Außenansicht:Welt in Unordnung

Außenansicht: Hans-Lothar Domröse, 64, ist ein ehemaliger General des Heeres. Zuletzt war er Befehlshaber des Allied Joint Force Command der Nato im niederländischen Brunssum.

Hans-Lothar Domröse, 64, ist ein ehemaliger General des Heeres. Zuletzt war er Befehlshaber des Allied Joint Force Command der Nato im niederländischen Brunssum.

(Foto: privat)

Schlechte Führungsstrukturen, falsche Ausrüstung: Die Probleme bei Bundeswehr und Nato sind groß.

Von Hans-Lothar Domröse

Wir erleben eine Zeitenwende. Auf der Welt wächst die Unordnung. Fragen der Sicherheit stehen ganz oben auf der Tagesordnung der Politik. Klar ist: Kein Staat kann alleine Sicherheit und Stabilität garantieren - nur zusammen können die Nationen die Herausforderungen meistern. Sicherheit entsteht nicht nur durch politische Verabredung, sondern auch in der messbaren militärischen Balance von Streitkräften, durch eine glaubwürdige und transparente Strategie von Allianzen, durch die Kooperation von Streitkräften über Grenzen hinweg.

Für dieses neue Umfeld muss die Nato ihr strategisches Konzept anpassen, will sie auch morgen noch relevant sein. Politisch muss sie vorrangig ihr Verhältnis zu Russland klären. Die "strategische Partnerschaft" war gut gemeint, konnte jedoch nie einen Vorteil für beide Seiten generieren. Wer dies will, muss Interessen und Befürchtungen sorgfältig abwägen und Vertrauen aufbauen. Das dauert. Es geht um eine Politik, die Gemeinsames in den Vordergrund stellt, nicht Trennendes. Eine starke, unabhängige Ukraine ist dabei von beiderseitigem Interesse.

Die Nato muss auch klären, ob sie ein globaler Akteur sein will oder nur ein regionaler. In Asien erwächst mit sechs Nuklearmächten und fast der Hälfte der Weltbevölkerung ein ambivalenter Raum mit wirtschaftlichen Chancen und gewaltigen Risiken, die in der Koreakrise gerade eindrucksvoll vorgeführt wurden. Sicherheit, Freiheit und Welthandel werden fast ausschließlich durch die USA garantiert; die europäischen Verbündeten verdienen Milliarden Dollar, ohne entsprechende Sicherheitsbeiträge zu leisten. Sie sind quasi Trittbrettfahrer im Pazifik. Im Sinne einer fairen Lastenteilung sollten daher Nato-Marineverbände dort zum Schutz der freien Seewege eingesetzt werden.

Der Nato stünde es gut an, ihre Einsätze vom Balkan (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Kosovo) über das Mittelmeer, Libyen, den Anti-Terrorkampf gegen den sogenannten Islamischen Staat bis zu Afghanistan zu überprüfen: Was war gut, was nicht? Heute geht es darum, Frieden zu gewinnen und eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Es geht nicht darum, Schlachten zu schlagen, um anschließend vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Libyen ist dafür nur ein Beispiel. Das Land steht auch für eine gescheiterte Afrika-Politik. Ein ehrlicher Blick und eine klare Fehleranalyse würde die Nato nicht schwächen, sondern stärken.

Die Wahrung von Frieden und Sicherheit bleibt das Kerngeschäft der Nato, auch an den Grenzen Europas. Die Allianz muss vorbereitet sein, in Syrien unverzüglich zu helfen, sobald sich ein noch so fragiler Waffenstillstand abzeichnet. Das Bündnis hat es dann in der Hand, das Morden zu stoppen und den Wiederaufbau zu ermöglichen. So könnte die Migrationswelle eingedämmt und den Vertriebenen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht werden.

Europa muss enger kooperieren. In der Rüstungspolitik herrscht nationaler Egoismus

Militärisch sollte die Nato ihre Führungsstruktur ändern, um Aufträge aus dem Stand erfüllen zu können. Diese Fähigkeit hat sie verlernt. Ihre beiden operativen Hauptquartiere sind durch laufende Einsätze gebunden. Alles andere wird ad hoc gelöst. Professionell ist das nicht. Ein wichtiger Schritt wäre getan, wenn sich das Bündnis auf nur ein strategisches Hauptquartier reduzierte, dafür aber drei "Joint-Ops HQ", also gemeinsam betriebene operative Führungseinheiten einrichtete. Und die Nato muss komplexe Übungen häufiger als alle drei Jahre durchführen.

Die Europäer müssen in Fragen der Sicherheit enger kooperieren. In der Rüstungspolitik herrscht nationaler Egoismus. "Pooling and Sharing", also die Zusammenlegung und gemeinsame Nutzung von Fähigkeiten, oder "Smart Defence" sind gescheitert. Wir brauchen sichtbare Fortschritte, um den Bürgern zeigen zu können, dass ihr Steuergeld tatsächlich zu mehr Sicherheit führt. Frankreich und Deutschland können und müssen Zeichen setzen, auch um die USA zu entlasten.

Deutschland als größte Wirtschaftsmacht Europas kann seine globale Verantwortung angemessen ausüben, wenn es auch angemessen ausgerüstete Streitkräfte vorhält. Das ist derzeit kaum möglich. Die Zwei-Prozent-Diskussion bezüglich der Nato-Forderung zum Thema Ausrüstung zeigt das. Deutschlands Verbündete erwarten zu Recht moderne, High-Tech-Streitkräfte. Es geht um Qualität, nicht um Masse.

All dies erzwingt einen Wechsel in der Ausrüstungslogik bei der Bundeswehr: Einheiten sollten nicht für bestimmte Einsatzszenarien aufgestellt, sondern nach militärischen Grundsätzen vernünftig ausgestattet werden. Deutsche Sicherheitspolitik hat sich zu oft auf ein nie eingetretenes Szenario konzentriert und war im entscheidenden Moment dann doch nicht handlungsfähig. Strukturen und Ausrüstungen passten nicht. Hierzu gehören Hubschrauber und Flugzeuge, die bei Tag und Nacht fliegen; Panzer, die funken, fahren und schießen können und Verbände, die Gefechtsstände haben, um führen zu können. Es gibt eine einfache Militärlogik zum Thema Einsatzbereitschaft, gegen die man in den letzten Jahren verstoßen hat. Die Bundeswehr hatte oft mehr Glück als Verstand, weil Soldaten kreativ und unerschrocken handelten.

Die Politik hat der Truppe zuletzt viele Trendwenden zugemutet; vieles ging zwar in die richtige Richtung, wurde jedoch zu zögerlich umgesetzt. Heute verbietet sich Halbherzigkeit. Wenn das Verteidigungsministerium zig Dutzend Stabsoffiziere zusätzlich beschäftigt, wenn ganze Divisionen nicht voll einsatzbereit sind, dann müssen Strukturen angepasst werden. Wenige Beispiele belegen das: Die Luftlandekräfte sind taktisch kaum handlungsfähig. Die Marine ist nicht als operative Nato-Maritime-Force qualifiziert. Sie kann keine Führungsrolle in der Nato übernehmen. Die bemannten und unbemannten Flugsysteme in der Luftwaffe sind sehr übersichtlich. Ihre Stückzahl ist zu gering, ihr Alter zu hoch. Cyber braucht defensive und offensive Kapazitäten. All diese Unwuchten wirken auf das innere Gefüge, auf Vertrauen, und auf die Reputation der Streitkräfte.

Nur gut ausgebildete und bestens ausgerüstete Soldaten bestehen die Belastungen eines Einsatzes. Das ist der Maßstab, den eine Berufsarmee erfüllen muss. Die Trennung von Familie und Freunden ist nur eine Belastung von vielen. Karge Unterbringung, Hitze, Staub und Angst setzen jedem zu. Kampf, Gefechtslärm, Tod, Verwundung und Elend verlangen alles. Die Einsätze sind gefährlich, sonst würde man andere schicken. Den Soldaten gebührt Dank. Ihre Vorgesetzten, die im Wahlkampf auch über den Sinn der Truppe diskutieren, haben die Aufgabe, beste Bedingungen zu schaffen und ihnen den Rücken zu stärken.

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