Außenansicht:Trumps nordkoreanische Albträume

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das nordkoreanische Regime mit Atomraketen die Westküste der USA erreichen kann. Was wird der US-Präsident tun?

Gastbeitrag von Joschka Fischer

Fragt man nach den gefährlichsten Konflikten unserer Zeit, so rangiert seit einigen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, die Koreanische Halbinsel ganz oben auf der Liste. Und dies, obwohl der Koreakrieg, der zur Teilung des Landes geführt hat, bereits vor 64 Jahren zu Ende gegangen ist. Das Regime in Nordkorea ist eine aus den Zeiten des Kalten Krieges übrig gebliebene, stalinistische Diktatur. Das Regime sieht sich, spätestens seit dem zunehmenden Erfolg der Modernisierungspolitik Chinas, des letzten und wichtigsten Partners Nordkoreas, und dem rasanten Aufstieg Südkoreas zu einer wirtschaftlichen und technologischen Großmacht zunehmend isoliert und fürchtet aus guten Gründen um seine Zukunft.

Um das Überleben dieser menschenverachtenden Diktatur unter der Führung des Kim-Clans und der kommunistischen Partei zu gewährleisten, kam das Regime auf die Idee, Nuklearwaffen und die dafür notwendigen Trägersysteme zu entwickeln. Alle Versuche, diese nukleare Aufrüstung Nordkoreas mit diplomatischen und technischen Mittel zu verhindern, sind bisher gescheitert, sodass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis das nordkoreanische Regime über genügend Atomwaffen und Trägersysteme verfügt, um nicht nur Südkorea und seine Hauptstadt Seoul (die zudem in der Reichweite der konventionellen nordkoreanischen Artillerie liegt), sondern auch Japan und demnächst die großen Metropolen der amerikanischen Westküste erreichen zu können.

Die Vereinigten Staaten haben in Südkorea mittlerweile ein Raketenabwehrsystem stationiert. Die Regierung Trump wird eine nordkoreanische Interkontinentalrakete, die San Francisco oder Los Angeles erreichen könnte, quasi als Casus Belli ansehen. Auch die Position der Vorgängerregierungen in Washington dazu war nicht viel anders. Würde man die heute übliche Farbenskala für Terrorwarnstufen auf die Krise auf der Koreanische Halbinsel übertragen, so bewegte sich diese von Orange in Richtung Rot. Die Lage spitzt sich also zu, und es bleibt nicht mehr viel Zeit für eine diplomatische Lösung oder auch nur für die Einhegung der Krise.

Der Tag ist nicht fern, an dem Nordkorea über nukleare Interkontinentalwaffen verfügen wird

Die Koreanische Halbinsel liegt in einem äußerst sensiblen strategischen Umfeld. Südkorea und Japan, zwei wichtige Faktoren der Weltwirtschaft und enge Partner der Vereinigten Staaten, werden unmittelbar bedroht; China und Russland, die beiden Nachbarn Nordkoreas im Norden, sind globale Atommächte.

Vor allem China sieht Korea unter dem Gesichtspunkt seiner strategischen Sicherheit, denn in Beijing wurde nicht vergessen, dass es die Koreanische Halbinsel war, von der aus Japan in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts Nordchina angegriffen hat; die Bedrohung des Grenzflusses Jalu durch vorrückende amerikanische Einheiten während des Koreakrieges - er dauerte von 1950 bis 1953 - führte dann auch zum Kriegseintritt der Volksrepublik China.

Seitdem ist China quasi die Schutzmacht Nordkoreas; die USA sind Schutzmacht des Südens und trotz des Ende des Kalten Krieges dort weiterhin mit einer großen Streitmacht vertreten. Ohne die militärische Präsenz der Amerikaner wäre es in dieser Region gewiss längst zu einem weiteren Krieg oder zumindest zur Nuklearisierung von Japan und Südkorea gekommen.

Eine militärische Konfrontation auf der Koreanischen Halbinsel wäre also nicht nur mit der Gefahr der sofortigen Nuklearisierung des Konflikts verbunden, sondern würde auch einen Zusammenstoß der großen, nuklear hochgerüsteten Weltmächte bedeuten mit sehr ernsten Folgen weit über die unmittelbare Region hinaus. Weiteres Abwarten ist aber angesichts der massiven Anstrengungen des Regimes in Pjöngjang auch keine ernsthafte Option, denn der Tag ist nicht mehr fern, an dem Nordkorea über nukleare Interkontinentalwaffen verfügen wird und dann die große Konfrontation droht.

Tillerson sprach von einer "unmittelbar drohenden Gefahr"

Was wird die neue Regierung Trump in Washington tun? Während Angela Merkel in Washington weilte, befand sich der neue Außenminister Rex Tillerson in der fernöstlichen Region. Vor ihm war bereits Verteidigungsminister James Mattis in Südkorea und der Region gewesen.

Allein diese schnelle Abfolge von Reisen wichtiger Minister der Trump-Regierung gleich nach dem Amtsantritt macht klar, für wie gefährlich man in Washington die Lage auf der Koreanischen Halbinsel einschätzt. Tillersons Sprache war zudem alles andere als beruhigend: Er sprach von einer "unmittelbar drohenden Gefahr", davon, dass die "Politik der strategischen Geduld" des früheren Präsidenten Obama beendet werde, und dass "alle Optionen auf dem Tisch lägen" (faktisch die Androhung einer Militäraktion, falls nötig).

Wenn die harsche Sprache des amerikanischen Außenministers dazu diente, Druck auf Beijing und Pjöngjang auszuüben, um zu einer Verhandlungslösung zu kommen, dann mag sie durchaus gerechtfertigt sein. Was aber, wenn es dazu nicht kommt? Ein Krieg in Korea würde nicht absehbare Risiken, nukleare und konventionelle, regionale und globale, mit sich bringen. Alle Optionen befinden sich eben nicht auf dem Tisch, wenn man die Dinge zu Ende denkt.

Es führt daher an der Erkenntnis kein Weg vorbei, dass nur eine diplomatische Lösung auf dem Tisch liegt, so schwer diese auch immer zu erreichen sein mag. Und diese diplomatische Lösung wird nur erreichbar sein, wenn Washington und Beijing eng zusammenarbeiten und sich von Fehlern der Vergangenheit verabschieden. Ob es angesichts der drohenden Krise um Nordkorea tatsächlich klug ist, dass die Regierung Trump ihre Chinapolitik zum Beispiel im Südchinesischen Meer aggressiver gestalten möchte, muss bezweifelt werden.

Und auch die Regierung in Beijing muss sich fragen, wie lange sie denn noch warten will, wie lange sie ihre bedingungslose Unterstützung des Regimes in Nordkorea (das völlig von chinesischen Lieferungen abhängig ist) aufrechterhalten will, anstatt maximalen Druck auf Pjöngjang auszuüben. Beide Seiten werden eine gemeinsame Vorgehensweise verabreden und vor allem gemeinsam Nordkorea ein weiteres Gesprächsangebot mit dem Ziel einer Wiederaufnahme der "Sechs-Parteien-Gespräche" machen müssen, um eine drohende militärische Konfrontation abzuwenden.

Man sieht, auch unter Präsident Trump ist es für die Vereinigten Staaten alles andere als einfach, sich von ihrer Rolle als globaler Ordnungsmacht zu verabschieden. Und die Führung Chinas wird auf der Koreanischen Halbinsel beweisen müssen, dass das Land im 21. Jahrhundert seiner Verantwortung als Ordnungsmacht gerecht werden kann.

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