jahren.

Auf den Ruinen eines Volkes

Aus israelischer Perspektive sind die Feierlichkeiten zur Staatsgründung verständlich. Nach all den Jahrhunderten, ja: Jahrtausenden der Diskriminierung und Verfolgung haben die Juden endlich ihren eigenen Staat.

Und es ist dies der einzige demokratische Staat in dieser Weltregion, er ist umgeben von einem Meer aus diktatorischen und korrupten arabischen Staaten. Obwohl sich das Land quasi permanent im Kriegszustand befindet, waren die Bürgerrechte der jüdischen Israelis nie gefährdet.

Davon können die arabischen Menschen, egal ob in Ägypten, Syrien, Tunesien oder Saudi-Arabien, nur träumen. Die israelische Armee ist dazu da, den israelischen Staat gegen Feinde von außen zu schützen. Die arabischen Armeen sind dazu da, die Regimes vor der eigenen Bevölkerung zu schützen. Nur kann dieser Unterschied nicht dazu führen, dass man dem einen, demokratisch organisierten Volk einen Freibrief zur Unterdrückung und Entrechtung eines anderen Volkes ausstellt.

Vom kleinen David zum atomaren Monster

Die israelische Staatsgründung ist, man muss es neidlos anerkennen, eine gigantische Leistung der zionistischen Bewegung. Noch gigantischer war und ist aber ihre propagandistische Leistung. Ihr ist es stets gelungen, sich der Weltöffentlichkeit als Opfer zu präsentieren - und die eigentlichen Opfer dieser Staatsgründung als Täter hinzustellen.

Heute noch glaubt eine große Mehrheit in Europa und Nordamerika, der Staat Israel sei schwach und werde von seinen arabischen Nachbarn bedroht. Die Legende vom kleinen David, Israel, das sich permanent im Kampf gegen den großen Goliath, die Araber, zu behaupten habe - diese Legende hat sich in vielen Köpfen verfestigt. Fakt ist: Dieser Staat ist mit Abstand die stärkste und zugleich aggressivste Militärmacht in der Region. Der kleine David hat sich längst zu einem atomaren Monster entwickelt.

Die Nachbarn, einschließlich der meisten Palästinenser, haben sich wohl oder übel mit diesem Staat abgefunden und betteln seit Jahren unentwegt um Frieden. Die Arabische Liga hat im März 2002 und im Frühjahr 2007 einen Friedensplan vorgelegt, der die Anerkennung Israels in den Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 vorsieht. Die von den Arabern damit dargebotene Hand wurde von Israel jedoch ausgeschlagen.

"Die Apartheid ist zurückgekehrt"

Die israelische Politik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung erinnert stark an das Apartheidsystem, das die weiße Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg für fast ein halbes Jahrhundert in Südafrika errichtete. Heute gibt es viele Parallelen zwischen dem jüdischen Staat und dem Apartheidregime in Südafrika. Um sich dies vor Augen zu führen, muss man einfach "Weiß" durch "Jüdisch" beziehungsweise Hautfarbe durch Religion ersetzen.

Erzbischof Desmond Tutu, der Friedensnobelpreisträger aus Südafrika, sagte: "Meine Besuche im Heiligen Land erinnern mich so sehr an Südafrika. Die Apartheid ist zurückgekehrt, samt Mauer und Bantustans." Letzteres war die Bezeichnung der südafrikanischen Regierung für die von ihr geschaffenen Homelands, der Reservate für die Schwarzen. Das Apartheidregime in Südafrika konnte nur durch Boykott der Weltgemeinschaft besiegt und beendet werden.

Fuad Hamdan wurde 1951 in einem Flüchtlingslager geboren. Das Dorf seiner Eltern war 1948 von der israelischen Armee zerstört worden. Er leitet das Dritte-Welt-Zentrum in München.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: