Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Viel Rauch, wenig Feuer

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Man muss bezweifeln, dass die Bundesregierung das koloniale Erbe Deutschlands ernsthaft aufarbeiten will. Für ihren Afrikabeauftragten Günter Nooke ist der Kontinent schlicht "anders". Das ist banal und verräterisch, es insinuiert, dass Afrika nicht modern ist.

Von Jürgen Zimmerer

Deutschlands Aufarbeitung des Kolonialismus steht am Scheidepunkt. Mit Namibia verhandelt die Regierung seit Jahren über den Umgang mit dem Genozid im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Im Sommer stellte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, einen ersten Entwurf eines Leitfadens des Deutschen Museumsbundes vor, wie mit kolonialen Sammlungen zu verfahren sei. Auch in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung fand die Aufarbeitung des Kolonialismus erstmals Eingang, neben der Beschäftigung mit dem Dritten Reich und der DDR.

Wie nachhaltig, wie ernst gemeint ist das? Kritische Stimmen warnten schon früh vor viel Rauch aber wenig Feuer. So kann man den politischen Initiativen zur Förderung der Provenienzforschung kolonialer Objekte den Vorwurf machen, im Wesentlichen museumsintern Stellen aufzubauen, damit die Museen selbst ihre Bestände untersuchen können - ohne unabhängige Beaufsichtigung, ohne Mitwirkung von außen und in die Hierarchie der Häuser eingebunden. So kann man zwar kontrollieren, was nach außen dringt, die verlorene Glaubwürdigkeit lässt sich so jedoch nicht herstellen. Begriffe wie "Welterbe" oder "Shared Heritage" vernebeln zudem die eigentlichen Frage, warum dieses Erbe sich eigentlich fast ausschließlich im Globalen Norden befindet, nicht jedoch im Süden bewundert werden kann.

Auch das Humboldt-Forum, in gefährliche Turbulenzen geraten durch seine Weigerung, sich der kolonialen Amnesie auch nur zu stellen, scheut die offene Debatte mit Kritikern im In- und Ausland. Man wählt lieber selbst aus, mit wem man diskutiert. Derweil hält der neue Intendant Hartmut Dorgerloh die Planung funktionierender Rolltreppen für wichtiger als inhaltliche Debatten über das (post-)koloniale Erbe. Verständlich, denn es braucht Manager, und er steht unter enormem Zeitdruck, dennoch: Zukunft geht anders.

Und schließlich kommt auch die Anerkennung des ersten Genozids des 20. Jahrhunderts nicht vom Fleck. Weder gibt es eine Anerkennung des Bundestages noch eine Entschuldigung der Kanzlerin oder des Bundespräsidenten.

Die Kanzlerin und auch der Außenminister schweigen zu alledem, scheinen das Feld den Kulturpolitikern zu überlassen. Ob der Wille zur kolonialen Aufarbeitung, zur Dekolonisierung überhaupt in den Zentralen der Machtpolitik angekommen ist? Ein Interview, das nun der persönliche Afrikabeauftragte der Bundesregierung, der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und CDU-Politiker Günter Nooke gab, lässt hier starke Zweifel aufkommen.

Der Berliner BZ gegenüber gestand er zwar zu, dass der Kolonialismus "Nachwirkungen" gehabt habe, "schlimm waren die Sklaventransporte nach Nordamerika", allerdings habe "die Kolonialzeit dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen." Überhaupt habe "der Kalte Krieg ... Afrika mehr geschadet als die Kolonialzeit".

Für den Afrikabeauftragten Nooke ist der Kontinent "anders". Das ist banal und verräterisch

Schon sein politisches Aufgabengebiet macht diesen Satz, ja das ganze Interview zum Skandal. Afrikabeauftragter der Kanzlerin! Wer, wenn nicht er, müsste um die Geschichte wissen? Kann man sich einen Israelbeauftragten vorstellen, der grundlegende Fakten über den Holocaust nicht kennt oder sogar bewusst verdreht? Man mag vielleicht bereit sein, über die völlig unangemessene Wortwahl "schlimm" für die Zwangsverschleppung, den Freiheitsentzug und auch den Tod von Millionen Menschen hinwegzusehen. Dass Menschen nicht nur nach Nordamerika verschleppt, sondern noch mehr nach Südamerika in die Sklaverei gezwungen wurden, scheint er gar nicht zu wissen. Überhaupt ist das Interview durchwoben von kolonialen Vorstellungen. "Afrika ist anders" für ihn. Das ist banal, aber auch verräterisch, denn was er insinuiert, ist, dass Afrika nicht modern, vielleicht immer noch archaisch ist. Und wenn er, um das zu illustrieren, die hohe Geburtenrate nennt, und dabei mit Niger ein extremes Beispiel und zudem einen veralteten Wert angibt, so ist das zumindest fahrlässig.

Nooke wärmt die Mär einer europäischen Zivilisationsmission in Afrika auf, verbreitet koloniale Propaganda. Er braucht ein positiveres Bild vom Kolonialismus, stehen doch seine eigenen politischen Ideen in einer kolonialen Kontinuität. So fordert er unter Rückgriff auf Ideen des Nobelpreis-Ökonomen Paul Romer als Maßnahme gegen das Geflüchtetensterben im Mittelmeer die Schaffung exterritorialer Enklaven in Afrika; zum Wohle der Afrikanerinnen und Afrikaner selbstverständlich. Als Wohl der Kolonisierten auszugeben, was dem Nutzen der Kolonisierer dient, war und ist zentrales Element der Zivilisationsmission.

Nookes Idee zeigt aber auch, wie gefährlich koloniale Amnesie ist. Aus der Kolonialgeschichte wissen wir nämlich, dass derartige Enklaven politisch hochgefährlich sind. Exterritoriale Enklaven waren nicht nur typische Instrumente der kolonialen Landnahme, sondern entfalteten auch eine eigene Dynamik. Denn was passiert, wenn in einer dieser Enklaven Unruhen ausbrechen oder sie von außen bedroht werden? Die jeweilige Verwaltungsmacht müsste eingreifen, die dort Lebenden schützen. Sollte es hierbei Opfer geben, könnte man das nicht auf sich beruhen lassen, sondern müsste zur Gesichtswahrung Verstärkung schicken. Ganze Kolonialreiche, wie etwa das in Indien, wurden so erobert. Und selbst das deutsche Kolonialreich in Südwestafrika kam so zustande. Das sollte Nooke nun wirklich wissen, schließlich verhandelt die Bundesregierung, deren Afrikaberater er ist, darüber.

Im Fall Nooke geht es nicht nur um ihn selbst, es geht um die Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung. Am Umgang mit Nooke zeigt sich, was der Koalitionsvertrag hinsichtlich der kolonialen Aufarbeitung wert ist. Es wird auch deutlich, wie notwendig die Aufklärung über die Geschichte des Kolonialismus auch jenseits aller berechtigten moralischen Gründe ist: Koloniale Amnesie führt zu politischen Fehlentscheidungen.

Die koloniale Aufarbeitung muss nun wirklich beginnen, sie darf sich nicht auf Museen und Sammlungen beschränken, sie muss transparent sein, eine offene Beteiligung der gesamten Zivilgesellschaft ermöglichen und mit den Kolleginnen und Bürgern aus den ehemaligen Kolonialgebieten geführt werden. Die neu gegründete Kulturministerkonferenz hat eine Arbeitsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen zum Umgang mit kolonialen Objekten angekündigt. Sie sollte die Aufgabe erweitern auf alle koloniale Erinnerungsorte mit dem Ziel, einen Lern- und Forschungsort zum Kolonialismus zu begründen.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2018
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