Außenansicht:Transatlantisch? Transsibirisch!

MERICS Portraits; Mikko Huotari

Mikko Huotari, 34, leitet das Forschungsprogramm Internationale Beziehungen des Mercator-Instituts für China-Studien (Merics) in Berlin.

(Foto: Marco Urban)

China will den G-20-Gipfel in Hangzhou nutzen, um ein Gegengewicht zu den USA aufzubauen.

Von Mikko Huotari

Erstmals steht China als Gastgeber im Zentrum eines G-20-Gipfels. Das Regime in Peking bereitet den Gipfel in Hangzhou seit Monaten akribisch vor. Es ist bemerkenswert, wie professionell China die Präsidentschaft betreibt - die Verhandlungsprozesse im Vorfeld liefen für manche Beteiligte sogar etwas zu zielstrebig. Kritische Themen werden an den Rand gedrängt, solange nur die Choreografie stimmt, Protokoll- und Medienmaschine laufen auf Hochtouren.

Denn: Sowohl für China als auch für die "alte Welt" der G-7-Mächte ist das Treffen in Hangzhou, das am Sonntag beginnt, ein wichtiger Test. Die Führung in Peking sucht noch nach ihrer internationalen Rolle und leidet dabei unter enormem wirtschaftlichen Anpassungsdruck zu Hause. Das Treffen fällt auch in die Zeit wachsender internationaler Spannungen mit China, etwa im Südchinesischen Meer. Der Gipfel wird wertvollen Aufschluss darüber geben, wie China seine neue Rolle auszufüllen gedenkt und welche Veränderungen seine Ankunft in den internationalen Steuerungszentralen mit sich bringt.

Es ist ein Glück für China, dass diesmal der Krisendruck zumindest weniger akut ist als etwa zwischen 2008 und 2009, als die globale Finanzkrise das Zusammenkommen der G 20 auf der Ebene der Staatschefs erst nötig machte. Die internationalen Erwartungen an China und die G 20 generell sind heute geringer, gewachsen sind dagegen die Ambitionen Pekings, sich als Führungsmacht zu positionieren.

Chinas Führung steht unter großem Druck, sich zu beweisen. Messlatte für die G 20 wird sein, das nach wie vor schwächelnde globale Wachstum und die Produktivität anzukurbeln. Die Agenda der vorigen Gipfel wird deshalb fortgeführt - und Peking zeigt sich hier als G-20-Musterschüler. Instabilität auf den internationalen Devisenmärkten im Frühjahr, nicht zuletzt ausgelöst durch Chinas Wechselkurspolitik, konnten die G-20-Finanzminister unter Chinas Führung eindämmen. Selbst zu industriellen Überkapazitäten, einem globalen Problem mit chinesischem Gesicht, ist zumindest ein gemeinsames Lippenbekenntnis denkbar. Peking kann darauf verweisen, dass es die Entwicklung des G-20-Monitorings von Wirtschaftsreformen weitergetrieben hat. Zur Stärkung der Sicherheitsnetze von internationalen Finanzinstitutionen wird der Hangzhou-Gipfel ebenfalls neue Impulse setzen.

Peking verbindet die Wünsche der Entwicklungsländer mit seinen eigenen Zielen

Neben der Routine ist auffallend, wie stark die chinesische Führung versucht, die G-20-Agenda mit eigenen Prioritäten zu füllen. Das fängt bereits an bei den alliterativen G-20-Zielen "innovative, invigorated, interconnected and inclusive growth" (innovatives, belebendes, verbindendes und einschließendes Wachstum). Ob die von China in der G 20 geförderten tatsächlich innovativen Themen wie etwa die Stärkung "grüner und inklusiver Finanzsysteme" sich auf Folgegipfeln durchsetzen können, bleibt abzuwarten. Kreativ ist es jedenfalls - insbesondere wie hier eigene Reformpläne mit der globalen Agenda verknüpft werden.

Auch im Bereich des Handels könnte der Gipfel neue Impulse setzen. Die geplante Institutionalisierung der Handelsministertreffen und der Arbeitsgruppe für Handel und Investitionen ist sinnvoll angesichts der Flaute im Welthandel und des wachsenden Protektionismus. China versucht die G 20 aber auch dafür zu nutzen, um Gegengewichte zu den US-geführten, China ausschließenden transatlantischen und transpazifischen Handelsabkommen zu schaffen.

Richtig deutlich werden Chinas Rollenverständnis und seine G-20-Ambitionen vor allem anhand von zwei Punkten: Unter Chinas Führung schreibt sich die G 20 die UN-Entwicklungsagenda auf die Fahnen. Peking sorgt dafür, dass die 2015 angenommenen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) als globale Wachstumsfaktoren prominent in den G-20-Abschlussdokumenten wiederzufinden sein werden. Damit verknüpft, und für Peking womöglich noch wichtiger: Die G 20 sollen noch stärker zur Schließung der Finanzierungslücke bei globalen Infrastrukturinvestitionen beitragen und dadurch globales Wachstum ankurbeln. Durch eine von Peking vorangetriebene globale Infrastruktur-Allianz im Rahmen der G 20 soll auch Chinas außenpolitisches Kernprojekt, die Seidenstraßen-Initiative, den G-20-Ritterschlag erhalten.

Das ist sicher nicht nur eigennützig, aber auch. Peking verbindet globalen Bedarf mit eigenen außenwirtschaftlichen Prioritäten. Gleichzeitig positioniert sich die chinesische Führung als Mittler zwischen den Welten. Als Fürsprecher für Entwicklungsländer in der G 20 wird China so politisches Kapital gewinnen. Den übrigen Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien und Südafrika hat die Führung ebenfalls die große Bühne versprochen.

Inwieweit dieser Ansatz wirklich greift, hängt letztlich vor allem von drei Fragen ab. Erstens, führt er zu einer völligen Überfrachtung und damit Lähmung der G 20? Die G 20 kann nur erfolgreich sein, wenn eine effizientere Bearbeitung der Agenda von Wachstum, Finanzstabilität und Fiskalpolitik das Kerngeschäft bleibt. Zweitens, kann er die stark heterogenen G-20-Mitglieder zusammenbringen? Es ist eher unwahrscheinlich, dass der tiefe Graben zwischen Befürwortern von Strukturreformen versus fiskalpolitischen Maßnahmen beziehungsweise öffentlichen Investitionen als Wachstumstreibern produktiv aufgelöst wird. Drittens und schließlich: Wie erfolgreich ist China bei der Umsetzung der eigenen drängenden Reformagenda? Peking kann nur dann in seiner Führungsrolle überzeugen, wenn China nicht selbst als Quelle wirtschaftspolitischer Unsicherheit wahrgenommen wird.

Ob Chinas neue Nachhaltigkeits-Rhetorik aber - trotz aller eigenen Entwicklungserfolge - glaubwürdig ist, kann angesichts der teilweise dramatischen negativen Nebenwirkungen des chinesischen Wachstumspfads bezweifelt werden. Und auch wenn der Bedarf außer Frage steht: Bei den geplanten globalen Infrastruktur-Investitionen zu chinesischen Konditionen ist eine effiziente Mittelverwendung keinesfalls garantiert. Ganz im Gegenteil: Überkapazitäten und die Verschuldungsproblematik im Inneren könnten nach außen transportiert werden.

China zeigt mit seiner Präsidentschaft deutlich, dass es mehr als nur willens ist, globales wirtschaftspolitisches Regieren künftig aktiv mitzugestalten. Der Versuch, sich als Scharnier in der G 20 zu positionieren, ist ambitioniert und grundsätzlich begrüßenswert. Er droht aber, die G 20 zu überfordern. Ein Erfolg aus der Perspektive des Westens wäre es bereits, wenn der Hangzhou-Gipfel Impulse für nötige Reformen in China gibt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: