Außenansicht:Warum nicht Schwarz-Rot-Rot?

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Wie Union und SPD die zwei wohl wichtigsten Anliegen ihrer Wähler umsetzen könnten.

Von Konstantin Rösemann

Wenn Union und SPD in diesen Tagen in Berlin zusammensitzen, wird man, das lehrt die Erfahrung, versuchen, auf möglichst jedem Gebiet, von den Flüchtlingen über Soziales, Steuern und Finanzen bis hin zu Europa, Kompromisse zu finden. Kompromisse, die für alle an einer großen Koalition beteiligten Parteien und ihre Wähler möglichst gut vertretbar sind.

Und vielleicht liegt genau hier schon der Fehler. Denn die Positionen der beiden größten Parteien, insbesondere in puncto Flüchtlinge und Sozialpolitik, sind einfach zu konträr. Hier sind nur faule Kompromisse denkbar.

Wie wäre es, mal ganz anders heranzugehen? Zu überlegen, was für die Wähler der Union, jedenfalls in den Augen ihrer Politiker, mutmaßlich am allerwichtigsten ist? Und was für die der SPD? Für ihre Wähler, wohlgemerkt - nicht für die Politiker, die sie in Berlin vertreten.

Um dann mal tief Luft zu holen, und zu sagen: okay. Dann kümmert sich jetzt eben mal allein die Union um die Flüchtlingspolitik. Kanzlerin Angela Merkel hat 2015 Verantwortung dafür übernommen, Flüchtlinge ins Land zu lassen, nun übernimmt sie Verantwortung für einen angemessenen, guten Umgang mit ihnen. Die SPD hält sich da, jedenfalls operativ, mal für dreieinhalb Jahre raus. So, wie sie es in der Opposition übrigens auch tun müsste. Aber sie erhält im Gegenzug hierfür die komplette, auch finanzielle Verantwortung für ein Thema, das ihren eigenen Wählern mutmaßlich noch ein bisschen wichtiger ist: für den Abbau vermögensbedingter Chancenungleichheit, den sie ihrem Kandidaten Martin Schulz im Wahlkampf als "soziale Gerechtigkeit" auf die Fahne schrieb. Worauf dieser für ein paar Wochen von einer Welle der Begeisterung durchs Land getragen wurde. Nur leider kam dann gefühlt überhaupt nichts mehr nach dazu, vom Kandidaten Schulz. Dann eben jetzt!

Ein Deal. Flüchtlingspolitik gegen soziale Gerechtigkeit. Das klingt vielleicht etwas plakativ. Aber wenigstens versteht das jeder, auch jeder Wähler. Und darauf kommt es an, wenn die Akzeptanz für die Demokratie wieder erhöht werden soll. Und wenn die beiden größten Parteien dieses Landes verhindern wollen, dass sich ihre Wähler an die äußersten Ränder des politischen Spektrums verabschieden. Oder, alternativ, ins Nirwana des Nichtwählens.

Eine kompromisslose Sozial- und Flüchtlingspolitik kennt vor allem einen Verlierer: die AfD

Leider hat die Sache mit dem hier beschriebenen "Deal" einen Haken. So ein Deal basiert auf der Idee "Vertrauen gegen Vertrauen". Denn jede Seite ist dabei abhängig davon, dass die andere, auch wenn sie bei der Ausarbeitung eines Gesetzes nicht operativ mitredet, der Vorlage im Parlament dann doch geschlossen zustimmt. Das funktioniert erfahrungsgemäß leider nur bei gleich starken Partnern. Die SPD kann nach zuletzt vier Jahren großer Koalition, in der sie durch deutlich weniger Abgeordnete eben nicht gleich stark war, ein Lied davon singen. Und das jüngste Wahlergebnis hat die Differenz noch erheblich verstärkt. Hierin besteht, aus Sicht der SPD völlig verständlich, das große Problem bei der Bildung einer neuen Groko.

Doch auch hierfür bietet unsere Demokratie, bietet das vorliegende Wahlergebnis eine erstaunlich einfache Lösung an. Die SPD könnte die Linke als vierten Partner in diese Koalition einladen und ihre Mitwirkung gegenüber der Union zur Bedingung für die eigene Beteiligung machen. Anders als in der jüngsten Regierung, wären das sogenannte linke und das sogenannte bürgerlich-konservative Lager in so einer Koalition mit einem Mal ziemlich genau gleich stark. Die ideale Basis für eine stabile Regierung, in der die Aufgaben und vor allem die Kompetenzen klar verteilt sind und sich am Ende keiner über den Tisch gezogen fühlen muss, vor allem kein Wähler.

Das Opfer der Linken für solch eine Koalition liegt auf der Hand: Sie müsste sich für eine Legislaturperiode konsequent aus der Außenpolitik heraushalten. Ein harter Brocken für viele ihrer Wähler. Allerdings hätte die Linke auch in der Opposition nullkommanull operativen Einfluss auf die Außenpolitik. Als Koalitionspartner aber könnte sie dafür eine Bedingung stellen, unter der sie es nicht macht. Wie wäre es mit einer Erhöhung des freien Zuverdienstes von ALG-II-Empfängern von derzeit 100 auf 500 Euro im Monat? Aus dem ungeliebten Hartz IV wird ein Grundeinkommen, das nicht jeder erhält. Für viele Menschen wäre das lebensverändernd. Sie könnten das, was sie in Minijobs hinzuverdienen, behalten, ihren Kindern den Schulausflug oder mal ein paar Markenturnschuhe zahlen, damit die sich ihren Freunden gegenüber nicht unterlegen fühlen müssen. Und sie könnten sogar mal Urlaub machen. Beispielsweise.

Das größte Opfer der SPD bestünde im Verzicht auf die Mitwirkung in der Flüchtlingspolitik. Dafür könnte sie etwa einen bundesweiten Anspruch auf kostenfreie Kinderbetreuung für alle Altersstufen zur Bedingung machen. Hiervon würden Familien, Alleinerziehende und vor allem deren Kinder sehr viel stärker profitieren als von marginalen Kindergelderhöhungen. Die Differenz der Lebensverhältnisse zwischen Arm und Reich würde sich spürbar verringern, statt immer weiter zuzunehmen. Ist es nicht das, was sich die Wähler der SPD wünschen?

Natürlich würde das eine ganze Menge Geld kosten. Und damit wären wir auch schon beim zentralen Opfer der Union. Die "schwarze Null" wäre für dreieinhalb Jahre Geschichte - und zwar gründlich. Übrigens im Einklang mit den Empfehlungen der OECD, der ökonomischen Denkfabrik der Industrieländer. Dafür könnte die Union aber die Flüchtlingspolitik, die ihren Wählern so sehr am Herzen liegt, komplett nach ihren Vorstellungen gestalten. Angela Merkel bliebe Kanzlerin. Und unser Land somit stabil.

Schwarz-Rot-Rot könnte auf diese Art viele Gewinner haben - und mindestens einen Verlierer: die AfD. Ihr dürften die populären Argumente ausgehen, angesichts einer Flüchtlings-, aber vor allem Sozialpolitik, die deutlich mehr für die sozial Schwächsten unserer Gesellschaft tut.

Weil die Sache mir, als leidenschaftlich politischem Bürger, der im September, aus tiefster Unzufriedenheit über sämtliche verfügbaren Optionen, erstmals einen Zettel ohne Kreuz in die Urne warf, keine Ruhe ließ, habe ich meine Ideen mal aufgeschrieben. Ich habe mich kurz vor Weihnachten in den Sprinter nach Berlin gesetzt und das dort, samt roter Nelke, im Willy-Brandt-Haus abgegeben. Zu Händen Herrn Lars Klingbeil.

Ich weiß nicht, ob er es gelesen hat. Ich wünsche es mir. Nichtwählen ist auch keine Lösung.

© SZ vom 09.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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