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Außenansicht:Wende nicht verschlafen

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Die Bundesregierung sollte den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht bremsen, sondern beschleunigen.

Von Eicke R. Weber

Der Konflikt um die Energiewende in Deutschland ist in eine neue Phase getreten. Die Bundesnetzagentur erklärte kürzlich, dass die Einspeisung von noch mehr wachsender Sonnen- und Windenergie, deren Aufkommen stark schwankt, noch teurer werden könnte, da die Kosten für die Bereitstellung von Reservekraftwerken von heute etwa einer Milliarde Euro auf vier Milliarden steigen könnten. Zum Vergleich: Die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) kostet jährlich etwa 25 Milliarden Euro, es geht also um im gesamten Energiesystem überschaubare Beträge. Dazu kommt, dass diese Voraussage kontrovers diskutiert wird: Die Agora Stiftung für erneuerbare Energie kommt zum gegenteiligen Schluss: Nach ihren Schätzungen sind die Kosten der Einspeisung fluktuierender erneuerbarer Energien in den letzten zehn Jahren gesunken.

Zudem führt der Eigenverbrauch von Solar- und Windstrom durch Haushalte und Industrie dazu, dass der Bezug von Netzstrom entsprechend abnimmt, es müssen also gar keine steigenden Kosten für die Einspeisung wachsender Mengen erneuerbarer Energien anfallen. Wie kann man angesichts dieser Tatsachen verstehen, dass die Bundesregierung fast verzweifelt den Ausbau der erneuerbaren Energien bremst, wohl wissend, dass damit die Erreichung der Klimaziele immer unrealistischer wird?

Erneuerbare Energien sind heute so billig - Strom aus Photovoltaik wird in Deutschland für weniger als 7,5 Cent für die Kilowattstunde profitabel angeboten - dass klassische Subventionierung durch Einspeisetarife nicht mehr erforderlich ist. Die Erzeugung von Strom zum eigenen Verbrauch, gern auch kombiniert mit den immer preiswerter werdenden Batteriespeichern, wird zunehmend interessanter für private Haushalte, Mietergemeinschaften, Stadtviertel und Gemeinden, sowie Handwerker und kleine Industriebetriebe.

Die Bundesregierung sollte sagen: keine Subventionen mehr, die erneuerbaren Energien sollen sich am Markt durchsetzen. Tatsächlich soll aber außer der Belastung durch 40 Prozent der EEG-Umlage auch noch eine Sonnensteuer eingeführt werden, die besonders den nicht subventionierten, selbst erzeugten und verbrauchten Solarstrom belasten soll. Das Traurigste an dieser Haltung der Bundesregierung ist: Gerade jetzt ist die Welt dabei, die wirtschaftlichen Vorteile, die sich durch die rasche Ausweitung erneuerbarer Energien ergeben, zu erkennen und zu nutzen. Was die Solarenergie angeht, hat Deutschland im (ungeplanten) Konzert mit China der Welt ein gigantisches Geschenk gemacht: die Kombination des attraktiven Einspeisetarifs in Deutschland mit bewusster Industriepolitik in China half, die Solarenergie kostengünstig zu machen. In China erhielten Unternehmen in der als strategisch erkannten Branche der Photovoltaik (PV) Kreditlinien, die hohe Investitionen in Bewegung setzten. Dies führte zum raschen Aufbau einer gewaltigen PV-Industrie in China, wesentlich basierend auf deutscher und europäischer Produktionstechnologie. Die Folgen kennen wir: Die Preise stürzten ab, Insolvenzen in Ost und West, 2012 stand dem Weltmarkt eine doppelt so große PV-Produktionskapazität gegenüber - besonders in China.

Überall auf der Welt wird der Aufbruch in ein neues Zeitalter vorangetrieben

Heute ist ein wichtiger Wendepunkt der Solarindustrie erreicht: Der Weltmarkt ist auf die Höhe der globalen Produktionskapazität gewachsen. Nach Meinung der meisten Analysten wird sich in den nächsten fünf Jahren die weltweite PV-Produktionskapazität verdoppeln.

Die große Frage wird aber sein: Mit welcher Technik werden wir diese Verdoppelung erreichen, wer liefert die Technik, wo werden die Gigawatt-Fabriken gebaut? Hätte Deutschland heute einen freien Solarmarkt, nicht subventioniert, mit Versteigerungen für Großanlagen, ohne besondere Belastungen für diese wichtige Zukunftstechnik, könnte es gelingen, Investoren auch in Deutschland zum Aufbau konkurrenzfähiger PV-Produktion, basierend auf neuester deutscher Technik, zu bewegen. Angesichts des morbiden deutschen Solarmarktes, der durch die EEG-Novelle möglicherweise sogar noch stärker gebremst wird, ist diese Chance verbaut.

Überall auf der Welt wird der Aufbruch ins Zeitalter der erneuerbaren Energien erkannt und umgesetzt: Die jetzt weltweit größte Solarmesse Snec in Schanghai ist allein fast so groß wie die Industriemesse in Hannover. Kalifornien hat ambitionierte Ausbaupläne, ebenso Indien, die Türkei, Iran, Ägypten, die Emirate und Saudi-Arabien. Nur Deutschland tritt auf die Bremse.

Detaillierte Untersuchungen über die Transformation des deutschen Energiesystems auf im Wesentlichen erneuerbare Energien zeigen: Der Prozess ist volkswirtschaftlich von Vorteil. Ja, es ist hierzulande nötiger, erhebliche Investitionen zu tätigen, als für importierte Brennstoffe zu bezahlen. Aber diese Investitionen werden rasch durch die stabilen Energiepreise im Vergleich zu den steigenden Preisen im Business-as-usual-Szenario aufgewogen. Das Ziel ist die kostengünstige Versorgung Deutschlands - und der Welt - mit verlässlicher CO₂-arm bereitgestellter Energie.

Bei dieser Umstellung geht es nicht nur um Strom aus Sonne und Wind, sondern ebenso um die Nutzung von Speichern: Batterien und andere elektrochemische Speicher, thermische Speicher, Wasserkraft. Dazu kommt der Netzausbau. Strom wird durch Leitungen in beiden Richtungen fließen, flexible Preise reizen die Verschiebung von Lasten auf Zeiten preisgünstigen Sonnen- und Windstroms an. Vergrabene Hochspannungs-Gleichstromkabel erlauben weiträumige Vernetzung. Das Netz muss an die Kontrolle fluktuierender Stromeinspeisung angepasst werden. Automatische Regulierung muss in der Art des Internets automatisch Stromtrassen schalten, um lokale Überschuss- und Mangelsituationen auszugleichen.

Die gute Nachricht ist: Wir kennen die erforderliche Technik. Dies zeigt die Statistik der Bundesnetzagentur zu den Ausfallzeiten des Stromnetzes, des sogenannten "System Average Interruption Duration Index", Saidi: Von 2006 bis 2014 verdoppelte sich die Menge des eingespeisten erneuerbaren Stroms, der Saidi-Index halbierte sich. Mit anderen Worten: Unser heutiges - hochintelligentes - Netz mit fast 35 Prozent erneuerbarer Energie ist stabiler und zeigt weniger Ausfälle als das Netz vor zehn Jahren. Es hat gelernt, mit Schwankungen umzugehen und ist daher widerstandsfähiger geworden gegen alle unerwarteten Ereignisse. Aus technischer und ökonomischer Sicht gibt es also keine stichhaltigen Argumente für ein Ausbremsen der Erneuerbaren. Ganz zu schweigen von den in Paris vereinbarten Klimazielen.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2016
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