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Peter Frey, 59, ist seit 2010 Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Wahrnehmung, nicht Ausgrenzung - wie Journalisten mit der AfD und anderen Populisten umgehen sollten.

Von Peter Frey

Angriffe auf Spitzenpolitiker oder Hassausbrüche auf Ausländer sind nicht neu. Auch wenn das Maß an Aggression und das Störpotenzial von Pegida in Dresden schockiert hat - solche und schlimmere Szenen hat es in der Bundesrepublik immer wieder gegeben. Willy Brandt wurde wegen seiner Ostpolitik "Vaterlandsverräter" genannt, Helmut Kohl stürmte in Halle wutentbrannt auf eine Menge zu und erntete Eierwürfe. Mölln, Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen stehen für rassistische Exzesse.

Neu ist die Verstärkung demokratiefeindlichen Gedankenguts, kruder Widerstandsparolen und Aufrufen zur Gewalt durch soziale Medien. Neu ist eine Partei, die diese Stimmungen in die Parlamente trägt und gute Aussichten hat, in den Bundestag zu kommen. Neu ist, dass im wiedervereinigten Deutschland völkisch-nationale Töne in die Mitte durchdringen, sich eine neue Deutschtümelei gegen eine Gesellschaft der Vielfalt abgrenzt.

Wie sollten die Medien mit der AfD und rechtspopulistischen Bewegungen umgehen? Zunächst: Lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen. Politik mit Emotionen ist keine Spezialität der Populisten. Die Republik hat in der Tat Schlimmeres überstanden. Was wir aber heute sehen, ist eine systematische Leugnung von Fakten, nicht nur in Deutschland. In Österreich und Frankreich punkten Populisten schon seit Jahrzehnten, in den USA mischt Donald Trump die Öffentlichkeit auf. Die Meister der Vereinfachung grenzen aus und verweigern sich systematisch Argumenten, die ihnen nicht passen. Journalisten sollten weiter Fakten gegen Behauptungen und Gefühle setzen, sie sollten erklären, wie Populisten arbeiten, und hinterfragen, was und wohin sie eigentlich wollen. Dazu gehören die Analyse von Programmen der AfD, Realitätstests und die genaue Beobachtung ihrer Parlamentsarbeit. Sendungen können Widersprüche zeigen, wie Dunja Hayali, die im "ZDF-Donnerstalk" die AfD-Politikerin Beatrix von Storch zwang, sich zum Mindestlohn zu positionieren. Es geht nicht darum, AfD-Politiker vorzuführen. Aber wir müssen sie hinterfragen, mit Klarheit und Fakten.

Es geht auch nicht darum, eine neue Partei auszugrenzen. Wir sollten, gerade heute, prinzipiell Distanz zur Politik und den Parteien halten. Als Medien sitzen wir in der Flüchtlingskrise nicht im gleichen Boot, auch wenn viele das gerne möchten. Der Riss in der Gesellschaft ist ja auch entstanden, weil Probleme nicht gelöst wurden, und Politiker - aus Sicht vieler - ihre Hausaufgaben nicht, schlecht oder zu spät gemacht, zu wenig erklärt und parteipolitisch Profit herausgeschlagen haben, etwa beim Thema Obergrenzen. Auch in der schärfsten Glaubwürdigkeitskrise seit der Wiedervereinigung muss Unabhängigkeit für Journalisten das erste Gebot bleiben, müssen wir weiter darauf vertrauen, dass Kritik und Aufklärung unser Beitrag zur Auflösung dieser Krise sind.

Mich treibt die Frage um, warum die Zivilgesellschaft, vor allem im Osten, oft so passiv und wehrlos wirkt und sie Straßen und Plätze den Lauten überlässt. Dabei müssen wir unsere eigene Rolle bedenken. Wir dürfen uns nicht ausschließlich auf die Demonstranten fokussieren, sondern müssen auch die Relationen zeigen: So standen den etwa 5000 Demonstranten und Störern in Dresden mehr als 400 000 Bürger entgegen, die das Einheitsfest mitfeierten.

Eine Geschichte kann man immer von verschiedenen Seiten angehen

Wir sollten uns auch nicht einreden lassen, dass wir uns für die Bilder der Willkommenskultur vom Spätsommer 2015 genieren müssen. Sie waren Realität und haben die für viele überraschende Stimmung in Deutschland redlich abgebildet. Wir haben uns nicht überwältigen lassen, sondern sofort die kritischen Aspekte dieses Flüchtlingsansturms gezeigt: Behördenüberforderung und -versagen, Integrationsfragen, kulturelle Unterschiede. Auch das waren und sind Nachrichten: Ohne Hunderttausende von Ehrenamtlichen hätte der Staat die Lage gar nicht meistern können, und das geht bis heute weiter.

Unser Programm bildet Vielfalt ab. Wir stellen uns gelegentlich bewusst gegen den Mainstream und bringen oppositionelle Standpunkte in die Debatte ein, "bürsten gegen den Strich". Uns ist klar, dass die absolute Wahrheit nicht existiert, dass man Geschichten immer von mehreren Seiten sehen kann, und wir unter dem Druck von Wettbewerb, Geschwindigkeit und Komplexität auch Fehler machen. Wir stehen dazu - auf der Korrekturenseite, die das ZDF nach dem Vorbild der New York Times eingerichtet hat. Transparenz ist das beste Gegenmittel gegen Verschwörungstheorien.

Den Vorwurf, die AfD ausgegrenzt zu haben, lasse ich nicht gelten. Manchmal befürchte ich, dass wir ihr in Talkshows, Nachrichten und Magazinen sogar zu viel Aufmerksamkeit geschenkt haben. Aber mich treibt die Frage um, ob wir die Grundlage ihres Erfolgs ernst genug genommen haben. Wir sollten anerkennen oder uns wenigstens dafür interessieren, wenn Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel wegen des Strukturabbaus auf dem Land, wegen der Wohnungssituation, wegen prekärer Arbeitsverhältnisse oder Empörung gegen die Null-Zins-Politik in Opposition gehen - gegen eine ziemlich große große Koalition, der angesichts des Modernisierungskurses der CDU unter Angela Merkel ein national-konservatives Korrektiv fehlt. Es muss aber auch eine Grenze des Verständnisses geben - wo Gewalt hoffähig und "das System" pauschal abgelehnt wird.

Übrigens ist es oft ein Fehlschluss, von sozial prekären Verhältnissen auf AfD-Anhängerschaft zu schließen. Die reicht bis in die besten bürgerlichen Kreise. Volksverhetzung kann auch mit Einstecktuch und Manschettenknöpfen daher kommen. Wir dürfen die Saat der gezielten Verunsicherung nicht aufgehen lassen. Genau darauf zielt die Strategie unserer Gegner. Wenn Journalisten in der Realität und im Netz systematisch angegriffen werden, ist Selbstbewusstsein und Standhalten notwendig, um unseren Job der Berichterstattung, Einordnung und Aufklärung in einer aufgewühlten und polarisierten Gesellschaft professionell zu machen.

Ich plädiere also für eine nüchterne Betrachtung der AfD und ihrer Wähler, für Wahrnehmung und Anerkennung der Gründe für diesen Protest. In diesem Sinn auf sie zuzugehen und sich für sie zu interessieren, bringt mehr als Ausgrenzung. Vielleicht bewegen sich die Medien auch zu abgehoben in einem allzu westlichen Mittelschichten-Milieu, mit zu wenig Antennen für Veränderungsstress in anderen Schichten. Da haben wir Anlass zu Selbstkritik. Wir sollten aber auch sagen, wenn hinter dem Protest einfach nur Rassismus, Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus stecken.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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