Süddeutsche Zeitung

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Islamisten bedrohen das kulturelle Erbe Europas in Nahost. Wie lässt es sich ohne neokoloniale Bevormundung schützen?

Von Markus Hilgert

Am 26. Februar 2015 veränderte ein Youtube-Video die Welt. Zu sehen ist, wie Angehörige des sogenannten Islamischen Staats (IS) Statuen und andere bedeutende Funde im archäologischen Museum Mossul (Irak) verwüsten. Eine weitere Sequenz zeigt die Zerstörung monumentaler assyrischer Türhüterfiguren durch Presslufthämmer im nahegelegenen Ninive, dort, wo einst die assyrischen Könige des ersten Jahrtausends vor Christus residierten. Ein Sprecher erläutert, es handle sich um Götzenbilder, die im Altertum angebetet worden seien und die Einzigartigkeit Gottes infrage stellten. Sie müssten daher zerstört werden.

Weltverändernd war dieses Video in zweierlei Hinsicht. Es verlieh der öffentlichen Wahrnehmung des militanten Islamismus insbesondere in Europa eine neue, verstörende Dimension. Und es verwandelte die Frage nach der Bedeutung und dem Wert von kulturellem Erbe für Staaten und ihre Zivilgesellschaften von einem eher akademischen Problem in eine drängende politische Herausforderung.

Inzwischen hat eine internationale Geberkonferenz die Grundlage für den Wiederaufbau des Landes geschaffen. Vorausgegangen war im Dezember 2017 die Mitteilung der irakischen Regierung, der "Islamische Staat" sei besiegt. Gewiss, dies ist eine hoffnungsvolle Entwicklung, sowohl für die Menschen im Irak als auch für das kulturelle Erbe der Region. Und doch ist die Welt eine andere geworden. Denn die Zerstörung ikonischer altorientalischer Bildwerke hat einen Konflikt, den viele auf die Region des Mittleren Ostens und Nordafrikas begrenzt wähnten, auf unbequeme Weise an uns heranrücken lassen. Die Verwüstungen haben eine emotionale wie kulturelle Komfortzone verletzt, die in Westeuropa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum kollektiven Lebensgefühl zählt.

Mit den mächtigen steinernen Schutzgenien an den Palasttoren des biblischen Ninive, die in unseren Geschichtsbüchern als Zeugen der frühen Hochkulturen an Euphrat und Tigris erscheinen, griffen die Presslufthämmer des IS auch unsere gängigen Entwicklungsnarrative an. Diese kulturgeschichtlichen Erzählungen ziehen eine direkte Linie von eben jenen antiken Gesellschaften Mesopotamiens über das römische Imperium bis in unsere Gegenwart. Sie dienten lange Zeit dazu, politische und kulturelle Hegemonialansprüche zu legitimieren. Als der IS im August 2015 damit begann, die Tempel und Grabtürme Palmyras aus römischer Zeit zu sprengen, war das weltweite Entsetzen noch größer: Der Kulturterror der Islamisten schien nun endgültig vor den Toren Europas angekommen zu sein, um an den Grundfesten unseres kulturellen und historischen Selbstverständnisses zu rütteln.

Wer glaubt, die Angriffe auf archäologische Stätten seien ausschließlich auf den blinden Hass religiöser Eiferer zurückzuführen, greift jedoch zu kurz. Der "Islamische Staat" begründet die Verwüstungen auch damit, dass die zerstörten Statuen von "Ungläubigen" ausgegraben worden seien mit dem Ziel, diese Objekte als Teil eines Kulturerbes der Muslime im Irak darzustellen und eine "nationalistische Agenda" durchzusetzen. Das theologisch-dogmatische Argument eines Vorgehens gegen "Götzenbildnisse" wird also ergänzt durch die Behauptung, die archäologische und museale Praxis sei etwas, das von "Ungläubigen" instrumentalisiert werde, um kulturelle und nationale Identitäten zu konstruieren, die aus Sicht des IS nicht der Lehrmeinung des Islam entsprechen.

In geradezu perfider Weise wird so die mutwillige Zerstörung von archäologischen Kulturgütern zur Verteidigung gegen eine "nationalistische Agenda des Westens" stilisiert. Die Argumentation bedient sich dabei einer postkolonialen Kritik an politischen und kulturellen Asymmetrien sowie an den kulturwissenschaftlichen Narrativen, die dazu dienen sollen, diese Asymmetrien zu legitimieren. Auch Museen, die koloniale Objekte sammelten oder ausstellten, waren immer wieder Gegenstand dieser Kritik, da sie "oftmals durch die Abbildung und Popularisierung eines kolonialen Weltbilds am kolonialen Projekt beteiligt" waren, wie der Historiker Jürgen Zimmerer unlängst herausgestellt hat.

Die Förderung der Kultur muss Aufgabe aller zentralen Politikfelder werden

Es ist dieser Aspekt des islamistischen Kulturvandalismus, der die Komplexität sowie die politische Brisanz des Phänomens sichtbar macht. Denn es wird deutlich, dass die Sprengung assyrischer Paläste und palmyrenischer Tempel in ein Narrativ eingebettet werden kann, das unseren bisherigen Umgang mit dem Kulturerbe anderer Gesellschaften auf den Prüfstand stellt und zugleich drängende Herausforderungen für die Zukunft aufzeigt. Wir werden uns fragen müssen, was wir auf welche Weise tun können, um Kulturerbe im Ausland zu schützen, ohne uns dem Vorwurf neokolonialer Bevormundung auszusetzen; noch konsequenter als bisher müssen wir eine verantwortungsvolle Haltung gegenüber jenen Kulturgütern in unserem Land einüben, die als Ergebnis kolonialer oder imperialer Asymmetrien aus ihren Herkunftsgesellschaften entfernt wurden.

Der Schutz von Kulturgütern ist noch aus einem anderen Grund von Bedeutung: Seit 2014 erhärtet sich der Verdacht, der "Islamische Staat" und andere islamistische Gruppierungen finanzierten sich teilweise durch den Verkauf geplünderter Kulturgüter. Das hat das Thema Kulturgutschutz auf die Agenda der internationalen Sicherheitspolitik katapultiert. Seither haben sich Institutionen wie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder die G-7-Staaten erstmals systematisch mit dieser Form der organisierten Kriminalität auseinandergesetzt.

Es wäre fahrlässig, davon auszugehen, dass mit der militärischen Zurückdrängung der Terroristen die Herausforderungen für den Kulturgutschutz im Nahen Osten sowie in Nordafrika weniger relevant geworden sind. Privatpersonen, kriminelle Vereinigungen oder terroristische Gruppierungen plündern weiter archäologische Stätten, um an Geld zu gelangen; es bleibt die Gefährdung durch bewaffnete Konflikte; und es bleibt die Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang mit Kulturgütern unter den Vorzeichen eines postkolonialen Dialogs von Staaten und Gemeinschaften, der von gegenseitigem Respekt und Transparenz gekennzeichnet ist.

Der Kulturvandalismus hat eines deutlich gemacht: Die Förderung von Kultur und kultureller Vielfalt muss integraler Bestandteil aller zentralen Politikfelder werden, von der Außenpolitik über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik bis hin zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Denn Kultur ist ein mächtiges Bollwerk gegen Extremismus jedweder Art.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2018
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