Außenansicht:Stilllegen allein bringt nichts

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Friedrich Breyer, 67, ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Universität Konstanz und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. (Foto: N/A)

Einfach nur Kohlekraftwerke abschalten ist Symbolpolitik. Es gibt sinnvolle Alternativen.

Von Friedrich Breyer

Einer der Streitpunkte bei den gescheiterten Sondierungen für eine Jamaika-Koalition war die Forderung der Grünen, die 20 "dreckigsten" Kohlekraftwerke sofort stillzulegen. Nur so, hieß es, könnte Deutschland seine nationalen Klimaziele für 2020 und 2030 noch erreichen. Die Forderung bleibt auch nach dem Scheitern von Jamaika auf der Tagesordnung der deutschen Politik, und sie klingt zunächst einmal auch sehr vernünftig. Dennoch ist sie bei näherem Hinsehen unsinnig, denn sie übersieht zwei Tatsachen. Erstens: Durch die Stilllegung würde der CO₂-Ausstoß in Europa um kein Gramm sinken. Zweitens: Dem Weltklima ist es egal, wo eine Tonne Kohledioxid emittiert wird; es kommt nur auf die Gesamtmenge an.

Die zweite Tatsache ist allgemein bekannt, die erste hat sich aber noch nicht überall herumgesprochen: Die Stromerzeugung ist Teil des Europäischen Emissionshandelssystems, an dem alle EU-Mitglieder sowie Norwegen, Island und Liechtenstein seit 2005 teilnehmen. Diese Länder legen gemeinsam fest, wie viele Verschmutzungsrechte jedes Jahr ausgegeben werden, und begrenzen dadurch den Gesamtausstoß von Klimagasen ein-schließlich CO₂. Die Menge sinkt jedes Jahr um 1,74 Prozent, weil die beteiligten Staaten sich einig sind, dass eine Reduktion des Ausstoßes von Klimagasen zur Bekämpfung der Erderwärmung nötig ist. Vor Kurzem hat sich das EU-Parlament mit den Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, das Tempo der Verknappung auf 2,2 Prozent im Jahr zu steigern. Andererseits gilt unter den bislang gültigen Regeln aber auch: Wenn deutsche Kraftwerke weniger CO₂ ausstoßen, etwa weil Kohle- durch Gaskraftwerke oder Windräder ersetzt werden, dann wird in anderen Ländern oder in anderen Industrien, die im europäischen Handelssystem erfasst sind, wie der Eisen- oder Stahlproduktion, die gleiche Menge Kohlendioxid zusätzlich emittiert, da die Gesamtmenge von vornherein festgelegt ist. Der einzige Zweck, dem der Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland dann noch dienen könnte, wäre die Einhaltung der nationalen Klimaziele, zu denen sich frühere Bundesregierungen verpflichtet haben. Es wäre aber dem Weltklima nicht zuträglich, wenn einfach deutsche Emissionen durch französische oder englische ersetzt würden.

Kraftfahrzeugsteuer abschaffen, dafür zum Ausgleich die Mineralölsteuer erhöhen!

Nun hat die EU kürzlich eine weitere Reform des Emissionshandels für die nächste Handelsperiode von 2021 an beschlossen, nach der ein Land, das zum Beispiel durch Stilllegung eines Kohlekraftwerks die Nachfrage nach Verschmutzungsrechten senkt, das Recht haben wird, die entsprechende Menge an Zertifikaten kostenlos vom Markt zu nehmen und zu löschen. Von da an wird also der teilweise Ausstieg aus der Kohleverstromung doch klimawirksam sein. Ist er dann auf einmal sinnvoll? Die Antwort auf diese Frage lautet dennoch: Nein. Viel wirksamer wären zwei andere Strategien, mit denen wir zugleich den eigenen Klimazielen näher kommen und den weltweiten Ausstoß an Kohlendioxid senken könnten.

Zum einen könnte die Bundesrepublik Deutschland Emissionszertifikate aufkaufen und vernichten, und zwar schon jetzt und nicht erst 2021 oder später. Da der Preis einer Tonne CO₂ derzeit bei etwa 7,50 Euro liegt, würden wir mit wenig Geld einen hohen Beitrag zur CO₂-Reduktion leisten. Kritiker des europäischen Emissionshandelssystems ETS wenden ein, es seien ohnehin zu viele Zertifikate im Markt, eine Verringerung der Menge habe daher keinen Einfluss auf den tatsächlichen Ausstoß in den drei Jahren bis zum Ende der Handelsperiode (2020). Diese Argumentation überzeugt nicht, denn ein Überschuss an Zertifikaten würde ihren Preis auf null fallen lassen, wie es am Ende der ersten Handelsperiode im Jahr 2007 geschehen ist. In Wahrheit ist der Preis nicht nur positiv, sondern er ist im vergangenen Halbjahr sogar um etwa 50 Prozent gestiegen. Man muss also davon ausgehen, dass alle ausgegebenen Zertifikate bis 2020 zum Ausstoß von CO₂ oder anderen Treibhausgasen verwendet werden.

Ein Aufkauf von Zertifikaten mit sofortiger Löschung reduziert also den künftigen Ausstoß ganz unmittelbar. Als Nebeneffekt wird der Marktpreis für Zertifikate steigen, und das wird bewirken, dass genau diejenigen Firmen ihren Ausstoß verringern werden, die das am kostengünstigsten erreichen können, nämlich zu Kosten je Tonne, die zwar über dem heutigen Zertifikatepreis von 7,50 Euro liegen, aber unter dem durch die Löschung herbeigeführten höheren Preis. Das können Stromerzeuger sein, die von Kohle- auf Gaskraftwerke umsteigen, oder Firmen in einem anderen Sektor. Dem Klima ist es egal, ob das Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken oder aus anderen Quellen stammt. Die Politik sollte das Ziel verfolgen, den CO₂-Ausstoß zu senken; sie sollte sich aber nicht anmaßen zu wissen, in welchem Wirtschaftszweig das am leichtesten zu schaffen ist.

Zum anderen könnte die Regierung in jenen Wirtschaftsbereichen etwas tun, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, zum Beispiel dem Verkehr. Dabei könnte sie mehrere Ziele gleichzeitig erreichen: Zum Beispiel im Zuge der Einführung einer Pkw-Maut die ökologisch unsinnige Kraftfahrzeugsteuer nicht nur senken, sondern ganz abschaffen. Die Steuer belastet ja nicht den Schadstoffausstoß, sondern den ruhenden Verkehr. Richtig wäre es, dafür die Mineralölsteuer zu erhöhen. Damit würde erstens die Maut EU-konform, weil dann die Steuersenkung für deutsche Autobesitzer nicht genau der Höhe der Maut entspricht. Zweitens würden die Erhebungskosten der Kfz-Steuer gespart, und die Finanzbeamten könnten sich wichtigeren Aufgaben widmen, etwa der Verfolgung von Steuerhinterziehern. Drittens verteuert ein höherer Spritpreis das Autofahren mit Verbrennungsmotoren und senkt dadurch indirekt den CO₂-Ausstoß im Verkehr. Schließlich wird dadurch auch noch das Elektroauto attraktiver, und man kann sich Kaufprämien dafür sparen.

Langfristig sollte Deutschland in der EU darauf hinwirken, den Emissionshandel auch auf die Wirtschaftszweige auszudehnen, die bisher nicht erfasst sind. Gerade die Mineralölwirtschaft ist ein gutes Beispiel dafür, dass das ohne Probleme gelingen könnte. Man sollte bereits die Umwandlung von Rohöl in den Raffinerien zu einer zertifikatepflichtigen Tätigkeit erklären, da der Ausstoß von Kohlendioxid im Verkehr genau proportional zum produzierten Kraftstoff ist.

Die bloße Stilllegung von Kohlekraftwerken ist dagegen Symbolpolitik: Sie beruhigt das Gewissen, trägt aber für sich genommen überhaupt nichts zur Lösung des weltweiten Problems bei.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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