Außenansicht:Verräterische Datenspuren

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Im digitalen Zeitalter muss der Schutz von Informanten der Presse grundsätzlich besser geregelt werden. Journalisten sollten, wenn es um den Umgang mit Daten geht, per Gesetz genau so behandelt werden wie Rechtsanwälte oder Seelsorger.

Von Tobias Gostomzyk

Die traditionelle Briefpost erlebt in diesen Tagen eine Renaissance - und zwar gerade dann, wenn sich Informanten an Journalisten wenden. Qualitätszeitungen und Nachrichtenmagazine fordern ausdrücklich dazu auf: "Schicken Sie uns geheime Informationen oder Dokumente nicht einfach per E-Mail! (. . .) Die Post gilt als verlässlicher Informationsweg. Für noch mehr Sicherheit können Sie die Unterlagen auch verschlüsselt auf einer CD oder auf einem USB-Stick verschicken", heißt es in den Hinweisen des Spiegel für potenzielle Informanten. Das mag zwar rückwärtsgewandt klingen, zeugt aber von ausgeprägter Sorgfalt:

Zwar können auch Briefe verloren gehen oder aus Briefkästen entwendet werden. Der zentrale Unterschied besteht jedoch darin, dass sie - anders als Telefon- und Internetverbindungen - keine Datenspuren hinterlassen. Gerade diese elektronischen Abdrücke können aber zur Offenlegung von Informanten führen, weil sie den gesamten Verlauf einer Recherche widerspiegeln. Und gerade hierin könnte die Lehre aus dem Fall Netzpolitik.org bestehen.

Der Vorwurf des Landesverrats gegen die Plattform durch den Generalbundesanwalts stand rechtlich von vornherein auf wackeligen Beinen - das Verfahren wurde ja auch längst eingestellt. Der breite Protest gegen die Ermittlungen stärkte letztlich die Pressefreiheit. Weiter gingen Bundesanwälte wegen der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen bislang äußerst selten gegen Journalisten vor. Netzpolitik.org soll der erste Fall seit Jahrzehnten gewesen sein. Dennoch dürfte es für Staatsanwaltschaften in Zukunft verlockend sein, wegen Geheimnisverrats gegen Journalisten zu ermitteln. Schließlich wird Geheimnisverrat häufig erst durch Medien publik. Journalisten verfügen über vertrauliche Informationen, kennen den Informanten - es entstehen elektronische Verkehrsdaten, mittels derer Ermittler den gesamten Verlauf einer Recherche nachvollziehen können.

Allein mit diesen Verkehrsdaten - also ohne Kenntnis der konkreten Inhalte der Kommunikation - lässt sich der Rechercheverlauf detailliert nachvollziehen. Kommunikation und Treffen mit Informanten werden sichtbar. So lässt sich rekonstruieren, wer wann wie lange telefoniert hat und wann E-Mails an wen verschickt wurden. Und selbst wenn Dokumente persönlich übergeben wurden, ist Diskretion nicht garantiert: Mit Standortdaten der Mobiltelefone lassen sich Bewegungsprofile erstellen. Damit ist es ein Leichtes nachzuweisen, wer Informationen an eine Redaktion weitergegeben hat, sofern diese über das Internet unverschlüsselt kommuniziert hat. Mehr noch: Im Verdachtsfall erlaubt dies Ermittlern häufig weitere Maßnahmen wie eine Auswertung von Kommunikationsinhalten.

Medien können ihre öffentliche Aufgabe ohne Informanten nicht wahrnehmen, ob man es möchte oder nicht. Das Bundesverfassungsgericht betonte deshalb auch in seiner Spiegel-Entscheidung von 1966 die Schutzbedürftigkeit dieser Informationsbeziehung: Zur Pressefreiheit gehöre "auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten". (BVerfGE 20, 162, 175). Infolge dieser höchstrichterlichen Entscheidung bekam der publizistische Quellenschutz einen festen Platz in der Strafprozessordnung: Journalisten dürfen im Zuge von Strafverfahren das Zeugnis verweigern. Weiter sind Durchsuchung und Beschlagnahme von Unterlagen in Redaktionen unzulässig, wenn diese einzig dazu dienen sollen, Informanten ausfindig zu machen. 2005 bestätigte und vertiefte das Verfassungsgericht diese Rechtsprechung anlässlich der Durchsuchung der Redaktion des Magazins Cicero (BVerfGE 117, 244 ff.): Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten solle nicht ausreichen, um den Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen.

Wiederum wurde der Gesetzgeber aktiv, indem er die Beihilfe von Journalisten zum Geheimnisverrat straflos stellte. Im Ergebnis konnten also Journalisten beim Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen durch Informanten grundsätzlich sowohl ihre Aussage verweigern als auch darauf vertrauen, dass ihre Arbeitsräume vor Durchsuchungen geschützt sind - zumindest in einer analogen Welt.

Journalisten sollten wie Seelsorger oder Anwälte behandelt werden

Im Digital-Zeitalter ist der Informantenschutz neu zu bestimmen. Zurzeit regelt Paragraf 160a der Strafprozessordnung (StPO), wie mit sensiblen Kommunikationsdaten von Berufsgeheimnisträgern umgegangen werden darf: Zwar muss auch für die Erhebung und Auswertung elektronischer Kommunikationsdaten ein Richter entscheiden. Doch es gibt viel mehr Straftaten, die eine solche Online-Durchsuchung erlauben, als dies bei einer tatsächlichen Durchsuchung von Redaktionsräumen der Fall ist. Beispielsweise soll dies auch bei Verstößen gegen das Asylrecht zulässig sein - und nicht erst bei Landesverrat. Weiter gibt es für die Kommunikationsdaten von Journalisten kein generelles Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot - anders als bei Abgeordneten, Seelsorgern oder Rechtsanwälten.

Demnach darf also das Telefon eines Priesters nicht abgehört werden. Das eines Journalisten hingegen schon, wenn das Strafverfolgungsinteresse des Staats schwerer wiegt als die Pressefreiheit. Konkret hätte beispielsweise der Vorwurf des Landesverrats im Fall von Netzpolitik.org gerechtfertigt, Verkehrsdaten auszuwerten. Hierin könnte letztlich das eigentliche Interesse des Verfassungsschutzes gelegen haben: Die Identität der Informanten zu erhalten, um das Leck beim Bundesnachrichtendienst zu schließen; versehen mit dem Begleiteffekt einer Einschüchterung der Presse.

Online wird sich der Informantenschutz der analogen Welt aus tatsächlichen Gründen nicht mehr ohne Weiteres gewährleisten lassen. Dennoch haben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch in der digitalen Welt Bestand. Mindestens die Regelungen des Paragrafen 160a StPO wie auch entsprechende Regelungen im Gesetz über das Bundeskriminalamt sollte der Gesetzgeber den digitalen Recherchebedingungen anpassen. Im Ergebnis sollten sich Journalisten also auf ein abwägungsfestes Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot verlassen können, um die vertrauliche Kommunikation mit Informanten stärker zu schützen. Gewiss wäre auch an eine einschränkende Konkretisierung des Tatbestands der Telekommunikationsüberwachung zu denken. Das gilt insbesondere auch, weil die Ausweitung der Datenspeicherungsdauer durch die geplante Vorratsdatenspeicherung die Lage voraussichtlich weiter verschärft.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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