Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Stresstest für die Demokratie

Wird Trump die Weltordnung ins Wanken bringen? Das entscheidet sich im Verhältnis zu Europa.

Von  James Bindenagel

Donald Trump hat sich mit einer Wutkampagne die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten gesichert. Er fachte den Ärger über die sinkenden Einkommen der Mittelschichten an, er nährte den Verdruss über den Identitätsverlust vieler Amerikaner und ihre Wut auf das Establishment. Trump schürte die Angst vor Immigranten und Muslimen, beleidigte das Militär, Menschen mit Behinderung, Frauen und andere. Er war schamlos populistisch und förderte so die tiefe Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung zutage, die getragen ist von zwei unvollendeten und teuren Kriegen sowie der Weltwirtschaftskrise mit ihrem schleppenden Wachstum. Zudem zählte Trump auf die Angst weißer Amerikaner, Einwanderer könnten sie ihrer Identität berauben. Sein Wahlkampf ist wie ein Stresstest für die amerikanische Demokratie mit ihrem Bekenntnis zur Menschenwürde. Trump hat gewonnen. Jetzt muss er regieren.

Regieren basiert auf Vertrauen. Der ehemalige Außenminister Henry Kissinger hat unterstrichen, wie wichtig Vertrauen für eine stabile Weltordnung ist: "Ob ein Volk eine spezifische Weltordnung als gerecht wahrnimmt, hängt sowohl von den nationalen Institutionen ab, als auch davon, wie taktische außenpolitische Fragen beurteilt werden." Daher stärke es den Frieden, wenn nationale Institutionen miteinander kompatibel sind. Ein gemeinsames Rechtsverständnis sei die Voraussetzung für internationale Ordnung. Nach der Wahl sagte Kissinger dem Atlantic Magazine, Amerika habe die Chance, seine Außenpolitik und sein politisches System wieder in Einklang zu bringen.

Es wird schwierig für ihn werden zu regieren. Die amerikanischen Wähler haben die Gelegenheit verpasst, die Gründe für die Missstände in ihrem Land genauer anzusehen - von der Globalisierung, der Digitalisierung und dem technischen Wandel bis hin zum Identitätsverlust. Die politische Elite schaffte es ihrerseits nicht, die Folgen dieser tektonischen Verschiebungen in den Griff zu bekommen. Trump sprach sie an. Leider mündete das in Streit über Geschlecht, Hautfarbe, Religion und Umwelt.

Der gewählte Präsident muss nun die amerikanische Politik gestalten. Einige führende Republikaner werden versuchen, auf seine widersprüchlichen politischen Positionen Einfluss zu nehmen. Sie werden sich überlegen müssen, wie sie damit umgehen, dass Trump die Nato-Bündnistreue ebenso infrage stellt wie Handelsabkommen, dass er Abschottung plant; dass er fordert, Muslimen das Einwandern zu verbieten, dass er an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen will und dass er die Transpazifische Partnerschaft (TPP) ablehnt. Für die internationale Gemeinschaft am heikelsten ist es, dass Trump den Atomwaffensperrvertrag falsch auslegt und zudem Südkorea und Japan dazu ermutigt, Atomwaffen zu entwickeln.

Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, sonst verliert man alles

Trump wird es schwerfallen, von diesen Positionen abzurücken. Seine Beteuerungen haben bereits das laufende politische Geschäft gestört. Etwa seine Andeutung, er werde Russlands Annexion der Krim anerkennen. Russland, Iran und China werden alles, was der Präsident entscheidet, sehr genau durchleuchten. Die Wahl Trumps zum amerikanischen Präsidenten ist wahrhaftig ein Stresstest für die Demokratie in den Vereinigten Staaten und im Ausland.

Die transatlantischen Beziehungen sind unabdingbar für Frieden und Wohlstand im 21. Jahrhundert. Europa, jene logische Demokratie, die sich für unsere Werte einsetzt, wird auf Deutschland blicken. Deutschland hat bereits begonnen, international mehr Verantwortung zu übernehmen. Das diesjährige Weißbuch der Bundeswehr definiert die Interessen Deutschlands und malt dabei das Bild von der Führungsrolle der deutschen Streitkräfte bei Militäreinsätzen. Dieses Weißbuch ist ein Wendepunkt in der deutschen Sicherheitspolitik.

Kanzlerin Angela Merkel hat mit ihren Glückwünschen an den neuen Präsidenten verdeutlicht, dass die Auflösung der Weltordnung eine entscheidende Wendung genommen hat. Bei ihrer Gratulation betonte sie gegenüber Trump die enge Partnerschaft, die Deutschland und die USA durch ihre gemeinsamen Werte wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Respekt vor der Menschenwürde verbindet. Diese Partnerschaft ist der Grundstein für die deutsche Außenpolitik und wird es bleiben in einer Zeit, in der wir gemeinsam die großen Probleme anpacken müssen: Terrorismus, Klimawandel, Armut, Hunger, Krankheiten und Einsätze für Frieden und Sicherheit.

Die liberale internationale Ordnung mit ihrem praktischen Realismus wurde mit europäischen Partnern aufgebaut. Derzeit jedoch steckt sie in einer Krise. Die Unterstützung der Bevölkerung ist nötig, um die Flüchtlingsfrage zu lösen genauso wie die Gebietsstreitigkeiten im Pazifik oder den Ukrainekonflikt. Diese Unterstützung ist weiter nötig, um der Terrormiliz IS entschieden entgegentreten zu können und den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden.

Wer wird in Europa die Stimmen der Benachteiligten einfangen, die Stimmen der Enterbten, der Mutlosen? Wer wird die Verlierer der Globalisierung, der Digitalisierung und des technischen Wandels abholen? In Frankreich steht der Front National in Umfragen bei 45 Prozent. Geert Wilders geht gestärkt in Richtung niederländische Parlamentswahlen. AfD und CSU streiten um die Mitte-rechts-Position in Deutschland. Wladimir Putin hat von Russland aus den US-Wahlkampf beeinflusst und somit Hillary Clinton aus dem Rennen geworfen. Als Nächstes wird Putin Merkel von der Bühne drängen wollen, was das politische Gefüge in Europa in Schieflage bringen würde.

Führende Politiker müssen das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Entscheidungen wieder herstellen. Sie müssen die Bedürfnisse der Menschen erfüllen und nicht nur jene des Establishments. Der römische Denker Cicero hält weise Worte für den neuen amerikanischen Präsidenten bereit. Als Cicero über Freundschaft schrieb, wies er den Weg nach vorne: "Die Natur hat uns so geformt, dass ein bestimmtes Band uns alle verbindet, aber dieses Band gewinnt erst durch Nähe an Stärke." Wird der neue Präsident nach seinem Amtsantritt als Erstes Europa besuchen und damit die transatlantischen Beziehungen festigen? Wenn ja, so können wir unterschiedliche Ansichten haben, ohne gleich die Weltordnung ins Wanken zu bringen.

Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, sonst verliert man alles. Lassen Sie uns an die liberale internationale Ordnung glauben und daran, dass wir fähig sind, diese Herausforderungen zu bewältigen.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2016
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