Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Theologen an die Stammtische

In der Debatte über den Islam geben selbsternannte Experten den Ton an .

Von Lukas Wiesenhütter

AfD-Chefin Frauke Petry zitiert den Koran im sächsischen Landtag, Frank Plasberg diskutiert in der ARD alle paar Wochen über Kopftücher - die Zahl der selbsternannten Islam-Experten scheint inzwischen so groß zu sein wie die der selbsternannten Bundestrainer. Das wirft eine Frage auf: Wer hat eigentlich die Deutungshoheit über eine Religion? Führen wir Debatten vor allem aus der Außenperspektive, wird aus einer Weltreligion, die für Millionen von Menschen Hoffnung im Leben und Sterben bedeutet, ein Forschungsobjekt, das wir auf seine Deutschland-Tauglichkeit hin untersuchen. Das ist nicht schlimm, auch nicht falsch. Nur sollte man nicht meinen, das genüge, um zu verstehen, was diese Religion ausmacht.

Katholische Theologen kennen das Phänomen sehr gut. Sie studieren an der Universität Anselms ontologischen Gottesbegriff - und werden vor dem Hörsaal zum Thema Kondome befragt. Das Kerngeschäft, die Frage nach Gott, dringt kaum bis in die Öffentlichkeit. Dabei ist Religion ein gesellschaftliches Reizthema erster Ordnung. Als die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli in einem Interview sagte, sie sehe keinen Widerspruch zwischen der Scharia und ihrem Engagement als Demokratin, schlug ihr Entrüstung entgegen. So, als hätte sie vorgeschlagen, dass Berliner Frauen von sofort an kein Auto mehr fahren dürfen. Religion ist inzwischen ein Thema für Parlamente und Gerichte, den Verfassungsschutz und den Stammtisch. Theologen aber tauchen unter den Religionserklärern in der öffentlichen Debatte nur am Rande auf.

Dabei hat die deutschsprachige Theologie große Vertreter ihrer Zunft hervorgebracht, und viele sind im interreligiösen Dialog aktiv. Wenn aber ein christlicher Theologiestudent in fünf Jahren Studium nie mit einem muslimischen Theologen gesprochen hat, geht das so an der Zeit vorbei, als wüsste der Katholik von Protestanten nur aus Vorlesungen über die Reformationszeit.

Der Religionsdialog müsste heute genauso Teil der Ausbildung sein, wie es dazugehört, Augustinus oder Luther zu lesen. Deshalb sind die Lehrstühle für Islamische Theologie eine so große Chance; deswegen könnten die Pläne der Humboldt-Universität zukunftsweisend sein, eine "Fakultät der Theologien" zu etablieren. Es muss der Normalfall werden, dass der angehende Pfarrer der muslimischen Lehramtsstudentin begegnet. Die beiden sind die Idealbesetzung, um dort rhetorisch ab- und inhaltlich aufzurüsten, wo ein "christliches Abendland" gegen "den Islam" ins Feld geführt wird. Dass auf Pegida-Demos Kreuze umhergetragen wurden, ist ein Gipfel der verfehlten Religionsdeutung. In dieser Welt ist Christ, wer zur Verteidigung des Abendlandes möglichst viel Schwein auf den Grill legt; Muslime gelten als monolithischer Block, den ein paar Terrorfürsten anführen. Wann hatte man Theologen je nötiger als jetzt?

Welcher Ort wäre geeigneter als der Hörsaal, um Polemik in Sachkenntnis zu wandeln?

In früheren Zeiten bedeutete Dialog wohl eher Bekehrungsversuch. Sich gegenseitig Lehrverurteilungen entgegenzuschleudern wäre sogar immer noch produktiver, als zu meinen, die Kirchen könnten sich heute auf ein geschlossenes Milieu von Gottesdienstbesuchern konzentrieren. Wer heute Pfarrer wird, sollte auch von Gelehrten anderer Religionen unterrichtet werden, ohne dass die Fakultäten ihr konfessionelles Profil aufgeben. Ähnlich wie ich mich an der Schule zwischen Fremdsprachen entscheide, könnte ein Christ von einem Rabbiner oder einem Schiiten lernen. Echter Dialog wäre, wenn muslimische Bachelorstudenten im Proseminar über Christologie säßen, während Katholiken die Einführung in die Koranhermeneutik besuchen. Wo es nicht mehrere theologische Fakultäten gibt, sollte man mutig Lehrbeauftragte anderer Konfessionen einladen. Dies wäre nicht nur eine Chance für die drei abrahamischen Religionen.

Auch Vertreter anderer Traditionen, die bisher nicht an den Unis lehren, könnten seminarweise mitwirken. Sollen Religionsdebatten fundierter ablaufen und wollen Theologen an einer religiösen Alphabetisierung mitwirken, dann müssen sie stärker mit- und weniger übereinander reden. Welcher Ort wäre geeigneter als der Hörsaal, um Polemik in Sachkenntnis zu wandeln?

Interreligiöser Dialog ist keine Koalitionsverhandlung, an deren Ende ein gemeinsames Programm steht. Wer den Glauben des anderen ernst nimmt, wird auch nicht von vornherein behaupten, man sei sich ohnehin einig und sage dasselbe bloß in anderen Worten. Das hieße, Theologie durch Kalendersprüche zu ersetzen. Das in Kirchenkreisen oft gefürchtete Relativismus-Gespenst braucht also niemanden zu schrecken. Vielleicht verstehe ich mich als Christ, Jude oder Muslim sogar besser, wenn ich mit Gläubigen anderer Religionen rede. Will Theologie heute ihre gesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen, sollte es korankundige Landpfarrer genauso geben, wie künftige Imame, die aus erster Hand gelernt haben, wie Juden den Talmud studieren.

Sie können dann zusammen darauf bestehen, dass Religionen Sinnangebote bereithalten, sich aber nicht zum Kulturkampf eignen. Der Islamwissenschaftler Omid Safi hat einen genialen Satz geschrieben: "Der Islam steht morgens nicht auf, der Islam putzt sich nicht die Zähne." Wir können von Religionen als ganzen nicht reden, als wären sie störrische Typen, die sich auf einen bestimmten Slogan reduzieren lassen. Dann aber müssen Theologen immer neu darum ringen, was ihr Glaube heute bedeutet und können sich gemeinsam gegen Verkürzungen wehren.

Konkret: Wir verzerren die Wirklichkeit, wenn wir meinen, "Allahu Akbar" sei zuerst der Ruf von Selbstmordattentätern und nicht der Lobpreis Gottes, den Gläubige weltweit murmeln, ehe sie zum Gebet niederknien. Und wir missverstehen den Alltag vieler Muslime, wenn wir vom Begriff "Scharia" so reden, als handele es sich um eine Paragrafensammlung, die man, wie das Deutsche Strafgesetzbuch, ins Regal stellen kann.

Vielleicht stimmt es ja, dass Menschen, die in die Fänge von Extremisten geraten, auf der Suche nach Sinn sind, der ihnen leicht verdaulich in Schwarz-Weiß-Rhetorik serviert wird. Was wäre ein besseres Gegengift als eine Theologie, die sich mit vollem Einsatz der Sinnfrage widmet, die entlarvt und den eigenen Glauben im Dialog kritisch reflektiert? Dann könnte es ja sein, dass Muslime und Christen, die gemeinsam Kant und Al-Ghazali lesen und sich über die Frage streiten, ob Gottes Barmherzigkeit ein Wesen- oder ein Tatattribut ist, mindestens so sehr zum Frieden beitragen wie die nächste Kopftuch-Talkshow.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2017
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